Fantasie statt Uniformität

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Mercedes Diaz de Leon verkauft in ihrem Laden in Neuhausen fair produzierte Kleidung von deutschen Designern und Kleidungsstücke ihres eigenen Labels. Es ist ein kleiner Kampf gegen die Gleichförmigkeit der Massenware

Von Valerie Präkelt

Der „Nui Conceptstore“ liegt in der Volkartstraße, mitten in Neuhausen. Es ist eine gut besuchte, umtriebige Straße mit vielen Geschäften und Restaurants. Hier lässt man offenbar keinen Trend aus: Anwohner haben für Bäume Mäntelchen gehäkelt. Dieses Phänomen hat einen Namen: „Guerilla Knitting.“ Auch Mercedes Diaz de Leon, 28, die Besitzerin des „Nui Conceptstores“, hat dem grauen Baugitter vor ihrem Modeladen einen frühlingshaften Anstrich verpasst: Sie hängt Osterglöckchen an das Gitter, während sie mit Passanten spricht. Man kennt und schätzt sie hier, nebenan betreibt ihre Familie die Tapas Bar „Volkart“, in der sie selbst lange gearbeitet hat.

Mercedes will der massenproduzierten Mode den Rücken kehren. Nachhaltigkeit ist wieder in – das spürt auch die Modebranche. Preislich kann fair produzierte Ware aus hochwertigen Stoffen mit den Schnäppchen von sogenannten Fast-Fashion-Ketten wie H & M oder Zara zwar nur selten mithalten. Trotzdem hat die Designerin im Sommer 2015 ihren eigenen Laden eröffnet. 

Es ist ein kleiner Kampf gegen die Uniformität der Massenware und ein Statement für nachhaltige Mode von deutschen Jungdesignern. Hier, in ihrem Laden in Neuhausen, verkauft sie fast ausschließlich fair produzierte Mode von deutschen Designern – und Kleidungsstücke ihres eigenen Labels Nui. „Ich wollte eine Plattform schaffen, auf der sich junge Talente präsentieren können. Es ist nicht leicht, nach dem Abschluss den Traumberuf Designer auch verwirklichen zu können“, sagt die gebürtige Mexikanerin, die seit ihrem fünften Lebensjahr in Deutschland und seit 15 Jahren in München lebt. 

Im kleinen Laden hängt eine Handvoll kupferfarbene Kleiderstangen an weißen Seilen von der Decke. Daran: Mode in exklusiver Stückzahl, alles – bis auf die italienische Marke Gaudi – wird fair in Deutschland produziert. „Ich will keine Massenware verkaufen“, sagt Mercedes.

Die Räume dienten
früher ihrer Mutter
als Atelier und Galerie

Sie hat 2010 einen Abschluss in Schnitt und Entwurf an der Meisterschule für Mode in München gemacht. „Wir haben heute kaum noch eine Bindung zu Designern, nur zu großen Labels und Ketten“, sagt sie. „Bei Nui ist das anders. Und trotzdem noch bezahlbar.“ Heißt: Die Mode bewegt sich in einem Preisrahmen von bis zu 200 Euro, der Großteil liegt aber deutlich darunter. Eines der Labels, das Mercedes verkauft, ist „WE.RE“, das Münchner Modelabel von Katharina Weber und Theresa Reiter.

Die beiden Designerinnen arbeiten seit 2014 zusammen, aus dem ursprünglich temporär angelegten Projekt ist eine richtige Marke geworden, die mit sportlichen, schlichten und minimalistischen Kleidungsstücken besticht. Andere Designer, wie etwa „Jeeij“ aus Berlin oder die zwei Schwestern von „Pikfine“ aus Köln, die fast ausschließlich mit deutschen Materialien und Stoffen arbeiten, würde man in München allenfalls über die Internetplattform Dawanda unterstützen können. Bei Mercedes kann man sie anprobieren, in der Toilette, die zur Umkleide umfunktioniert wurde. „Hier ist immer noch alles etwas provisorisch“, sagt Mercedes und lacht.

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass das jemand der sympathischen Ladeninhaberin übel nehmen könnte. Denn ein eigener Laden kostet insbesondere am Anfang viel Geld. „Dann muss man improvisieren.“ In den Räumen, die früher ihrer Mutter Mercedes Felgueres als Atelier und Galerie dienten, wirkt das charmant. Im Hinterzimmer lehnen großflächige Malereien an der Wand, einige der Unikate stehen im Laden zum Verkauf. Vorne, am Tresen, näht Mercedes ihre eigene Kollektion und die Linie von Babykleidung, die sich in Neuhausen gut verkaufen lässt. All das entsteht direkt hier im Laden.

Mit der Hausmarke Nui bleibt sich die 28-Jährige treu: klare Linien, ein Mix aus hochwertigen Stoffen und ein elegantes, aber dennoch lässiges Design. Kleidung, die Mercedes selbst trägt, die Spaß machen darf und sich trotzdem von dem abhebt, was man bei großen Marken kaufen kann.

Mercedes ist herzlich, begrüßt jeden Kunden und lacht viel. Sie ist laut, aber auf eine angenehme, nie anstrengende Weise. Und dass sie als Designerin selbst stilsicher ist, erkennt man sofort: Ihre dunklen, langen Haare sind offen, geschminkt ist sie nur dezent. Sie trägt eine dunkle, enge Hose, dazu einen dunkelblauen Baumwoll-Pullover mit Kroko-Muster, den sie auch verkauft. Das ist eines ihrer Prinzipien: Alles, was sie verkauft, muss sie selbst mögen und für tragbar erklären.

„Nui“ ist keine Revolution, wird nicht das Ende von Fast-Fashion-Ketten bedeuten, natürlich nicht. Aber der Store trifft den Zeitgeist: Hier wird faire und nachhaltig produzierte Mode verkauft, die stiltechnisch mit dem schlechten Ruf von Öko-Schlappen und Batik-Shirts l nichts mehr zu tun hat. Und: Er passt zu München.

Es gibt in München
einen Markt für coole,
nachhaltige Mode

Der nachhaltige Einkauf wird vielen Münchnern immer wichtiger. Im Februar wird in Schwabing ein verpackungsfreier Supermarkt eröffnen, Smoothie-Bars und vegane Restaurants boomen schon längst. Ebenso der „Dear Goods“-Shop im Glockenbachviertel: Das Geschäft für vegane Mode gibt es in Berlin, Essen und München bereits seit 2012, im Januar erst hat in der Friedrichstraße in Schwabing eine zweite Dependance eröffnet. Ein paar Straßen weiter, in der Schellingstraße, hat im Dezember ein neuer Second-Hand-Shop eröffnet.

Ob der Erfolg dieser Geschäfte einem Trend geschuldet ist oder nicht, sei offen gelassen. Vielleicht ist das auch gar nicht wichtig. Denn eins steht fest: Einen Markt für coole, nachhaltige Mode gibt es in München. Und das, obwohl eine Studie von Greenpeace im Frühjahr 2015 zeigte, das deutsche Jugendliche im Alter von zwölf bis 19 Jahren von Fair-Fashion nur wenig halten. Vielleicht kommt die Einsicht mit dem Studentenleben, mit dem Erwachsenwerden. Und wenn nicht? Dann hält „Nui“ dem Fast-Fashion-Fieber weiter entgegen: mit fairer, nachhaltig produzierter Mode von talentierten Jungdesignern.

Von: Valerie Präkelt

Großes Format

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Vom kuschelnden Schauspieler bis zum ehrgeizigen Rapper, von der gemeinnützigen Studentenorganisation bis zur sozialen Modedesignerin: Diese jungen Menschen sorgen 2016 dafür, dass München bunt, spannend und lebenswert bleibt.

Foto: Amelie Satzger

Jede Woche treffen wir auf junge Münchner, die München zu „unserem“ München machen: zu einer spannenden Stadt, die man erst kennt, wenn man ihre Macher kennen und schätzen lernt. Wer diese Stadt im kommenden Jahr bunter und lebenswerter macht? Wir wissen es nicht. Und wagen trotzdem einen Ausblick: Münchens junge Leute 2016.

Leonard Hohm
Schauspieler

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Es gibt Menschen, die kennt man nicht, und doch ist man vertraut mit ihnen. Genauer gesagt: mit ihren Stimmen. Leonard Hohm, 25, ist einer von ihnen. Der Schauspieler ist wirklich sehr häufig zu hören. Er spricht Werbung für Firmen wie Sony oder Bosch, synchronisiert Serienfiguren und hat zig Hörbücher eingelesen. „Sprechen kann zum Sport werden, da wir unter starkem Zeitdruck arbeiten“, sagt Leonard. Nebenher spielt er noch Theater. 2016 sind neben einem Theaterprojekt auch weitere Hörbücher geplant: „Ich liebe die Arbeit im Studio und spiele gerne mit meiner Stimme. Aber was schon nervt: Wenn deine Freundin dann abends sagt: Lass mal nicht kuscheln, lies mir lieber was vor!“

Foto: Yunus Hutterer

Amelie Satzger
Fotografin

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Irgendwie kommt sie aus einer anderen Welt. Wenn Amelie Satzger, 20, sich selbst fotografiert, dann sieht sie aus wie eine Fee, manchmal auch wie eine Gottheit aus dem antiken Griechenland. Es sind jene mythologisch angehauchten Selbstporträts, die die Fotografin erfolgreich machen. Angefangen hat das auf der Nordseeinsel Föhr: Familienurlaub mit den Eltern. Irgendwie langweilig. Also hat Amelie, damals 19, ihre Kamera genommen und die Fotos dann auf Instagram gepostet. Die Bilder kamen an: Innerhalb weniger Wochen hatte sie mehrere Tausend Follower, auf der Fotoplattform 500px sind es mittlerweile mehr als 19 000. Amelie studiert Fotodesign an der Hochschule München. 2016 werden Amelies Selbstporträts auf der Kunstmesse Stroke zu sehen sein. 

Foto: Amelie Satzger

Bianca Kennedy
Künstlerin

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Bianca Kennedy taucht ab. Die 26-Jährige, die Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste München studiert, widmet sich derzeit der Badewanne. „Das ist für mich ein ganz besonderer Ort“, sagt Bianca, denn dort würden Klassenunterschiede aufgehoben. Wer in die Badewanne geht, ist nicht arm oder reich, der ist für einen Moment lang befreit von seiner eigenen Geschichte. Abtauchen, die Füße übers Wasser gleiten lassen und sich dabei vorstellen, man habe gerade einen Wal in den Wellen entdeckt, so ist das zumindest in Biancas filmischer Arbeit „Sonar Sounds“. Die junge Künstlerin hat in den vergangenen Monaten mehr als 200 Badeszenen aus berühmten Filmen gesammelt, die sie in der Videoinstallation „We are all in this together“ miteinander verbindet. Parallel arbeitet sie mit ihrem Freund Felix Kraus an einer Filmtrilogie, die das Leben von Mensch-Tier-Pflanze-Pilz-Hybriden in einer fernen Zukunft imaginiert.

Foto: Adrienne Meister 

Sophia Klink
Literatin

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Wenn Sophia Klink Texte schreibt, spielt die Natur darin eine große Rolle. Die 22-Jährige versucht in ihrer Prosa die Dinge zu verarbeiten, die sie aus ihrem Biologiestudium kennt: „Ich wollte einfach zeigen, wie toll diese Welt ist. Es weiß zum Beispiel kaum einer, dass Regenwürmer zehn Herzen haben.“ Die Natur wird bei ihr zum Reibungspunkt für die Sehnsucht ihrer Figuren nach Ruhe abseits der Stadt. 2015 hat Sophia das Literaturstipendium der Stadt München erhalten, das Autoren ein Arbeiten frei von finanziellem Druck ermöglichen soll. Gefördert wurde ihr Romanprojekt „Luftunterfläche“, dessen Erstfassung demnächst fertig werden soll. Sophia Klink liest am 15. Januar 2016 im Keller der kleinen Künste.

Foto: Thomas Freimuth

Florian Kamhuber
und Fabian Halbig

Filmemacher

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Es darf gelacht werden: Florian Kamhuber, 25, und Fabian Halbig, 23, produzieren mit ihrer Filmfirma „Nordpolaris“ Stoffe, die den Zuschauer mit intelligentem Humor unterhalten sollen. Vergangenen Sommer haben die beiden ihren ersten Langspielfilm produziert, der 2016 Premiere feiert: Die Tragikomödie „Dinky Sinky“ (Regie: Mareille Klein) erzählt die Geschichte einer Sportlehrerin, die unbedingt schwanger werden will. Die Hauptrolle übernahm Residenztheater-Schauspielerin Katrin Röver, der Film-Fernseh-Fonds Bayern förderte das Projekt mit 50 000 Euro. Für das kommende Jahr sind bereits viele neue Projekte geplant: Die beiden produzieren eine Sitcom, die die Männerdomäne Baumarkt ironisch aufbricht, und Fabian, Schlagzeuger der Killerpilze, bringt mit seiner Band ein neues Album heraus.

Foto: Vera Brückner

Alexander Hoffmann
Veranstalter von „Cook and Code“

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Die ersten Schritte in der IT-Welt will Alexander Hoffmann Anfängern in seinem Projekt „Cook and Code“ vereinfachen. Der 27-Jährige organisiert Veranstaltungen, bei denen Experten und Neulinge zusammenkommen und in lockerer Atmosphäre ihr IT-Wissen auffrischen können – zum Beispiel wird auch zusammen gekocht. Für das Jahr 2016 hat sich Alexander eine Menge vorgenommen: „Beim Social Hackathon am 23. Januar werden sich drei bis vier soziale Projekte vorstellen, die ein bestimmtes Problem mit ihrer Website haben“, sagt Alexander. Über einen ganzen Tag hinweg versuchen sich die Teilnehmer an einer Lösung für diese Probleme.

Foto: privat

Hannah Klose
Netzwerkerin

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Netzwerkerin Hannah Klose, 24, bringt Menschen zusammen. Zum Beispiel als Vorstandsmitglied des Projekts „Rock Your Life“, das Hauptschülern Mentoren an die Seite stellt, um den Übergang ins Berufsleben zu erleichtern. Aber auch darüberhinaus hat sie 2016 viel vor: Hannah organisiert die Intrapreneurship Conference 2016 in München mit und stellt als Heartleaders-Botschafterin Veranstaltungen rund um wertschätzende Kommunikation in der Arbeitswelt auf die Beine. Außerdem holt sie bei 12min.me einmal im Monat Sprecher für Vorträge zu Business-Themen auf die Bühne – in lockerer Atmosphäre und strenger Zwölf-Minuten-Taktung. Wo Hannah Menschen verbindet, ist das Ziel meist dasselbe: Statt Ellbogenmentalität soll Arbeit Raum für Innovation, Erfüllung und Potenziale bieten.

Foto: mantro.net

Alina Birkner
Malerin

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Ist Malerei nun in oder out, hip oder verstaubt? Immer wieder wird ihr in der Kunst der Tod prophezeit. Davon lässt sich Alina Birkner, 26, nicht beeindrucken. Die Malerin studiert an der Akademie der Bildenden Künste und schließt ihr Diplom im Februar ab. Alina pinselt mit Acryl geometrische Formen in Pastellfarben auf eine nasse, meist großformatige Leinwand. Ihr Können stößt auf so viel Begeisterung, dass sie im Oktober 2015 gemeinsam mit ihrem Vater René Birkner, der eigentlich Filmplakate gestaltet, ein riesiges Fresko für die Ausstellung des Möbeldesigners Konstantin Grcic in der Pinakothek der Moderne malen durfte. 2016 steht aber erst einmal die eigene, abstraktere Kunst auf dem Plan: zum Beispiel im Münchner Centercourt, wo Alina von Januar an vier großformatige Arbeiten zeigt.

Foto: Korbinian Vogt 

Lux
Rapper

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Es gab schon schlechtere Zeiten für Hip-Hop aus München. Edgar Wasser wird bundesweit gefeiert, Fatoni ist dieses Jahr mit seinem Album „Yo Picasso“ durch die Decke gegangen. Und München hat noch mehr Talente parat. Zum Beispiel Lukas Eichhammer, 25, alias Lux. Der Musiker hat 2015 das erste Album veröffentlicht, tourte mit Kumpel Edgar Wasser durch Deutschland. „Ich habe Blut geleckt“, resümiert er. Schon als Kind zieht es Lukas auf die Bühne: Er spielt im Residenztheater und eine Hauptrolle im Kinofilm der Kinderreihe „TKKG“. Mit 16 beginnt er zu rappen, 2012 kommt die erste EP. Lukas wird nächstes Jahr 26. Zehn Jahre Lux – Zeit, erwachsen zu werden? Ja. Deshalb kommt im Frühjahr eine neue EP und mit ihr ein neuer Lux. Es geht um Zukunftsängste, ums Rumhängen und Älterwerden – ganz genau weiß Lukas das auch nicht. Er rappt: „Ich bin nicht Lux, nur sein Synchronsprecher.“

Foto: Nils Schwarz


Mercedes Diaz de Leon
Mode-Designerin

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Es ist keine einfache Angelegenheit, dem Massenkonsum den Rücken zu kehren – vor allem nicht, wenn es um Mode geht. Mercedes Diaz de Leon, 28, hat es trotzdem versucht: Im Sommer eröffnete sie den „Nui Conceptstore“ in Neuhausen, der ausschließlich fair produzierte Mode von deutschen Jungdesignern und ihr eigenes Label Nui verkauft. Die gebürtige Mexikanerin, die in Deutschland aufgewachsen ist, hat ihr Handwerk an der Meisterschule für Mode in München gelernt. Nach dem Abschluss war sie ernüchtert: Alle tragen das Gleiche, kaufen bei großen Ketten Stücke, die nach kürzester Zeit im Schrank verstauben. Mercedes’ Laden ist keine Revolution. Aber ein Schritt in die richtige Richtung: eine Verkaufsplattform für talentierte Jungdesigner, die nachhaltig, lokal und fair produzieren und für den Modeliebhaber sonst allenfalls über Plattformen wie Dawanda erreichbar wären.

Foto: privat

Equalhats
Gemeinnütziges Studentenprojekt

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Sechs junge Münchner Studenten haben die Mütze zu einem Symbol der Solidarität erhoben. Ihr Motto: „Mache einen fremden Namen zu deinem.“ Auf den Mützen stehen Namen. Namen von Flüchtlingen, die bereits in Deutschland angekommen sind. Über den Namen wird das Gleichheitszeichen eingestickt. So setzt jeder mit der Mütze ein Statement. Bisher sind circa 400 Mützen verkauft und 2500 Euro eingenommen. Neben dem Studium ist oft zu wenig Zeit, aber für die nächsten Semesterferien plant das Team von Equalheads einen Sommerersatz für die Mütze zu finden. „Wir wollen auf jeden Fall weitermachen“, sagt Pauline Kargruber, Mitbegründerin des gemeinnützigen Studentenprojekts Equalhats. Die Mützen werden fair und im Inland produziert, alle Erträge gehen an die Aktion „Deutschland hilft“. Welcher Name auf der Mütze steht, ist nicht wichtig, man erfährt es auch nicht vorher. Das Zeichen, das man setzt, zählt.

Foto: privat

Nalan381
Hipster-Pop

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Es ist zuletzt gut gelaufen für das experimentelle Duo Nalan381. „Sie sind gekommen, um München ein bisschen mehr Sex einzuhauchen“, schrieb etwa der Bayerische Rundfunk. Und auch die SZ hat sich nicht zurückgehalten mit Lob: „Ätherische Töne mit hauchenden, hallenden, klagenden Stimmen, die verlaufen wie Wimperntusche im Swimmingpool.“ Nicht zuletzt deswegen haben Nikolaus Graf aka Nik Le Clap und Nalan Karacagil große Pläne für 2016. Die Findungsphase ihrer Musik ist abgeschlossen, im kommenden Jahr wollen sie mit einer neuen Platte über die Münchner Bühnen hinauswachsen. Ein Konzert in Berlin ist fix, sogar noch vor der Release ihrer Platte am 13. April in der Münchner Bar „Unterdeck“. Ihrem Indie-R ’n’ B bleiben sie treu, „aber der Sound wird interessanter, weil wir ja jetzt wissen, wie der andere tickt“, sagt Nik.

Foto: Rosanna Graf

Autoren: Carolina Heberling, Matthias Kirsch, Susanne Krause, Jennifer Lichnau, Valerie Präkelt

Wolle statt Masche

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Die Kraft des Glückspullis: Anna-Laura Schlimm, 24, entwirft eine Mode-Kollektion zum Wohlfühlen. Die positive Wirkung eines Kleidungsstücks stößt allerdings auch an Grenzen

Von Stefanie Witterauf

An stressigen Tagen verlässt Anna-Laura Schlimm, 24, ihr Haus nur in Gelb. Knallgelb. Das ist die Farbe ihres Glückspullovers. Der Stoff ist weich. Das wohlige Gefühl auf ihrer Haut beruhigt Anna-Laura. In diesem Pulli übersteht sie anstrengenden Termine. Sie denkt sich: „So einen Pullover sollte jeder haben.“ Und genau aus diesem Gedanken heraus entsteht ihre Mode-Kollektion, mit der sie das Wohlbefinden der Menschen fördern will. Wohlfühlen statt zur Schau stellen, Wolle statt Masche. Die Modebranche setze nur auf Oberflächlichkeiten, sagt sie, die Menschen würden vernachlässigt.„Material Emotion“ nennt die junge Designerin das Projekt ihrer Abschlussarbeit.

Schon in der Schule interessierte sich Anna-Laura für Mode. Im Gymnasium in Unterhaching fertigte sie ihre erste eigene Kollektion als Facharbeit an. Sie bewarb sich nach ihrem Abitur 2010 an den besten Modeschulen der Welt und wurde schließlich am Londoner Central Saint Martins Collage angenommen. Berühmte Modedesigner wie Alexander McQueen, John Galliano und Stella McCartney haben dort ihren Abschluss gemacht – für viele ein Traum.
Doch in London wendete sie sich vom klassischen Modedesign ab. „Diese Welt ist mir fern. Vielleicht ändert es sich noch einmal, aber gerade vertrete ich nicht, was sie verkörpert“, sagt Anna-Laura. Sie hat glatte dunkle Haare, hohe Wangenknochen und blasse Haut.
Manchmal arbeitet Anna-Laura auch als Model. Doch sie will sich gegen die Oberflächlichkeit wehren, die oft in der Modewelt herrscht.

Ihr geht es nicht um den Schein, ihr geht es um Menschen. Menschen wie ein Freund von ihr, der unter Angststörungen leidet. Seinen Namen möchte Anna-Laura nicht verraten. „Ich fühle mich immer hilflos, weil ich nicht weiß, wie ich helfen kann“, sagt sie. Je mehr sie über Angststörungen nachdenkt, desto öfter erinnert sie sich an Situationen, in denen sie sich selbst nicht wohl fühlt. Und an ihren Pullover, der ihr in solchen Momenten hilft. Ihre Überlegung: Vielleicht wirkt das auch bei anderen. Also entwirft sie eine Kollektion, die ausschließlich aus Dingen bestehen soll, die ihr betroffener Freund mag: Reisen, Sonnenuntergänge und Madrid.

Bei ihren Recherchen für ihre Abschlussarbeit stößt Anna-Laura auf die Behandlung von Alzheimer-Patienten. Vertraute Gegenstände aus dem früheren Alltagsleben der Patienten lösen Assoziationen aus,
Reize werden über die Haut aufgenommen, um Erinnerungen zurückzubringen. Für ihre Arbeit befragt Anna-Sophie vier Menschen, die von Ängsten im Alltag begleitet werden, nach schönen Erinnerungen, Hobbys, Lieblingsfarben und -formen. Während sich eine Betroffene in der Natur wohl fühlt und Holz als angenehmes Material angibt, ist ein anderer von Architektur und klaren Formen begeistert.

Die Antworten versucht Anna-Laura in eine Kollektion zu verarbeiten, am Ende werden es vier. Die Neigungen der Befragten unterscheiden sich stark. Was dem einen helfen könnte, hat keine Wirkung auf den anderen. Der Arbeitsaufwand für ihre Abschlussarbeit hat sich dadurch vervierfacht.
Mit Silikon schafft sie Muster, die nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren sind. Doch ein Kleid aus Holz stellt sie vor eine Herausforderung. Das Material ist nur bedingt für Mode zu bearbeiten und im Alltag kaum tragbar. Deswegen fertigt sie eine Tasche aus Holz und Kork an, die die Betroffene bei sich tragen kann. Für die anderen drei fertigt sie zusätzlich zu ihrer Kollektion Pullover, damit sie die Wirkung testen können.

Doch können ein Pullover oder eine Tasche wirklich bei Angstzuständen helfen? „Das Kleidungsstück ist gebunden an positive Gedanken und kann so eine positive Wirkung auf den Patienten haben. Es ist jedoch fraglich, wie stark diese Wirkung ist“, sagt Psychotherapeut Andreas Hilz. Er gibt zu bedenken, dass Angstpatienten dazu neigen, die Auslöser für ihren Angstzustand zu katastrophisieren – begleitet von Schweißausbrüchen, Herzklopfen und Kribbeln in Armen und Beinen. „Das ist ein zu heftiger körperlicher Zustand. Da kann ein Kleidungsstück oder Glücksbringer die Patienten nicht zur Beruhigung bringen“, sagt Hilz.

Anna-Laura sieht ihre Kollektion auch nicht all zu sehr wissenschaftlich. „Nicht nur Angstpatienten haben Probleme in ihrem Alltag und brauchen Unterstützung“, sagt sie. Das Projekt ist für sie auf jeden Fall noch nicht zu Ende. „Kleidung kann eine positive Wirkung auf Menschen haben, da bin ich mir sicher.“

Foto: Jacob Chabeaux

Der Stoff der Freiheit

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Es ist ein schweres Thema: In ihrer Bachelorarbeit beschäftigt sich Bloggerin und Modedesignerin Alice M. Huynh mit der Flüchtlingsgeschichte ihrer Eltern. So ist die Kollektion “Fresh off the Boat” entstanden, die mit funktionalen Schnitten und dunkeln Farben versucht, die Vergangenheit der Eltern spürbar zu machen.

Lädierte Stoffe, ausgewaschene Farben, Risse oder beschmutzte Stellen wären zu offensichtlich gewesen. Zu plakativ für die ernste Thematik, die Alice M. Huynh, 24, in ihrer Bachelorarbeit aufgegriffen hat. Zum Abschluss ihres Modedesign-Studiums an der Akademie für Mode und Design München arbeitete Alice ein schweres Stück Familiengeschichte auf. Ihre Abschlusskollektion mit dem Titel „Fresh off the Boat“ erzählt von den Flüchtlingserfahrungen ihrer Eltern während des Vietnamkriegs. Sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater mussten in den Siebzigerjahren aus Vietnam fliehen. Für ihre Abschlussarbeit führte Alice mit beiden Interviews und erfuhr dabei bewegende Details, die sie anfangs nur unter Tränen weitererzählen konnte.

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Im Alter von 17 Jahren gelang ihrer Mutter und ihrer Familie die Flucht vor den Kommunisten. Nachdem sie sich mehrere Tage in einem kleinen Fischerdorf versteckten, kamen sie auf See. Nach sechs Tagen und sechs Nächten landete die Familie in Japan, wo sie nach langem Warten ein Visum für Deutschland erhielten. Auch der Vater, der aus einer chinesisch-stämmigen Familie kommt, war gerade einmal 17 Jahre alt, als er ganz allein aus Vietnam floh und ebenfalls sechs Tage und sechs Nächte auf See verbrachte. Daran erinnernd, besteht die Abschlusskollektion aus zwölf Looks. Für zehntausend Dollar besorgte der Großvater ihrem Vater einen Platz auf dem Flüchtlingsboot. Seine Erzählungen haben Alice besonders geprägt. „Niemand möchte hören, wie der eigene Vater miterlebt hat, dass Frauen vergewaltigt worden sind“, sagt Alice. Das Boot, auf dem sich ihr Vater befand, wurde jede Nacht von Piraten gekapert oder von der Marine angehalten. Frauen wurden missbraucht, Männer erschossen oder ins Meer geworfen. Alice erzählt, dass dem Vater selbst ein Maschinengewehr ins Gesicht gehalten wurde und zeigt dabei mit den Händen, wie groß die Waffe gewesen sein muss. Nachdem er schließlich zwei Nächte am abgesperrten Strand vor Malaysia im seichten Wasser verbrachte, kam er auf eine Flüchtlingsinsel und – nach einer langen Wartezeit auf ein Visum – nach Deutschland. 

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„Es ist ein dunkles Kapitel meiner Eltern. Trotzdem sollte die Mode nicht traurig oder dramatisch werden. Die Kollektion ist supermodern, vielleicht sogar ein bisschen witzig durch die ungewöhnlichen Stoffe und Schnitte“, sagt Alice. Ihr Anspruch an die Kleidung: Tragbarkeit. „Wenn ich mich nicht wohlfühle oder in meinen Bewegungen eingeschränkt bin, ist das kein gutes Kleidungsstück“, sagt sie. Darum setzt „Fresh off the Boat“ auch auf Funktionalität. „Für mich war zentral: Sie sind geflohen und hatten nur das am Leib. Es musste praktisch sein“, erklärt die Designerin. Das zeigt sich in ihrem geradlinigen, minimalistischen Stil, den sie ihren westlichen Einflüssen zuschreibt.
 Erst beim genauen Hinsehen findet man Details, wie zum Beispiel die Taschen an einem Kleid. Der Hintergedanke: „Du musst etwas verstecken!“ Ihr Vater hatte vor der Flucht Geld in seinen Hosenbund eingenäht. Aber ebenso hat Alice traditionelle Elemente wie einen Kimonoschnitt aufgegriffen. Auch die weiten, langen Ärmel hat sie sich in der asiatischen Modekultur abgeguckt. In ihrer Kollektion stehen sie für das Gefühl der Verlorenheit. 

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Alice hat sich schon selbst oft gefragt, zu welcher Kultur sie gehört. Geboren und aufgewachsen ist sie in Oberstdorf im Oberallgäu, wo ihre Eltern asiatische Restaurants betreiben. Dennoch komme immer wieder die „Wurzelfrage“, wie sie es nennt, auf: „Bin ich vietnamesisch, chinesisch oder deutsch? Ich habe einen deutschen Pass und werde trotzdem immer wieder gefragt: Was bist du? Ich antworte dann: Deutsch. Aber das Fragen geht weiter.“ Ein Cardigan aus der Kollektion, der nur eine Hälfte des Oberkörpers bedeckt, soll genau auf diese Zerrissenheit hinweisen. 

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Bis auf zwei Teile ist alles komplett in Schwarz gehalten. Wer Alice und ihren erfolgreichen Mode-Blog „I heart Alice“ kennt, weiß, dass sie selbst hauptsächlich Schwarz trägt. Eintönig? Nicht für Alice: „Schwarz kann sowohl zurückhaltend als auch total laut sein. Eine Farbe wie Rot drückt immer nur ein Signal aus. In einem schwarzen Kleid kannst du hingegen elegant, bieder oder eine Femme fatale sein. Schwarz ist kein Gefühl, sondern ein Zustand“, erklärt sie. Die zwei farbigen Ausnahmen der Kollektion sind in einem Gold-Kupfer-Ton gehalten und repräsentieren den letzten Hoffnungsschimmer der Flüchtlinge.

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Um die verwendeten Materialien noch besser zu erklären, holt Alice ein Album, ebenfalls in Schwarz, aus ihrer schwarzen Handtasche. Ihr Inspirationsbuch mit Bildern, Skizzen und Stoffmustern. „Bei diesem hier wusste ich erst nicht, ob er hässlich ist“, sagt Alice und streicht mit dem Zeigefinger über ein Stück Stoff mit Kreisen, an denen dichte, schwarze Fäden befestigt sind. Darin sieht Alice die Hinterköpfe und wehenden Haare von flüchtenden Frauen. Solche Szenen habe sie mehrmals in Dokumentationen und auf Bildern gesehen. Wieder blättert Alice in ihrem Buch, zwei Seiten vor und drei zurück. Hier befindet sich ein Fetzen Moiré, ein Stoff mit baumstammähnlicher Musterung. Auch hierzu hat Alice eine Geschichte parat. Während des Wartens auf das Visum bekam ihr Vater eine Wochenration von einem Sack Reis, einer Büchse Sardinen und etwa zehn Liter Süßwasser. Als er sich so sehr nach Vitaminen und frischer Kost sehnte, aß er Blätter und Baumrinde. 

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Die gesamte Kollektion ist unisex, für die Abschlusspräsentation ihrer Arbeit wählte sie männliche und weibliche Models. Sie alle gingen barfuß und mit Frühlingsblumen im Mund über den Laufsteg. Alles sollte natürlich sein.Dass sie schließlich den Titel „Best Graduate“ erhielt, hatte sie nicht erwartet. Eine von der Schule unabhängige Jury wählte die drei besten Absolventen aus. Auch die Einladung zur Fashion Week im Sommer kam überraschend. Trotz dieses Erfolgs hat sich Alice dazu entschlossen, nicht als reine Designerin durchzustarten. Sie träumt weder von Selbständigkeit noch von einer eigenen Boutique. Sie sagt: „Ein Store ist schön und gut. Aber brauche ich das heutzutage wirklich noch?“ Seit acht Jahren pflegt sie ihren Mode-Blog, bei dem sie auch ihre eigene Kleidung präsentiert. Das möchte sie jetzt weiter ausbauen, eventuell mit einem Online-Shop zum Verkauf handgefertigter Kleidungsstücke. Auch Teile von „Fresh off the Boat“ möchte sie dann zum Kauf anbieten.

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Aus dem Schicksal der eigenen Familie ein Geschäft machen? Ein heikles Unterfangen, das weiß Alice. Doch gerade die Eltern sind es, die Alice in diesem Vorhaben unterstützen: „Mein Vater vergleicht es immer mit den Vögeln: Die brauchen am Anfang auch Hilfe von ihren Eltern, bis sie es alleine schaffen und auf eigenen Beinen stehen“, sagt Alice. Hilfe, das ist in Alice’ Familie: Viel darüber reden, was damals passiert ist, die Geschichte weiter tragen, zeigen, dass man „trotz all des Leids letztendlich noch glücklich werden kann“. Das tut Alice – mit ihren Kleidern. Inzwischen hat sie das so oft gemacht, dass sie auch nicht mehr weinen muss, wenn sie von den Eltern und der Flucht erzählt. „Ich habe es nicht miterlebt“, erklärt Alice, „aber ich kann im Gesicht meiner Mutter sehen, wie hart es damals gewesen sein muss.“  Bettina Pfau

Fotos: TheAlphaKiks, Christoph Schaller

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Alice’ Blog ist unter http://www.iheartalice.de zu erreichen.

Neuland

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Wie zu Beginn angekündigt, verschwand der Conceptstore der jungen Designerinnen Theresa Reiter, 23, und Katharina Weber, 28, im Glockenbachviertel noch vor Weihnachten. Doch ihren Erfolg, den sie mit ihrem Pop-Up-Label WE.RE erreicht haben, möchten die beiden Münchnerinnen nicht einfach aufgeben. Nach der viel gelobten Winterkollektion soll nun auch eine Kollektion für diesen Sommer folgen. „Dafür ziehen wir jetzt in ein Studio in den Postgaragen an der Hackerbrücke, wo einige andere Künstler temporär ihr Studio eingerichtet haben“, sagt Theresa. Ein Pop-Up-Store ist für die Sommerkollektion außerdem geplant. Danach soll ihre gemeinsames Projekt ein Ende finden. „Wir sind zu zweit und damit am Rande unserer Kapazitäten und das Konzept soll auch nicht zu sehr ausgereizt werden“, sagt Theresa.  

Stefanie Witterauf

Wir sind’s

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Die Designerinnen Theresa Reiter, 23, und Katharina Weber, 26, schließen sich für eine Kollektion zusammen. Ihr Pop-up-Label „WE.RE“ wird einmal aufpoppen und danach wieder verschwinden.

Mode definiert sich durch permanenten Wechsel. Sie verändert sich, verschwindet aber nie. Das Fashion-Label „WE.RE“ (englisch ausgesprochen: we are) kommt, um zu gehen. Es ist ein Pop-up-Label, wie es die Designerinnen Theresa Reiter (rechts), 23, und Katharina Weber, 26, nennen. Die beiden Münchnerinnen (Foto: Maria Johannes) haben sich zusammengeschlossen, um genau eine Kollektion gemeinsam zu realisieren. Danach werden sie wahrscheinlich beruflich wieder getrennte Wege gehen. „Als Pop-up-Label wird WE.RE einmal aufpoppen und dann wieder verschwinden. Unsere Mode soll aber bleiben“, erklärt Katharina. Die Kollektion wird es für einen begrenzten Zeitraum online und in einer temporären Boutique zu kaufen geben. „So bekommt unser Label eine gewisse Exklusivität.“

Doch „WE.RE“ will nicht nur eine Kollektion entwickeln, sondern eine Firma aufbauen.   Der Name des Labels hat eine doppelte Bedeutung: Zum einen ist er eine Zusammensetzung aus den ersten zwei Buchstaben der Nachnamen Weber und Reiter. Zum anderen steht er für die englische Kurzform „we’re“ für „wir sind“.   „Wir sind Designerinnen. Wir sind ein bestimmter Stil“, erklärt Theresa. Mit dem Namen könne man wahnsinnig gut spielen. Mit Überschriften wie „WE.RE inspired“ versuchen sich die Modefrauen gerade auf Plattformen wie Facebook und Instagram, sowie ihrer eigenen Homepage zu vermarkten. Marketing gehöre eben genauso wie die Ideenfindung, die Planung und die Produktion zum Geschäft – alles Aufgabengebiete, die beide alleine meistern und teilweise erst einmal kennenlernen müssen. Beide lernten zwar in einem einwöchigen Seminar über Marketing, eignen sich aber erst jetzt in der Praxis die meisten Kenntnisse an: „Wir lernen nun an einem Tag Dinge, die wir in drei Monaten Studium nicht gelernt haben“, sagt Theresa.  

Studiert haben die beiden an der Modeschule AMD in München. Dort haben sie sich bereits vor Studienstart am Auswahltag für „Mode-Design“ kennengelernt, als sie gemeinsam eine Prüfungsaufgabe bewältigen mussten. Es hat geklappt. Seitdem sind sie enge Freundinnen und nun auch Geschäftspartnerinnen – zumindest ein Aufpoppen lang. Während der Ausbildung haben sie schnell gemerkt, dass sie nicht nur privat, sondern auch in ihren Arbeitsweisen sehr gut miteinander harmonieren. Sie wurden auch schon geehrt. Im vergangenen Juli bekamen sie den Titel „Best Graduate 2014“ der AMD und durften ihre Abschlusskollektionen auf der Berliner Fashion Week präsentieren. Ein besonderer Moment, der ermutigte, ein gemeinsames Projekt anzugehen.

Ulrike Nägele, Professorin an der AMD München, hat ihre Diplomarbeiten betreut und ist beeindruckt vom Talent der Absolventinnen: „Theresa kenne ich seit dem ersten Semester. Bereits eine ihrer ersten Kollektionen während des Studiums war sehr erwachsen, dennoch innovativ und sinnlich“, sagt die Dozentin für künstlerisch-konzeptionelle Modedarstellung und Inszenierung. Von Katharina ist ihr insbesondere die Liebe zu feinen Materialien und der Begabung für interdisziplinäre Projekte in Erinnerung geblieben.

Viele Absolventen bemühen sich, nach dem Studium direkt in einem großen Unternehmen zu landen. Theresa und Katharina trauen sich an die Selbständigkeit. Anstatt ein weiteres, vielleicht unvergütetes Praktikum zu machen, möchten sie ihr eigenes Label aufziehen. „Wir wollen unsere Energie und Motivation 100-prozentig in ein eigenes Projekt stecken. Das ist für uns genau der richtige Weg. Das merken wir jeden Tag“, sagt Katharina.  

Dennoch wissen beide, was in großen Modehäusern üblich ist. Während Katharina bei Kilian Kerner in Berlin hospitiert und zuvor eine Ausbildung zur bekleidungstechnischen Assistentin gemacht hat, kann Theresa Praktika bei Alexander McQueen in London und bei Iris van Herpen in Amsterdam in ihren Lebenslauf schreiben. Nun wollen sie mit „WE.RE“ ihr Wissen vereinen, und ihre Stilrichtungen. In Sachen Mode-Design seien sie „sehr unterschiedlich“, sagen sie einstimmig. „Katharina mischt tragbare Mode mit Avantgarde-Elementen, ich kombiniere Streetwear mit Haute Couture“, erklärt Theresa und beschreibt ihre Neigung zum ausgefallenen Handwerk. In ihrer Abschlusskollektion hat die 23-Jährige zum Beispiel mit Leder-Cut-Outs und Silikon gearbeitet. Was den persönlichen Modegeschmack betrifft, sind sich die jungen Frauen ähnlicher: Sie tragen gerne schwarz.

In ihrer Kollektion wird es, untypisch für die beiden, Farbe zu sehen geben. Geplant sind etwa 40 Kleidungsstücke und Accessoires, tragbar und mit puristischen Elementen. Die Schnitte sind zurückhaltend, aber raffiniert. Besonderen Wert legen die Designerinnen auf das Material. Sie arbeiten ausschließlich mit hochwertigen Stoffen, wie Leder, Seide und Baumwolle. Ihr Anspruch: „Nicht Menschen durch Mode machen, sondern mit den Teilen Persönlichkeit unterstreichen.“ Bisher haben sie ausschließlich Frauenmode entworfen. In ihrer eigenen Kollektion werden nun auch Männer etwas finden. Theresa erklärt: „Ich glaube, das Thema Männermode ist gerade schwer im Kommen. Wo gibt es hier schon spannende Kleidung für Herren zu kaufen? Wir haben erkannt, dass es da einen großen Bedarf gibt und wollen darauf eingehen.“ Doch ebenso wenig wie das Geschlecht soll das Alter ihre Zielgruppe definieren. Mit Caps, legeren Sweatshirts und T-Shirts wollen sie junge Leute ansprechen, mit exklusiv gefertigten Mänteln aus hochwertigen Materialen zielen sie auf eine etwas liquidere Generation mit Faible für edles Handwerk. Das wird sich auch im Preis zeigen. Jeder soll sich etwas von „WE.RE“ leisten können. Die Stücke kosten zwischen 50 und 500 Euro. Die exakten Kosten können aber erst bestimmt werden, wenn die Produktion abgeschlossen ist.  

Momentan sind sie in der Fitting-Phase. Sie machen die Schnitte und nähen die Musterteile. Gearbeitet wird in der Garage von Theresas Eltern. Dort haben sich die Modemacherinnen ein Atelier auf Zeit eingerichtet, wo sie so viele Stunden wie möglich verbringen. Feiertage und freie Wochenenden? „Das sind sehr dehnbare Begriffe geworden“, sagt Theresa und lacht. Das Label sei für sie einfach so präsent geworden, dass sie kaum noch an etwas anderes denken können. Auch während des Interviews geht Theresa ein Ärmel nicht aus dem Kopf, den sie unbedingt noch am gleichen Tag fertig nähen möchte. Dabei wirken die beiden überhaupt nicht gestresst oder verbissen ehrgeizig. Sie haben Spaß in ihren neuen Rollen als Geschäftsfrauen und geben sich professionell.  

Die Finanzierung übernehmen die Jungdesignerinnen komplett selbst. „Wir haben uns beide einen Betrag überlegt, den wir aufbringen können, ohne uns dabei in Schulden zu bringen. Darum nehmen wir eben auch alles selbst in die Hand“, sagt Theresa. Katharina ergänzt: „Wir sind selbst die günstigste Arbeitskraft. Alles, was wir selbst machen, müssen wir nicht bezahlen.“

Natasha Binar, Dozentin für Modemarketing und Markenkommunikation an der AMD, hält das Geschäftsmodell „Pop-up-Label“ für zeitgeistgemäß: „Es ist eine sehr strategische Herangehensweise, will man den Markt schrittweise für sich und eigens definierte Zielgruppen testen, um zu entscheiden, ob man aus einem Pop-up-Label eine Marke macht.“ Im Gegensatz zu Deutschland sei das Modell in Großbritannien und USA bereits bekannt. „Es bringt viele Vorteile, wenn man in kleineren Mengen produziert und mit lokalen Herstellern arbeitet.“ Die einzige Schwäche sei, dass die Kollektionsteile nicht immer vorhanden sein können, da es sich um ein limitiertes Angebot handle.

Der Pop-up-Store ist wahrscheinlich ab Ende November bis Mitte Dezember geöffnet und in der Münchner Innenstadt liegen. Einen geeigneten Ort suchen sie gerade noch. Um möglichst viele Menschen auf „WE.RE“ aufmerksam zu machen, setzen die beiden auf soziale Medien. Täglich veröffentlichen sie Neuigkeiten und Bilder von den einzelnen Arbeitsschritten. „Wir möchten den Leuten einen Einblick geben, wie so eine Kollektion überhaupt entsteht. Was viele Modedesigner unter Verschluss halten, zeigen wir öffentlich.“
Bettina Pfau

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Neuland

Dieses Wochenende präsentiert Stephanie Kahnau ihre neue Kollektion “.Makro”, unterstützt wird sie dabei von Fotografin Lena Scherer, die die Modestrecke dazu ausstellt.

Modedesignerin Stephanie Kahnau, die nach ihrem Studium in Stuttgart nach München gezogen ist, stellt am 27. und 28. September an der Reichenbachstraße 36 ihre neue Kollektion vor (Foto: privat). Unterstützt wird sie dabei von Lena Scherer (links), 25, die für die neue Kollektion die Fotos gemacht hat: „Man kann bei der Ausstellung nicht nur die Kleidung sehen, anfassen und kaufen, sondern gleichzeitig das gleiche Stück in der Modestrecke in fotografischer Ästhetik sehen, eine doppelte Sinneserfahrung quasi“, sagt Lena. Gabriella Silvestri

 

Mein München – Gebsattelbrücke

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Der Fotograf Tonda Bardehle liebt Fotografie und Mode. Seine Werke entstehen langsam: es braucht seine Zeit, bis das Outfit und das Styling der Models und die Location ausgewählt ist. Mit Sorgfalt werden Mustermixe kombiniert, nicht nur, um einen Kontrast darzustellen.

Die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf dem Foto kann man fast selbst auf der Haut spüren. Das Model Nefeli Drivas sitzt mit einem geflochtenen Schal um den Kopf auf der Gebsattelbrücke, die Beine halb angezogen, der Blick provokant in die Kamera gerichtet, während die Sonne durch die Öffnungen mit den schmiedeeisernen Gittern der Brücke strahlt. Tapfer zieht Nefeli das Shooting durch, obwohl sie sich Minuten davor auf eine Biene gesetzt hat und gestochen worden ist.

Der Fotodesignstudent Tonda Bardehle, 24, fotografiert am liebsten Modestrecken. „Mode hat mich schon immer interessiert. Wie ich mich kleide, hilft mir, mich selbst zu finden“, sagt er. Schon als Kind war klar, dass Tonda sich für Fotografie interessiert. Kein Wunder, denn seine Mutter ist Fotografin, zu der er sich schon früh in die Dunkelkammer geschlichen hat. Die Fotografie wird seine Leidenschaft. Ist das letzte Shooting zu lange her, fängt er an, unruhig zu werden und bekommt ein „Kribbeln in den Fingerspitzen“.

Weitere Informationen und Fotografien von Tonda Bardehle unter www.tonda-bardehle.de.

Stefanie Witterauf

Schluss mit Puppe

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Wie ist die Frau? Anfänglich macht Jana Baaske, 25, nette Mädchenmode. Heute heißt Weiblichkeit für die Designerin auch: kämpfen, provozieren, zweifeln. Jana bricht mit einer Modeindustrie, bei der schnell vergängliche Trends und überhöhte Körperbilder das Aussehen definieren.

Wäre Jana Baaske (Foto: Tobias Leipnitz) eine Blume, dann ein Maiglöckchen – denn das ist der lateinische Name ihres Modelabels: Jana Majalis. Grund für den Namen sind die Ballonröcke in Form von Maiglöckchen, die sie zu Beginn gefertigt hat – als Projektarbeit für ihren damaligen Studiengang „Kunst und Multimedia“ an der LMU in München. Anfangs kann sie noch nicht wirklich nähen, fabriziert deswegen etwas Einfaches wie Ballonröcke. Doch die Lust am Modemachen bleibt, Mitte 2010 folgt dann eine erste Kollektion, die sich sehen lassen kann.

Leicht, irgendwie zufällig, mädchenhaft wirken die Designs aus dieser Zeit: Auf den Fotos von damals tänzelt eine junge Frau in Weiß ganz gedankenverloren durch ein Kornfeld, reitet ein Pferd, genießt den Sommer. Das Mädchenhafte dieser Bilder hat die heute 25-Jährige inzwischen abgelegt, ist erwachsener geworden und fragt mit ihren Kleidern: Wie ist die Frau? Oder, wie Jana es formuliert: „Wie ist die Rolle der Jana als Frau?“

Eine Kollektion aus dem Jahr 2011 versucht sich an einer Antwort: In Tänzerpose steht das Model neben einer Ballettstange, die Haare streng nach oben gebunden, den Blick erstaunlich scheu gesenkt, sich in Spiegeln doppelnd, doch statt eines Tutu trägt sie ein durchsichtiges Kleid aus Abdeckfolie, das mit zwei breiten, schwarzen Trägern befestigt ist. Im ersten Moment: gewöhnungsbedürftig, hart, unzufrieden. Auch ein kleines bisschen steif wirkt das Frauenbild, das sie hier entwirft, so als müsse die Frau sich, ohne es zu wollen, an die Ballettpose anpassen. Eine ganze Reihe von Einzelteilen entsteht in dieser Zeit – mit Materialien aus dem Baumarkt. Das mag Jana: Materialien, die fordern. Für einen Wettbewerb ihrer Universität umhüllt die Studentin an der Modeschule Esmod eine Frau komplett mit PVC. „Wie ein Panzer, der sich um sie herum legt“, kommentiert Jana, deren Haar lässig zu einem Dutt gebunden ist, „im Endeffekt sah das aus wie eine verhüllte Muslimin.“ Damit gewinnt sie die Ausschreibung.

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Foto: Sima Dehgani

Wenn Jana spricht, macht sie oft lange Pausen, denkt nach, man merkt: Sie sieht Mode nicht einfach nur als Design, die Frau nicht nur als eine Puppe, der man anzieht, was den Designern von H&M und Zara gerade einfällt. Für sie repräsentiert Kleidung auch ein Kunstverständnis, sie fragt: Wie ist Weiblichkeit? Doch „weiblich“ ist für Jana gerade nicht das, was die ersten Kreationen und der Labelname noch vermuten lassen: unbeschwert, zart, einfach nur ästhetisch schön. Damit bricht sie, als sie das Studium an der Esmod beginnt.

Nicht nur handwerklich reift sie, sondern auch persönlich: Rückblickend ist das für sie eine schwierige Zeit, eine Zeit der Trennung von Menschen, von Sehgewohnheiten auf die Mode, von der bisherigen Studiumsumgebung, eine Zeit, in der sie in ihrer neuen Lebenswelt als Jana, als Frau, erst wieder erstarken muss. „Man nimmt Dinge plötzlich viel differenzierter wahr, geht mit einer größeren Ernsthaftigkeit an sie heran“, beschreibt sie diesen Prozess ihrer Rollenfindung. Deshalb heißt Weiblichkeit für sie fortan auch: kämpfen, provozieren, zweifeln, suchen, widersprüchlich sein, brechen mit einer Modeindustrie, bei der schnell vergängliche Trends und überhöhte Körperbilder definieren, wie „Frau sein“ und „als Frau schön sein“ funktioniert – ohne dabei der Persönlichkeit der Trägerin Rechnung zu tragen.

Dieser Bruch mit den standardisierten Designs der Massenmode zeigt sich auch in der neuen Kollektion, die gerade erschienen ist; auch hier wird der Zwang eines normkonformen Kleidungsstils wieder ein Thema: „In Deutschland möchte man möglichst angepasst sein. Nicht nur in der Mode. Uns wird vorgegeben, dass wir eine perfekt eingerichtete Wohnung brauchen, wo alles zueinander passt. Und genauso sollen wir auch angezogen sein. Das ist so eine Kaufhofmentalität“, ärgert sich die Studentin. Wenn es um diesen Zwang geht, was läge da näher, als sich sinnbildlich von Zwangsjacken inspirieren zu lassen?

Die Silhouetten ihrer neuen Kleider brechen das Modediktat auf, was Männer oder Frauen zu tragen haben. Janas Mode kann mal maskulin, mal feminin sein, je nach der Art, wie ein Kleidungsstück getragen wird – sogar beides zugleich. Mit der Folge, dass man sich beim Anziehen entscheiden kann, ob man heute gern als Mann oder als Frau auftritt. Hinzu kommen, wie sie es nennt, „harte Materialien“: Leder, grobe Wolle, Reißverschlüsse, große Schnallen, Denim. Eine Herausforderung.

Doch wieso fordert Jana den Betrachter so heraus, warum arbeitet sie sich immer wieder an denselben Themen ab? „Mode ist für mich eine ganz krasse Auseinandersetzung mit mir selbst“, erklärt sie, „und eine krasse Reflexion meiner Persönlichkeit. Mir geht es nicht darum, etwas zu revolutionieren, sondern eigentlich geht es um die kleine Jana-Welt, die sich dann in der Mode ausdrückt.“ Genau diese Ausdrucksmechanismen macht sie sich zu Nutze: „Man kann sich selbst inszenieren. Mode ist auch eine Art Schutz“, gibt sie zu. Selbstinszenierung, das heißt, sich zu kleiden, um man selbst zu sein, indem man sich als jemand anderes in Szene setzt. Schutz, das heißt, sich zu kleiden, um jemand anderes als man selbst zu sein, damit man versteckt bleiben kann, keine Intimität preisgeben muss.

Genau das fällt bei Janas Kleidern zusammen. Einerseits verkünden sie: Schau mal, so bin ich als Frau. Andererseits sagen sie: Guck nicht hin, eigentlich weiß ich doch gar nicht genau, wie ich bin. Schaut man dennoch hin, findet man vor allem eines: außergewöhnliche Einzelstücke, inspiriert von einem Auslandssemester in Paris.