Band der Woche: The New Colossus

image

Es ist lange her, dass Popmusik einen Anspruch erhob, der sich nicht nur um sich selbst dreht. Doch nachdem diese Haltung durch Selfie-Selbstbezogenheit und die Facebook-Bühne so sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, hat die Egomanie für Pop-Musik ein wenig von ihrem Reiz verloren. Dass eine junge Regensburger und Münchner Band sich also nach dem hochtrabend pathetischen, aber sich um andere sorgenden Gedicht benannt hat, das auf dem Sockel der Freiheitsstatue steht, ist an sich schon eine spannende Idee. The New Colossus (Foto: Marina Geckeler) implizieren damit eine weltumarmende Haltung.

Misericordia-Pop, der in seiner musikalischen Ausführung ebenso wandlungsreich und durchmischt ist wie die vielen Bevölkerungsgruppen, die die Freiheitsstatue als „huddled masses yearning to breathe free“ einst so offenherzig empfing. 

Seit 2014 spielt das Quintett zusammen, gerade hat die Band ihre erste EP fertig gestellt. Und die Musik, die sie dafür erfunden haben, ist mutig. Denn The New Colossus gehen den Schritt und versuchen dem alten, groß gedachten Mucker-Genre Postrock ein zeitgenössisches Gewand zu geben. Postrock ist einer der wenigen Stile der Popmusik, der einen technikvernarrten Anspruch an Virtuosität hat, wie man ihn sonst nur aus der Klassik oder dem Jazz kennt. Doch die Musiker, die sich alle aus Schulzeiten in Mallersdorf-Pfaffenberg im Landkreis Straubing kennen, bringen die Voraussetzungen dafür mit: Bassist Philipp Lohmeier lernte sein Instrument im Orchester und in Jazz-Combos, Gitarrist Jakob Peintner spielte in diversen Bands, und Sängerin Verena Lederer war im Schulchor und sang im Vokalensemble. Und das hört man ihrer Stimme an: Ihr geht das schüchtern Verdruckste, was man oft in den Frauenstimmen urbaner Indie-Produktionen hört, völlig ab. Ihre Stimme klingt, als habe sie von klein auf im Gospelchor gesungen. Und das rückt diesen neuen Popvorschlag, wie Postrock heute klingen könnte, in eine interessante Ecke: Denn ähnlich wie bei der kanadischen Band Cold Specks führt Verenas Stimme verlässlich durch die zerfaserten Songs. Und während Cold Specks den musikalischen Hintergrund im Jazz haben, liegt der bei The New Colossus eben in ausufernden Gitarrenstrukturen und sphärisch langen Soundauftürmungen. Etwa im Song „Wasted Time“: Über fünf Minuten hinweg wird fröhlich von Teil zu Teil gesprungen, mal im Half-Time-Beat, dann wieder drängend nach vorn, mal wird gedichtartig rezitiert, auf der Stimme liegen Hall und Delays, dann setzt der Bass plötzlich so funkig ein, wie man das eher von den Red Hot Chili Peppers erwarten würde.

Das ist eine Art des Songwritings, die heute ungewohnt ist. Schon der Zeitaufwand, den es braucht, so komplizierte Strukturen zu schreiben und zu üben, passt nicht zur Schnelllebigkeit, in denen Musik als Projektarbeit derzeit entsteht. Doch es passt zu dem Pathos und den Anspruch, den sich die Band schon mit ihrem Namen gesetzt hat: „Ich finde es wunderschön“, sagt Verena über das namensgebende Gedicht, es sei zwar „sehr pathetisch, aber hoffnungsvoll“ und der Gedanke von Freiheit und Offenheit gegenüber Neuem komme gut zum Ausdruck. Einen reizvollen Kontrast ergibt dazu der Name, den sie ihrer ersten EP, die sie am Mittwoch, 3. Februar, im Münchner Cord-Club vorstellen, nun gegeben haben: „Apoxia“ ist der wissenschaftliche Name für die Höhenkrankheit – und wirkt im Kontext dieser doch recht großatmenden und hochsteigenden Musik auch wie eine Warnung. Auch wenn die Symptome der Höhenkrankheit – Atemnot, Kopfweh und der Verlust, klar denken zu können – für Verena auch Symptome der Gefühle sind, die sie in ihren Texten beschreibt: „Melancholie, Wut und ein bisschen Weltschmerz.“  

Stil: Post-Rock, Pop

Besetzung: Jakob Peintner
(Lead-Gitarre), Fabian Böhm (Schlagzeug), Martin Schmauser
(Rhythmus-Gitarre), Philipp Lohmeier (Bass), Verena Lederer (Gesang,
Keyboard, Synthie)

Aus: Regensburg, München

Seit: 2014

Internet: www.facebook.com/NewColossusMusic

Von: Rita Argauer