Unsere Autorin und ihr bester Freund aus Kindertagen sehen sich nicht mehr oft, seit er in Wien studiert. Ihre Freundschaft aber hält sich durch ganz viel Musik und ausufernde Gespräche darüber am Leben. Immer dann fühlen sie sich wie im siebten Musikhimmel.
Moritz
zu treffen, ist Musik für meine Seele. Die Gewissheit, dass das Leben
mir schon die richtige Melodie spielt und ich so durch die Welt tanzen
darf, wie ich möchte. Wir verlieren uns im Farbenrausch der Musikvideos von Tame Impala,
die so tiefgründig, bunt und wirr sind wie unsere Gespräche nach dem
dritten Glas Rotwein. Unsere Füße halten nicht mehr still, und ehe ich
mich versehe, werfen wir im Unter Deck die Sorgen von uns ab und tanzen
die Nacht durch nebeneinander her, jeder in seinen eigenen Rausch
versunken.
Solche befreiten Abende sind selten und deshalb erst recht Ereignisse
überschwappender Emotion, immer begleitet von einem passenden Liedtext
oder Rhythmus. Denn seit Moritz in Wien wohnt, beschränkt sich unsere
gemeinsame Zeit auf Konzertabende, mit denen ich ihn ab und an in mein
lieb gewonnenes München locken kann. Dann kommt er in meine Wohnung
gestolpert, mit der ersten Frage “Kennst du Parcels?”. Ehe ich
antworten kann, hat er schon Hideout, die EP der Parcels, bei Spotify
gefunden und spielt mir den ersten Track vor. Bei Schnipo Schranke gröhlen wir uns die Songtexte entgegen. Das Feierwerk wird zu unserem
Musikhimmel, den die LEDs in Form von zwei riesigen Wolken, welche die
Bühne der beiden Hamburger Musikerinnen schmücken, suggerieren.
Als wir uns kennenlernten, gingen wir noch zur Schule – in der
überschaubaren Stadt Friedrichshafen am Bodensee, wo früher oder später
eben doch jeder jeden kennt – und fanden uns plötzlich auf einer Hütte
wieder, wie wir im Kabel-Wirr-Warr gefangen verschiedene
Steckkombinationen ausprobierten und Knöpfe drückten, bis wir endlich
die Musikanlage in Gang brachten und uns Milky Chance beschallte. Die
kannte damals noch niemand – außer Moritz. Euphorisiert verbrachten wir
den Abend neben den Musikboxen, diskutierten über Bands und erteilten Albenempfehlungen, bis schließlich im Morgengrauen jemand die Stecker
aus der Anlage zog und wir betrunken und bereichert in unsere Betten
fallen konnten.
Seitdem gleicht unser Whatsapp-Chat-Verlauf einer
Best-Of-Playlist unserer Leben. Ich kriege nicht sehr viel von Moritz’
Alltag in Österreich mit, aber wenn er auf einem Konzert war, erkenne
ich das an einem Youtube-Video, das am nächsten Morgen auf meinem Handy
aufploppt und Mommele – so habe ich Moritz eingespeichert – schreibt: “Hör dir das an, die sind richtige nice!“ Nice sagt Moritz übrigens
ziemlich oft. Zu oft, wie ich finde. Anfangs habe ich noch immer nur das
Gesicht verzogen, wenn er mit seinen Anglizismen einen Satz ruinierte. Irgendwann habe ich damit begonnen, die Zeile "Das ist nice, das ist
nice” aus Von Wegen Lisbeths Song Bitch zu singen. Deshalb hat er
trotzdem noch nicht aufgehört, dieses Wort zu benutzen, aber wenigstens
laufen wir dann eine Weile nebeneinander her und fragen uns singend: “Und
was ist sonst noch so passiert?”
Wenn ich Moritz vermisse, kann ich abwarten, bis endlich wieder
Weihnachten ist und wir gemeinsam in der winterlichen Idylle des
Bodensees der Langeweile trotzen. Oder ich zaubere mir einfach ein
bisschen Moritz-Energie in mich hinein. Dann packe ich mir Bilderbuch
auf die Ohren und stelle mir selbst die Fragen, auf die ich Moritz’
Antworten hören will. Und wenn ich genau hin höre, dann singt er mir diese vielleicht.
Der Song „Stolen Dance“ von Milky Chance (Fotos: Lichtdicht Records) ist Youtube-Hit, nun haben die Musiker Philipp Dausch und Clemens Rehbein ihr erstes Album produziert und planen eine Tour durch Europa.
Eggenfelden, 23.30 Uhr. Ein völlig überfüllter Club irgendwo in Niederbayern. Hinten klettern Gäste auf Barhocker, um wenigstens ein paar Blicke auf die Bühne erhaschen zu können. Dann erklingen die Gitarrenklänge, die jeder im Club erkennt: Stolen Dance. Ein Youtube-Hit, mit mehr als zwei Millionen Klicks. Es ist das Lied, mit dem die beiden Musiker von Milky Chance vor einigen Monaten bekannt wurden. Clemens Rehbein spielt Gitarre und singt dazu von Liebeskummer und Herzschmerz, aber auch den schönen Momenten. Philipp Dausch schaut konzentriert auf sein Macbook, nimmt die Hände nur selten von seinem DJ-Controller und unterlegt das Gitarrenspiel mit treibenden Beats. So werden aus bedächtigen Singer-Songwriter-Nummern Tanznummern, die gleichermaßen zum Clubabend passen, als auch zum Kater am Morgen danach.
Vier Stunden vorher: Außer dem Barpersonal ist noch niemand hier. Auf der Bühne stehen die beiden Musiker und experimentieren mit dem Klang des Raumes. Sie spielen verschiedene Songs, versingen sich absichtlich und grinsen sich zufrieden an. Man bekommt eher das Gefühl, einer Schülerband zuzusehen, wenn man nicht wüsste, wie weit Milky Chance es nur innerhalb eines Jahres gebracht haben. Vor einem Jahr haben sie ihr Abitur gemacht und eine Europareise geplant. Dazu kam es jedoch nicht mehr: „Irgendwie ist das mit der Musik sehr schnell in den Vordergrund getreten. Das war zwar nie geplant, aber auf einmal war es dann eben so weit“, sagt Clemens, grinst und zuckt etwas verlegen mit den Schultern.
Philipp Herder, 28, und sein Bruder Tobias Herder, 32, sind seit längerem eng mit den Musikern befreundet: „Ich habe eines der allerersten Konzerte von Milky Chance gesehen. Mir und so ziemlich jedem anderen im Raum ist dabei die Kinnlade nach unten gefallen – da habe ich schon gemerkt, dass in den beiden noch viel mehr Potenzial steckt“, sagt Philipp. Kurze Zeit nach diesem Konzert, nach zu viel Wein und Zigaretten, entsteht die Idee, ein eigenes Label zu gründen. Der Gedanke, völlig unabhängig Musik produzieren zu können und eine Platte in Eigenregie aufzunehmen, lässt die Freunde, die zu viert das Label betreuen, nicht mehr los. „Wir hatten nur alle überhaupt keine Ahnung, wie das mit einem eigenen Label so funktionieren sollte“, sagt Philipp Herder und lacht. „Wir haben uns im Internet eingelesen, viel ausprobiert und dann einfach gemacht. Natürlich fliegt man gerade am Anfang auch mal auf die Schnauze – es ist eben schwierig gleichzeitig Auftritte zu planen, eine CD zu produzieren und die ganze Promotion für ein Label auszuarbeiten.“ Mit der Hilfe von Freunden und viel Zeit hat das Ganze aber dann doch auf Anhieb erstaunlich gut funktioniert, und so entsteht Lichtdicht Records. Ein mutiger Schritt – selbst Majorlabels verkaufen kaum mehr CDs, den meisten Independent-Kollegen geht es noch weitaus schlechter. Doch im Falle von Lichtdicht Records und Milky Chance funktioniert das Projekt: „Es gibt kaum ein Land, in dem noch niemand unsere Musik heruntergeladen hat“, sagt Clemens.
Durch das große Interesse reichen die Kapazitäten, die Lichtdicht Records bieten kann, nicht mehr aus. Für Veröffentlichungen im Ausland muss ein externer Vertrieb her. Den beteiligten Personen ist dabei am wichtigsten, dass sie niemals die Kontrolle über sämtliche Entscheidungen verlieren – Milky Chance und Lichtdicht Records sollen immer das letzte Wort haben.
Am 18. Oktober erscheint nun das Debütalbum „Sadnecessary“ auch auf CD und Vinyl. Obwohl bereits Ende Mai der Release des Albums war, gab es die Musik bisher nur in einer limitierten Auflage als CD sowie als Download. Der Vertrieb in Deutschland, Österreich und der Schweiz erfolgt durch „Rough Trade“, die unter anderem Größen wie die Arctic Monkeys, Placebo oder Franz Ferdinand verlegen. Bei den Veröffentlichungen im europäischen Ausland kooperiert Lichtdicht Records mit dem belgischen Label „Pias“. Stefan Strüver, Manager von „Pias“ in Deutschland, ist überzeugt, dass Milky Chance auch international überzeugen wird: „Aufmerksam auf ihn sind wir über unser holländisches Büro geworden.“ Während man in Deutschland noch kaum etwas von Milky Chance gehört hatte, begann der Hype sich im Internet bereits zu verbreiten. „Die Musik von Milky Chance klingt einfach nicht nach Deutschland, sondern eher international. Wenn man sich zudem ansieht, wie viel Interesse aus anderen Ländern schon jetzt da ist, obwohl die Platte dort offiziell noch nicht veröffentlicht ist, dann kann man davon ausgehen, dass der Erfolg sehr groß sein wird“, sagt Strüver.
Das Label ist mittlerweile zum Vollzeitjob für die beteiligten Personen geworden: Philipp und Tobias kümmern sich meist abends, nach ihren regulären Berufen, um das Label – Philipp von München aus, Tobias lebt und arbeitet in Kassel. „In Zukunft möchte ich mich noch mehr mit dem Label beschäftigen können und andere Jobs auch mal zurückstellen“, sagt Philipp.
Eine Erklärung für den Erfolg haben Milky Chance selbst nicht wirklich: „Solche Hypes sind etwas Komisches und können morgen schon vorbei sein. Unser Wunsch war einfach nur unabhängig von Außenzwängen Musik machen zu können“, sagt Clemens. Das Album „Sadnecessary“ ist nun das Ergebnis – für Clemens, den Songschreiber der beiden, bezeichnet der Begriff die Notwendigkeit von Melancholie. Die Schönheit im Traurigen – Songs zwischen Akustik-Charme und Indietronic-Hits. Genau einordnen kann man ihren Musikstil nicht – Bob Marley zählt seit jeher als große Inspiration und erklärt so die Reggae-Anleihen. „Sonnige Surfermusik“ à la Jack Johnson ist ebenfalls Bestandteil ihrer Musik. Genauso interessiert verfolgen sie aber auch die Entwicklungen in der elektronischen Musikszene und mischen so alle Einflüsse zusammen. Musik, die gleichwohl Indie-Fans als auch Bayern3-Hörer anspricht.
Booker und Promoter Philipp Herder sieht daher den Erfolg etwas pragmatischer – ihm war zwar auch nicht bewusst, welches Ausmaß das Ganze nehmen würde, aber irgendwie hat er gespürt, dass etwas Großes im Anrollen ist. Am wichtigsten war immer, dass es sich um ein Projekt von Freunden handelte, die gemeinsam Musik veröffentlichen wollten. Wirtschaftliches Interesse war dabei zweitrangig.
Nach dem Erfolg von Milky Chance soll allerdings nicht Schluss für Lichtdicht Records sein: Auch wenn die erste Intention war, die Platte der beiden Kasseler veröffentlichen zu können, sind sie mittlerweile damit beschäftigt, sich auch nach neuen Künstlern umzusehen – Bewerbungen gibt es dafür schon einige. Genaueres möchten die Verantwortlichen von Lichtdicht Records allerdings noch nicht verraten: „Es gibt auf jeden Fall sehr aussichtsreiche Musiker, die wir gerne veröffentlichen würden. Doch wir wollen auf keinen Fall einen Schnellschuss hinlegen. Wir lassen uns viel Zeit und sehen, wie sich alles entwickeln wird – der nächste Künstler sollte natürlich ebenso viel Qualität wie Milky Chance haben.“
Die beiden Musiker sehen das Ganze gelassen: Für sie ist es aktuell die Erfüllung eines kleinen Lebenstraumes und ein großer Spaß – und wenn ihre große Reise nach dem Abitur nicht geklappt hat, dann holen sie den Trip eben jetzt nach. Im Frühjahr beginnt ihre Tour durch Europa, und dabei sehen sie dann endlich jene Länder, die sie schon seit Jahren bereisen wollten.