Nichts ist unmöglich

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Der 26 Jahre alte Aaron Kokal schafft mit seinem Künstlerkollektiv „Schallvagabunden“ Räume für freie Kunst – in einer Stadt, die immer weniger Flächen für junge Kreative bietet.

München ist eine volle Stadt. Voller Menschen, voller Autos, voller sündhaft teuren Wohnungen. Aber keinesfalls leer von Kunst. Auch solcher Kunst, die sich fern der großen Bühnen an genau jenen Orten versteckt, die ihr einen Freiraum bieten, um sich entfalten zu können. Orte, wie sie allerdings immer schwerer zu finden sind in einer nachverdichteten Großstadt.

Der 26-jährige Aaron Kokal ist recht geübt darin, solche Orte ausfindig zu machen. Das von ihm gegründete Künstlerkollektiv „Schallvagabunden“ besetzte schon verschiedene leer stehende Gebäude oder Flächen, sogenannte Zwischennutzungen. Zuletzt verwandelten sie einen leer stehenden Raum in der Dachauer Straße in einen kreativen Kunst-, Konzert- und Feier-Freiraum. Aaron, hohe Statur, verschmitztes Lächeln, ruhige Stimme, wirkt ein bisschen wie ein Fremdkörper in dieser gehetzten Stadt. „Wir wollen etwas auf die Beine stellen, das sich für die verträumten Hippies aus der Großstadt wie ein sicherer Hafen anfühlt“, erzählt er. Mit Stoppelbart, seinen kurz geschorenen Haaren und dem weißen T-Shirt sieht Aaron zwar nicht gerade aus wie ein idealtypisch verträumter Hippie. Aber seine ausgeglichen wirkende Ausstrahlung und sein ruhender Blick machen das wieder wett.

Wenn Aaron zu schwärmen beginnt, von Musik als lebensschöpfender Kraft, von der Unumgänglichkeit der Natur, von großen Ideen wie der „weiterdenkenden Nachhaltigkeit“, gewinnt man den Eindruck, dass in dem 26-Jährigen wohl doch etwas von Beidem stecken könnte: verträumter Hippie und einfacher Junge vom Land.

Letzteres ist noch nicht einmal weit hergeholt. Aufgewachsen ist Aaron im winzigen Weiler Hub: ein paar Bauernhäuser, Felder und Wald, eine Autostunde östlich von München. „Das prägt schon sehr stark da draußen“, meint er. „Du fällst aus der Tür in den Wald rein. Das ist ganz einzigartig.“ Der Umzug nach München mit 14 fiel ihm nicht leicht. „Überall Mauern, Wände“. Wenn Aaron sich heute für Kunst in der Stadt einsetzt, dann immer auch, um jene Wände zu durchbrechen. Er möchte Menschen zusammenkommen lassen, die sich sonst nie begegneten.

Dafür bot ihm die Stadt ein Netzwerk. Aaron lernte Musiker, DJs, Künstler kennen. Tauschte Ideen aus. Er schmiss Kellerpartys in seiner WG. Und er merkte, dass ihm das Organisieren solcher Events am meisten Freude bereitet. Aaron erkennt darin sein großes Talent. „Die Kunst sollen Andere machen“, meint er und lacht. Selbstverwirklichung ist für ihn etwas ganz und gar Kollektives. „Man wächst aneinander und miteinander. Kunst und insbesondere Musik als Erlebnis hat das Potenzial, diese Prozesse zu intensivieren und zu beschleunigen.“

Nebenbei studiert Aaron Soziologie und Philosophie, sechs Semester in fünf Jahren. Kann das gut gehen? „Es gab einfach so viel anderes, was ich tun wollte. Wahrscheinlich bräuchte ich drei Visitenkarten, wenn nicht noch mehr“, sagt der Münchner. Er sucht und nutzt nicht nur vorübergehend leer stehende Häuser oder Hallen, er hat auch Ausstellungen wie die ArtMuc mit kuratiert, als Monteur auf Messen gearbeitet und ein großes Festival in seinem Heimatort aus dem Boden gestampft.

Freistehende Flächen in einer Stadt wie München für Kunst zu gewinnen, ist alles andere als leicht, die Erfahrung musste auch Aaron schon oft machen. Ein Grund, dieser Stadt den Rücken zu kehren, sei das aber noch lange nicht, im Gegenteil: „Gerade deshalb ist diese Stadt der beste Ort, um sich an alternativen Projekten zu versuchen“, sagt Aaron voller Überzeugung. „Das Durchhaltevermögen macht sich umso mehr bezahlt.“ Und wenn Aaron aufzählt, wie viele DJs und Hip-Hop-Produzenten er in den Münchner Clubs entdeckte, lächelt er mit bübischer Freude.

Beim Herzensprojekt der Schallvagabunden aber stellte sich der Erfolg fast von selbst ein. Das „Midsommar“-Festival ist einem alten skandinavischen Brauch nachempfunden, Aaron zündet dann auf einer Wiese in seiner Heimatgemeinde immer ein großes Sonnwendfeuer an. Irgendwann gab es eine ganze Reihe Konzerte und elektronische Musik zum Tanzen dazu. „Das ist ganz von allein gewachsen“, meint Aaron. Besonders schön sei es für ihn zu sehen, dass sich das Gemeinschaftsgefühl über die Jahre erhalten habe. „Weil die Leute von der ersten Stunde alle noch dabei sind und alle sich immer so respektvoll verhalten haben.“ Vor zwei Jahren kamen knapp tausend Menschen, die Münchner Band „Matija“ spielte als Headliner. Aaron dachte noch immer nicht daran, die Feier als Veranstaltung anzumelden. Zurück blieben einige Tage später höchstens ein paar Zigarettenstummel. Die Besucher hätten richtige Putztrupps gebildet. „Die Menschen spüren, dass wir das alle ohne Interesse am Geldverdienen machen. Da kommt immer etwas zurück“, sagt Aaron.

In diesem Jahr wird er seinen „Midsommar“ zum ersten Mal anmelden.  „Es gab nie Probleme mit Anwohnern“, sagt Liselotte Oberauer, die für die Gemeinde Unterreit die Gespräche mit Aaron führte. Das „verantwortungsbewusste Gesamtkonzept“ Aarons habe sie und andere Vertreter der Gemeinde schnell überzeugt. „Er hat das alles sehr seriös durchdacht. Und so eine Veranstaltung bringt viel Dynamik in unsere Gemeinde“, so Oberauer.

Aarons Wirken wird in Unterreit wertgeschätzt. Es geht ihm vor allem um Arbeit für die Gemeinschaft und Wertschätzung ehrenamtlichen Engagements. Und in der Landeshauptstadt? Wenn alles klappt, wird auch hier noch viel vom Langzeitstudenten Aaron zu hören sein. „Wir planen gerade Einiges daheim in München“, kündigt er an.

Die Schallvagabunden stehen kurz davor, ein leer stehendes Fabrikgebäude im Osten Münchens gestalten zu dürfen. Für Partys, Workshops, Proberäume, Co-Working. Freie Flächen für freie Kunst. In München. Einer Stadt, in der selbst das Recht zum Wohnen zum Privileg zu verkommen droht. Aaron macht sich da aber keine Sorgen. „Man findet immer einen Weg.“

Wenn Aaron solche Sätze spricht, dann versteht man, wieso er sich so gerne als rational denkender Motor einer alternativen Bewegung sieht. Er ist kein Mensch, der blind mit dem Kopf durch Wände zu preschen versucht. Der aber immer daran gearbeitet hat, seine Ziele und Ideale zu verwirklichen. Und damit Erfolg hat.

An Plänen fehlt es dem 26-Jährigen nicht: die Schallvagabunden möchte er in der Münchner Szene weiter aufbauen, als Künstlerkollektiv, Konzertveranstalter, Equipment-Verleih und Musiklabel. Für die kommende ArtMuc auf der Praterinsel werden die Schallvagabunden ein musikalisches Rahmenprogramm beisteuern. Ob es da nicht langsam Zeit für die ersten Visitenkarten sei? Aaron schmunzelt. „Wir werden schon sehen“. Ein Satz, der bei ihm nur Gutes verheißen lässt.

Text: Louis Seibert

Foto: Robert Haas