Der Wut-Nomade

Georg Raab beschloss, aus Protest gegen die hohen Mieten wohnungslos zu sein – er musste das Projekt aber bald beenden

München – Laut Statistik ist München die teuerste Stadt Deutschlands. Wegen der hohen Mietpreise ist es nicht einfach, bezahlbare Wohnungen und WG-Zimmer zu finden. Besonders für Studenten. Das machte den Akademie-Studenten Georg Raab, 27, wütend und trieb ihn zu einem ungewöhnlichen Protest an: Er entschied sich, wohnungslos zu sein. Mehrmals in der Woche wechselte er seinen Schlafplatz und kam im Gästezimmer von Bekannten und Freunden unter. Zehn Wochen lang, dann hielt es Georg nicht mehr aus. Nun hat er sich ein WG-Zimmer an der Münchner Freiheit genommen.

SZ: Bis vor ein paar Tagen warst du freiwillig wohnungslos. Warum?
Georg Raab: Von Ende März bis jetzt hatte ich keine eigene Wohnung mehr. Ich hatte zur Zwischenmiete in einer Zweier-WG in Obergiesing gewohnt und musste raus, weil der eigentliche Mieter von seinem Erasmus-Semester wiedergekommen ist. Für Anfang April wurde mir ein WG-Zimmer am Rotkreuzplatz zugesichert. Drei Tage bevor ich umgezogen wäre, kam dann die Absage.

Kurz: Du hattest einfach keine Wohnung mehr. Wo ist der Protest?
Meine Wohnsituation in München war noch nie einfach, seit ich vor vier Jahren zum Studieren hergezogen bin. Aber jetzt bin ich einfach wütend geworden und habe aus Protest beschlossen, ohne Wohnung, dafür frei in einer besetzten Stadt zu leben.

Du hast nur zweieinhalb Monate durchgehalten. Ein sehr kurzer Protest.
Ich wollte meinen Protest bis Juni durchziehen. Doch dann habe ich gemerkt, dass ich einfach einen Rückzugsort brauche. Die ganze Zeit war ich damit beschäftigt zu überlegen, wo ich die nächste Nacht schlafen kann. Ich konnte mich nicht mehr auf die Sachen konzentrieren, die ich machen wollte. Selbst die nomadischen Völker haben ein eigenes Zelt. Einen Ort für sich.

Aber wie viel Protest kann das sein, wenn du auf Kosten anderer gelebt hast – für die sind die Mietpreise bestimmt auch kein Klacks?
Es war eine Kurzschlussreaktion. Mein Konzept war nicht super durchdacht, deswegen musste ich auch abbrechen. Aber manchmal muss man einfach Sachen machen und nicht zu viel überlegen. Wenn man alles verkopft, dann ist man oft verkrampft.

Hast du dich nicht wie ein Schmarotzer gefühlt?
Die Leute, die mich bei sich wohnen haben lassen, machten das ja freiwillig. Klar habe ich mal sauber gemacht, bin einkaufen gegangen oder habe den Müll rausgebracht.

Mit dem Wegfallen von der Miete hast du auch eine Menge Geld gespart …
Ich hatte nicht wirklich mehr Geld. Ich arbeite drei- bis viermal die Woche als Kellner, ohne Miete musste ich weniger arbeiten und konnte das Geld in meine Kunstprojekte stecken. Ein besseres oder dekadenteres Leben hatte ich nicht.

Aber was bringt Protest, der nicht auffällt? Dokumentierst du die Aktion?
Ich finde es affig, nur Fotos von den Wohnungen zu zeigen, in denen ich Unterschlupf gefunden habe. Es wird eine Arbeit zu dieser Zeit geben, aber wohl erst Ende des Jahres. Wie genau, weiß ich noch nicht.

Welche Reaktionen gab es?
Es haben viele Freunde und Bekannte mitbekommen, die haben mich in ihr Gästezimmer eingeladen. Am Anfang gab es auch negative Kommentare, ich würde Leute ausnutzen und auf deren Kosten leben. Aber darum ging es die ganze Zeit ja nicht.

Worum dann?
Es kann doch nicht sein, dass man mehr als die Hälfte seines Einkommens für die Miete ausgeben muss. Wenn die Preise weiter steigen, dann wird München ein unbewohntes Reichen-Ghetto. Mit Wohnungen, die als Kapitalanlagen gekauft werden – nicht, um darin zu leben. Ich will nicht mit dem Finger auf andere Leute deuten, sondern weiterdenken. Sobald man etwas hinnimmt, ist es gegeben. Dagegen wehre ich mich gerade. Auch wenn ich jetzt wieder ein WG-Zimmer habe.

Was ist passiert, wenn du niemanden gefunden hast, bei dem du auf der Couch oder im Gästezimmer schlafen konntest? Ab unter die Brücke?
Das wäre für meinen Protest wohl konsequenter gewesen, aber dazu fühle ich mich noch nicht bereit. Ich wusste immer, wen ich anrufen kann, wenn alle Stricke reißen.

Protest im Wattebausch? Bist du gescheitert?

Nein. Ich wollte nicht zeigen, dass München scheiße ist, sondern dass der Wohnungsmarkt schwierig ist. Ich war in den zehn Wochen viel unterwegs und habe viel erlebt. Gerade beobachte ich, dass sich viele Menschen heutzutage von der Außenwelt abgrenzen, sich im eigenen Nest verschanzen und stundenlang vor dem Fernseher sitzen. Das will ich nicht. Und doch habe ich gemerkt, dass jeder eine Rückzugsort braucht.

Stefanie Witterauf

Foto: Lorraine Hellwig


Zur Wohnsituation in München

Wohnen trotz München: Es gibt einige Aktionen gegen die Lage auf dem Mietmarkt

Um den vielen verzweifelten Studenten, die in München eine WG suchen, eine zusätzliche Pinnwand zu bieten, hat das Magazin Mucbook die Facebook-Gruppe „Wohnen trotz München“ gegründet. Aktuell verfolgen mehr als 14 500 Menschen die Gesuche. Den Namen der Gruppe hat auch den Münchner Musiker Philipp Röder zu einem Song animiert. Aus Protest hat er das Lied „Wohnen trotz München“ auf Youtube gestellt und medienwirksam über den „Tango auf dem Wohnungsmarkt“ gewettert – bei weitem nicht die einzige Aktion in München.
Studenten der LMU campierten 2013 im Lichthof der Uni. „Wenn wir nirgends unterkommen, müssen wir uns eben hier nach einem Schlafplatz umsehen“, erklärte damals Judith Städele vom Bündnis „Studis gegen Wohnungsnot in München“. Kunststudentin Johanna Müller versuchte es hingegen mit Humor. Sie schickte handgeschriebene Briefe an Makler und Vermieter, versehen mit dem Hinweis, viel in Kauf zu nehmen für eine Wohnung: Sei der Vermieter etwa ein Tierliebhaber, so lege sie sich auch gerne einen Dackel zu und benenne ihn nach dem Wohnungsbesitzer. Ein unmoralisches Angebot konnte man 2013 in den Kleinanzeigen entdecken: Dort boten angeblich zwei junge Männer ein billiges WG-Zimmer in Schwabing an. Die Bedingung: Sex. In Wahrheit war das Ganze ein Fake, eine Protestaktion einer jungen Frau, die täglich 100 Kilometer pendeln muss, weil sie in München keine Wohnung fand.  

MBR