Weil es in der Münchner Innenstadt nicht gerade einfach ist, unkonventionelle Partys zu organisieren, hat sich das Kollektiv „Time Tripping“ gegründet. Geboten wird elektronische Musik – und eine eigene Modelinie.
Kein Polizeieinsatz, keine Anwohnerbeschwerden. Im „Unter Deck“ steht die Hitze. Verschwitzte Körper bewegen sich zu dem rhythmischen Bass, der aus den Boxen dröhnt. Hinter dem DJ-Pult steht Max Lehmann, 24. Er wirkt konzentriert. Sein Kollektiv „Time Tripping“ ist hier zu Gast bei einer der monatlichen „Sustain-Partys“. Es ist ein kalter Januarabend. Normalerweise ist das Kollektiv im Sommer aktiv. Im Freien. Unter Brücken. Das bringt Spaß, aber ab und an auch Ärger.
„Time Tripping“ steht für unkonventionelle Partys in München, oft outdoor, immer alternativ. Das Kollektiv veranstaltet seit einigen Jahren Underground-Partys an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum. Das Markenzeichen der Crew sind sommerliche Partys unter den Isarbrücken, aber auch Unterführungen oder Bunker kommen zum Einsatz. Auch im Winter will die Crew ihr Partyvolk nicht enttäuschen, in Ateliers oder Studios, die ihnen von Freunden zur Verfügung gestellt werden. Oftmals erweist sich die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten hier jedoch sehr schwierig, weshalb die Crew Gastauftritte bei anderen Veranstaltungen gerne wahrnimmt.
Gegründet wurde das Kollektiv vor vier Jahren von den jungen Münchnern Max Lehmann, 24, Bruno Schneegaß, 25, Michi Semler, 24, und Fabian Barthel,27. Durchzechte Partynächte und so manches Erlebnis unter einer Münchner Brücke hat eine enge Verbundenheit unter den Crewmitgliedern geschaffen. Die Sätze des Anderen werden vervollständigt, jeder will dringend eine andere Party-Geschichte loswerden. Max, Kommunikationsdesignstudent, trägt Hipsterbart und Brille, er scheint so etwas wie das Sprachrohr der Gruppe zu sein. Stets ergreift er zuerst das Wort. Die vier jungen Männer kennen sich aus der Schulzeit auf einem Münchner Gymnasium, waren dort teilweise Mitglieder der Theatergruppe. Damals veranstalteten sie ihre erste Party unter der Brudermühlbrücke – weil sie die Freiheit reizte, sich auszuleben. Und weil es laut Max in München eben schwierig ist mit den preisgünstigen Party-Locations. Auch durch die positive Resonanz ihrer Gäste war ihnen schnell klar, dass dieses Party-Konzept fortgesetzt werden musste. Nach der Namensgebung – der Begriff stammt aus einem gleichnamigen Song von DJ Hazard – begab sich „Time Tripping“ dann auf die Mission, Münchens Nachtleben ein wenig bunter zu machen. Mit Partys, aber auch mit selbst gestalteten Klamotten.
Im „Unter Deck“ tragen alle Crewmitglieder Oberteile aus dieser Kollektion. Tentakeln einer Krake sind auf einem T-Shirt zu sehen und natürlich das „Time Tripping“-Logo.
Sie alle verbindet eine große Leidenschaft für Drum & Bass und andere basslastige, elektronische Genres wie Dub, Dub-step oder Glitchhop. Vorzugsweise legen sie auf ihren Partys selbst auf, aber auch Gastauftritte externer DJs und Crews werden organisiert. „An sich ist die junge elektronische Szene in München noch etwas überschaubar, vor allem, was Drum & Bass angeht. Das macht aber natürlich auch den Charakter dieser Szene aus, man kennt sich eben“, sagt Michi. Ein weiterer Punkt, der „Time Tripping“-Partys auszeichnet, ist der hohe Spontanitätsfaktor. Fast wie bei einem Happening. Oft werden die Veranstaltungen erst zwei Tage vorher angekündigt. Die Kollektivmitglieder besitzen ihr eigenes mobiles „Time Tripping Soundsystem“, was die Organisation solcher spontanen Events um einiges erleichtert. Hinzu kommen eine eigene Lichtanlage und ein Generator. Für die Crew fallen bei ihren Partys also keine fixen Ausgaben an. Dadurch entstehe laut Max für sie keinerlei Zwang, Eintritt zu verlangen oder an ihrer Bar Umsatz machen zu müssen. Der Getränkeverkauf deckt die Getränkekosten. Ein Partykonzept, bei dem die Musik und der Spaß an einem Rave mit Gleichgesinnten im Mittelpunkt stehen– keineswegs aber das Ansinnen, Gewinn mit dem Abend zu machen. Dies alles in einer Stadt, in der sich kaum ein Veranstalter kostenlosen Eintritt leisten kann und günstige Bierpreise selten geworden sind.
Lauter Bass unter freiem Himmel, noch dazu in der Münchner Innenstadt? Berührungspunkte mit Anwohnern oder der Polizei sind da vorprogrammiert. „An der Isar gibt es natürlich viele Anwohner, die im Sommer mit offenen Fenstern schlafen wollen, die sind also leicht zu verärgern. Daher hatten wir auch schon öfters Kontakt mit der Polizei“, sagt Fabian. „Meistens kommen sie dann aber nur, um uns darauf hinzuweisen, die Musik leiser zu drehen und den Bass rauszunehmen.“ Max erzählt von anderen, nahezu abenteuerlichen Erfahrungen beim Aufbau. „Wir kreuzen mit unserem Equipment genau die Route der sogenannten Isar-Ranger, die ja bis 24 Uhr patrouillieren. Wir haben dann teilweise wirklich jemanden unten bei der Brücke stehen mit Walkie-Talkie, und die anderen stehen oben mit den Boxen im Anschlag. Manchmal haben wir uns auch schon hinter Brückenpfeilern versteckt, alle Lichter aus, Musik aus, und zehn Meter weiter standen die Isar-Ranger und haben rübergeleuchtet.“ Ein Bild, wie aus einem College-Comedy-Movie: Eine Gruppe junger Münchner auf alternativer Partymission, im Versteckspiel mit den Hütern der Isar.
Im Allgemeinen sei für die Partycrew bei ihren Events der rücksichtsvolle Umgang mit der Natur und den Anwohnern selbstverständlich. Auch ist es ihnen wichtig, freundlich und offen auf Polizeibeamte zuzugehen. Laut Max ist es aber trotz der überwiegend positiven Erfahrung mit der Polizei aus anderen Gründen nicht gerade einfach in der Münchner Innenstadt unkonventionelle Partys zu organisieren. „Im öffentlichen Raum im Münchner Zentrum gibt es keinen anderen Ort außer der Brudermühlbrücke, wo man derart kostengünstige und basslastige Partys organisieren könnte. In Berlin ist es da mit den ganzen leer stehenden Locations bestimmt entspannter.“
In diesem Jahr will „Time Tripping“ bei ihren Locations noch kreativer und bei ihrer Message noch politischer werden. Insbesondere was das Thema Gentrifizierung angeht. Außerdem will die Crew diesen Sommer sogar noch einen Schritt weitergehen und ein mehrtägiges Festival in „Time Tripping“-Manier organisieren. „Es gibt hier durchaus gute Möglichkeiten, abseits des musikalischen Mainstreams feiern zu gehen“, sagt Fabian. Sie seien auch glücklicherweise weder die ersten noch die einzigen, die an ungewöhnlichen Plätzen Partys veranstalten. „Es ist nicht alles immer einfach in München, aber wir sind auf jeden Fall optimistisch, was die Zukunft in dieser Richtung angeht“, sagt er.
Text: Amelie Völker
Fotos: Stephan Rumpf, Time Tripping