Die Nebelmelker

Severin Engelmann und Henning Sabersky-Müssigbrodt bringen kleine, portable
Nebelfänger nach Marokko, um die Wasserknappheit des Landes zu bekämpfen. 

Der alte Landrover
ruckelt über die steinigen Straßen. Schnell zieht die karge Landschaft Marokkos
vor dem Fenster vorbei. „Eine braune Mondlandschaft“, sagt Severin, 24, zu
seinem Freund Henning, 21, der neben ihm sitzt. Am Himmel hängen dicke
Nebelwolken. Kein guter Anblick für Touristen. Doch die zwei Münchner Studenten
sind keine verirrten Abenteuerurlauber. Severin und Henning haben eine
ungewöhnliche Mission. Sie fahren in kleine Bergdörfer, um Wasser aus dem Nebel
zu ziehen – so, als würde man eine Kuh melken. Denn viele Menschen in Marokko
plagt ständig der Durst. Das Paradoxe daran: Wasser gibt es zwar genug. Nur
eben nicht in den oft ausgetrockneten Brunnen – sondern in der Luft.

Henning
Sabersky-Müssigbrodt und Severin Engelmann, wieder zurück in München, sitzen
auf der Terrasse der TU und erzählen von ihrer Reise nach Marokko. Von hier aus
kann man die ganze Stadt überblicken, von Nebel keine Spur. Die Februarsonne
scheint nebellos auf München herunter. Severin kneift die Augen zusammen und
schafft es, trotzdem begeistert auszusehen. „Das ist fast schon ein Zauber“,
sagt er fasziniert. „Luft und Wasser sind zwei fundamental verschiedene
Elemente, aber sie arbeiten miteinander.“ Henning zeigt ein Bild auf seinem Handy.
Das Gerät sieht unspektakulär aus. Zwei Meter hoch. 12 Kilo. Ein
Aluminium-Gestell, zwischen das man ein Nylon-Netz gespannt hat. Wenn kalte
Luft auf das Netz trifft, bleiben – vereinfacht gesagt – die winzigen
Wassertropfen im Nebel daran hängen und fallen in den Kanister darunter. In
Marokko, einer der nebelreichsten Gegenden der Welt, sehr vielversprechend.

Severin lehnt sich in
seinem Stuhl zurück. Beim Erzählen hat er etwas Lockeres an sich. Ein Klischee
drängt sich auf: Typ Globetrotter. Einer, der mit geschultertem Rucksack durchs
Hinterland trampt, rasch mit jedem ins Gespräch kommt, und daheim jeden Satz
anfängt mit: „Als ich damals im Ausland war …“ Auf Severin trifft das
Stereotyp zu, zum Teil. Entwicklungshilfe ist für ihn nichts Neues: Er hat
schon Medikamente auf einem kenianischen Ärzteschiff verwaltet. Ein halbes Jahr
lang spielte er mit kambodschanischen Kindern auf Müllbergen Theater. Jetzt
studiert er Wissenschafts- und Technikphilosophie an der Münchner TU. Henning,
BWL-Student, hat in Australien Work&Travel gemacht.

Warum sind sie zum
Nebelfängerprojekt der Studentenorganisation Enactus gestoßen? Weil man mit
einer so einfachen Technik so viel bewirken könne, sagen sie. Und wegen der
Faszination Wasser. „Wasser ist ein Lebenselixier“, sagt Henning. „Wenn ich
nach dem Sport durstig bin, dann ist Trinken für mich so ein Glücksgefühl!“ Das
liest sich wie der ärgste PR-Satz, aber dem Studenten mit den zerzausten roten
Haaren kauft man es ab, wenn er das sagt. Schnell übernahmen sie in der
Initiative das Kommando und stellten den Kontakt nach Marokko her. Die beiden
sind sympathisch, überzeugend. Man kann sich gut vorstellen, wie sie Sponsoren für
das Projekt gewonnen haben. Etwa zu Siemens: die Firma hat ihren Prototyp
gebaut. Oder zu Experten aus Kanada und Teneriffa, die sie mit Satellitendaten
über den Nebel versorgen. Klar, am Anfang hätte man sie als Studenten oft nicht
ernst genommen.

Die Technik ist so
einfach, dass sich die Frage aufdrängt: Warum ist da noch niemand
draufgekommen? Zugegeben: Ist man. Der Wüstenkäfer zum Beispiel. Er sammelt den
nächtlichen Tau an seinen Flügeln und trinkt ihn dann. Auch Menschen nutzen die
Technik. Das Neue an Severins und Hennings Projekt: Ihr Nebelfänger ist klein,
günstig und tragbar. Der konventionelle Nebelfänger bleibt einfach an Ort und
Stelle stehen – dabei ist das unsinnig. „Der Nebel als Ressource ist mal da,
mal dort. Man kann da nicht einfach den Hahn aufdrehen“, sagt Severin. Verzieht
sich der Nebel von der Bergwand auf den Hügel? Zieht man mit dem Gerät
hinterher. Kommt ein Sturm auf? Baut man den Nebelfänger einfach ab. Produziert
werden soll in kleinen lokalen Werkstätten.

Erst einmal sollen nur
50 Haushalte in Marokko mit Nebelfängern ausgestattet werden. Realistisch
wenig. Fatima zum Beispiel. Die Witwe wohnt in einer kleinen Lehmhütte. Sie
lebt vom Kaktusverkauf, hält ein paar Ziegen. Und hat fünf Kinder. Die sind oft
so durstig, dass ihnen die Zunge am Gaumen klebt. Dabei formt das Wasser in der
Luft dicke Nebelschwaden. Darunter darf man sich nicht nur ein paar Wolken
vorstellen. „Das ist ein richtiges Nebelmeer“, sagt Severin – ideal für eine
gute Wasserausbeute. Bis zu sieben Liter kann das Konstrukt pro Tag auffangen.
Dabei wird das Wasser aus dem Nebel nicht getrunken, sondern für die
Landwirtschaft verwendet. Dadurch bleibt dann allerdings wieder Brunnenwasser
zum Trinken, das nicht für die Bewirtschaftung eingesetzt werden muss.

Als die beiden
Studenten Fatima zum ersten Mal besuchten, winkten die zwei einheimischen
Übersetzerinnen ab. Erst mal Tee trinken, das ist in Marokko so üblich. Zwei
Stunden lang lernte man sich erst einmal bei einem Erfrischungsgetränk kennen.
„Das war sehr ungewohnt – aber andererseits auch ein toller kultureller
Austausch“, sagt Severin. Als sie Fatima dann das fremdartige Gerät zeigten,
war sie begeistert. „Sie hat gleich gesagt: Hier ist überall Nebel, lasst das
Ding gleich stehen!“

Auf ihrer Reise wollten
Henning und Severin nicht nur Informationen für ihr Projekt sammeln, sondern
auch testen, ob die Dorfbewohner die Technik annehmen. Denn das ist nicht
selbstverständlich. Gerade frühere Nebelfänger, größer, teuer, wurden von
Dorfbewohnern oft selbst zerstört – aus Eifersucht, weil etwa der Nachbar mehr
Wasser bekam. Das klingt paradox, zeigt aber: Entwicklungshilfe ist mehr als
nur eine Technikfrage. Für die Dorfbewohner ist der stundenlange Gang zum Brunnen
eine jahrzehntealte Tradition mit sozialer Bedeutung. „Der Nebelfänger
durchbricht alte Strukturen und verändert das Verhalten der Menschen“, sagt
Severin. Neben Geografen, Maschinenbauern und BWLern ist deshalb auch eine
Psychologiestudentin im Team. Die soll dafür sorgen, dass die Veränderung
behutsam erfolgt.

Und dafür braucht es
einheimische Mithilfe. „Wenn ich da als Deutscher ankomme, sagen mir die
Dorfbewohner: Der spricht meine Sprache nicht und hat helle Haut, wieso sollte
ich dem vertrauen?“, sagt Henning. Daher haben sie auch eine marokkanische
Studentenorganisation mit ins Boot geholt. Die Wirtschaftsstudenten waren
ständig mit dabei, haben übersetzt und vermittelt. Sich selbst als überlegene
Entwicklungshelfer aufzuspielen? Bei dieser Vorstellung schüttelt es Henning
und Severin regelrecht. „Es ist ein Kulturbrückenprojekt“, sagt Severin. Zu
fünft bei siedender Hitze über Bergstraßen brettern, gemeinsam in dunklen
Hütten Tee trinken – das verbindet.

Mehr als ein halbes
Jahr ist das her. Auf der TU-Terrasse klirren Löffel gegen Teetassen und
Wassergläser. Henning und Severin lassen den Blick schweifen. Wasser, das ist
für sie nicht mehr die Selbstverständlichkeit aus dem Hahn. In Deutschland
verbraucht man 80 Liter am Tag, zehn Mal so viel wie in Marokko. „Wenn meine
Freundin sich die Zähne putzt und dabei das Wasser rinnen lässt, denke ich:
Mach das Wasser aus!“, sagt Severin. Er lacht. Trotz des genervten Untertons.
Und obwohl das ein bisschen nach Kulturschock klingt. Der Student kneift die
Augen zusammen. Die Sonne blendet. Die nächste Marokko-Reise ist schon fürs
Frühjahr angesetzt – natürlich mitten in der Nebelsaison. Dann werden die
beiden im Jeep wieder den dicken Nebelschwaden hinterherjagen.

Hilfe mit Tiefgang

image

Nicola Gärtner und Amir Aboueldahab organisieren als „Ingenieure ohne Grenzen“ ein Wasserprojekt in Afrika.

München – Die „Wassermusik“ von Händel wäre eine passende Musikauswahl für das Benefizkonzert von „Ingenieure ohne Grenzen“ – schließlich verbessern die 20 TU-Studenten die Wasserversorgung in einem abgelegenen Tal in Marokko. Aber die Ingenieure setzen auf Modernes: Für das Konzert am 16. Dezember in der Glockenbachwerkstatt (Einlass 19 Uhr) konnten sie fünf Bands gewinnen, unter anderem Triska aus München. Spenden in Höhe von 7000 Euro haben sie schon gesammelt, der Erlös aus dem Konzert wird nun komplett hinzukommen. Ein Gespräch mit Nicola Gärtner, 22, und Amir Aboueldahab, 26, über die Hintergründe des Projekts und Wassermelonen.

SZ: Wem genau wollt ihr mit eurem Wasserprojekt helfen?
Amir Aboueldahab: Im Tafraoute-Tal in Marokko leben circa 60 bis 70 Berberfamilien. Die betreiben Subsistenzlandwirtschaft und ziehen tageweise mit ihren Ziegenherden in die Berge. Sie haben Wasserprobleme, weil es dort drei Jahre lang nicht ernsthaft geregnet hat. Eine Trekking-Touristin, die zufällig im Tal war, hat sich an „Ingenieure ohne Grenzen“ gewandt. Und wir fanden das Projekt spannend.

Warum engagiert ihr euch gerade dafür?
Amir Aboueldahab: „Ingenieure ohne Grenzen“ ist ja ein deutschlandweiter Verein, aber das ist das erste Wasserprojekt von uns hier in München. Das war für viele eine Motivation. Dieses Thema spricht zum Beispiel Bauingenieure an …

Nicola Gärtner: … oder Umweltingenieure wie mich (lacht). Wir beschäftigen uns im Studium viel mit Wasserbau und Problemen bei der Wasserversorgung. Wir haben hier das Glück, extrem gute Bildung zu erhalten. Da kann man auch mal etwas zurückgeben.

Wie sieht das Projekt genau aus?
Amir Aboueldahab: Die Anfrage war erst einmal, dass wir mehr und tiefere Brunnen bohren sollen. Im Oktober waren wir im Tal, haben Brunnen vermessen und uns überlegt, welche Alternativen es gibt. Wir haben vor Ort festgestellt, dass es vor zwei Monaten geregnet hatte – die Leute hatten also Wasser.

Problem gelöst.
Amir Aboueldahab: Wir haben gemerkt, dass die Leute das Wasser sofort verbrauchen, wenn sie welches haben. Einer hat angefangen, Wassermelonen (Frucht mit circa 96 Prozent Wassergehalt, d. Red.) anzubauen, um sie zu verkaufen. Das ergibt wenig Sinn, damit verkauft man quasi das Wasser auf dem Markt.

Woher kommt dieser Umgang mit Wasser eurer Meinung nach?
Amir Aboueldahab: Das Hauptproblem ist, dass kein Bewusstsein dafür da ist, wie sich Grundwasser verhält. Die Menschen denken, dass das Wasser weg ist, wenn sie es nicht sofort verbrauchen. Es geht uns darum, zu sensibilisieren: Grundwasser, das sie jetzt nicht verbrauchen, ist nach einem Jahr auch noch da. Hier versuchen wir anzusetzen. Mittlerweile sind wir an dem Punkt, wo wir davon ausgehen, dass es eher ein Bildungsprojekt zum Thema Wasserwirtschaft werden wird.

Damit wären die ursprünglichen Planungen hinfällig.
Amir Aboueldahab: Wir versuchen, flexibel zu sein und ergebnisoffen an das Projekt heranzugehen. Das sieht man: Wir haben fünf Technologien ein Jahr lang ausgearbeitet und eigentlich alle wieder verworfen. Die gründliche Vorbereitung von verschiedenen Lösungen war trotzdem wichtig – und mir macht es Spaß, so zu arbeiten. Aber: Wir haben auf diesem Weg auch ein paar Leute verloren, die sich ganz intensiv mit einer Technologie auseinandergesetzt haben.

Geht ihr davon aus, dass das Bildungsprojekt allein das Wasserproblem schon lösen kann?
Amir Aboueldahab: Aktuell gehe ich davon aus. Es ist schwer abzuschätzen, weil wir noch nicht hundertprozentig wissen, wie sich das Grundwasser in diesem Bereich verhält. Um das zu klären, werden wir erst einmal die Daten auswerten, die wir bei der Erkundung gesammelt haben.

Wie problematisch ist es, dorthin zu gehen und zu sagen: „Ihr macht das falsch. Wir zeigen euch, wie es besser geht.“?
Amir Aboueldahab: Es fühlt sich problematisch an. Wir haben bei der Erkundung aber festgestellt, dass die Menschen dort das wollen. Sie haben bei ganz alltäglichen Dingen gefragt, wie sie das jetzt machen sollen. Sie waren fast unsicher, weil sie uns eine völlig überhöhte Kompetenz zugesprochen haben, was alles im Leben angeht.

Welche technischen Komponenten sind in eurem Projekt eigentlich noch übrig?
Amir Aboueldahab: Eine handwerkliche Lösung wäre zum Beispiel, Pumpen der bestehenden Brunnen auf Solartechnik umzurüsten. Das würde den Familien den Druck nehmen, so viel Geld für Treibstoff ausgeben zu müssen. Dann müssten sie – plakativ gesagt – weniger Wassermelonen anbauen.

Beim Benefizkonzert spielen fünf Bands. Wie groß ist deren Interesse?
Nicola Gärtner: Gerade erst hat sich eine der Bands gemeldet. Die Musiker schreiben derzeit ihre Anmoderation und haben sich wirklich Gedanken über das Projekt gemacht und sehr konkrete Fragen gestellt. Das hat mich beeindruckt.

Interview: Katharina Hartinger