Das perfekte Studenten-Dinner

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Neue Freundschaften zwischen Herd und Spülbecken: Die Tablesurfer helfen, Kontakte zu knüpfen – abseits der Uni. Ein Gastgeber kocht in seiner Wohnung für drei Unbekannte.

Ein Abend ohne Freunde? Kennt Julian nicht. Häufig ist er auf Hip-Hop-Partys zu finden, dort heizt er den Zuschauern mit selbst geschriebenen Rap-Songs ein. So kennt er das zumindest aus seiner Heimatstadt Regensburg. Doch vor acht Wochen ist der 19-Jährige für sein Medientechnologie-Studium nach München gezogen. Seinen großen Freundeskreis hat er in der Kleinstadt zurückgelassen. In München fällt es ihm schwerer als gedacht, Anschluss zu finden. Durch einen Sticker im Wohnheim wird er auf die Internetseite Tablesurfer aufmerksam. Das ist eine Dinner-Community für Studenten, bei der einen Abend lang ein Gastgeber und drei zufällig ausgewählte Gäste zusammen kochen.

Patrick Michelberger, 24, Janosch Kindl, 22, Marina, 23, und Markus Okur, 25, kennen die Anonymität der Großstadt. Fast alle von ihnen sind nach München gezogen und haben die Schwierigkeit erfahren, Kontakte zu knüpfen. Deswegen haben sie das Internetangebot Tablesurfer entwickelt: Das Projekt soll abseits vom Unileben neue Freundschaften zwischen Herd und Spülbecken ermöglichen.

Ein mulmiges Gefühl breitet sich in Julians Magen aus, als er mit Paprika und Zuckerschoten vor der fremden Wohnungstür steht. Zu Unbekannten in die Wohnung zu gehen, davor hat ihn doch immer seine Großmutter gewarnt. Doch dann geht die Tür auf und Patrick, ein sympathisch grinsender Lockenkopf, lässt all seine Bedenken verschwinden. Überall im orange gestrichenen Flur der Vierer-WG hängen Schwarz-weiß-Kopien von immer demselben Hund, dem jemand mal einen Schnurrbart, mal eine Piratenkappe aufgemalt hat. Aus der Küche dringen fröhliche Gesprächsfetzen und Indie-Musik, die nach mittwochs im Atomic Café klingt. Es riecht nach den Gewürzen seines Lieblingsasiaten aus der Heimat. Die Gastgeberin Marina öffnet ein viertes Bier, das für Julian bestimmt ist, ein anderes Mädchen schneidet fröhlich Zucchini klein. Einige Minuten später steht Julian mit Messer und Schneidebrett daneben.

Patrick, einer der Macher von Tablesurfer, kommt aus der Nähe von Ravensburg und ist für sein BWL-Studium nach München gezogen. Im Wohnheim und bei den Bar-Tours für Erstsemester lernt er schnell Leute kennen. Das ändert sich, als er an die TU wechselt. Hier seien die Studenten introvertierter, gingen weniger aus als LMU-Studenten, sagt er. Anders als in kleinen Unistädten sei das Studium in München viel anonymer. Es studieren mehr als 50 000 Studenten an der LMU, davon sind derzeit 12 000 neu eingeschrieben. Mit seinem Kumpel Janosch will Patrick eine Plattform schaffen, mit der man Freundschaften abseits des Hörsaals, der Bars und Clubs knüpfen kann.

Patrick und Janosch wollen Abendessen organisieren, bei denen völlig unbekannte Studenten aufeinandertreffen. Beide sind begeisterte Nutzer von Couchsurfing, einer Seite, auf der man sein Sofa kostenfrei für fremde Besucher anbietet. Diese Seite dient ihnen auch als Inspiration. Der Gastgeber stellt seine Küche, drei Stühle und wählt sich nach Sympathie seine Gäste aus. Patrick und Janosch arbeiten monatelang an der Seite. Nach einem halben Jahr entwickelt Patrick die Idee des Dinnerroulettes, eines Zufallsgenerators. Mit der Campusmail können sich die Nutzer nun auf www.tablesurfer.de registrieren. So wird garantiert, dass es nur Studenten sind, die sich hier anmelden. Um das Design kümmert sich das Geschwisterpaar Marina und Markus. Das Logo und die Flyer designt Markus, während Marina, die bereits ein Kinderbuch illustriert hat, die Bilder für die Website zeichnet.

Die Termine für die Kochabende werden auf der Website vorgegeben. Meldet man sich dazu an, wird zufällig die Personenkonstellationen bestimmt. Damit sich niemand benachteiligt sieht, wird abgesichert, dass die Person, sobald sie einmal Gastgeber war, die nächsten drei Mal selbst Gast sein wird. „Ich glaube, dass deswegen viele Seiten nicht funktionieren. Besonders in Deutschland wird ein Leistungsgedanke ausgelebt. Wir wollen keine Perfekte-Dinner-Kopie sein“, sagt Patrick.

Eine Woche vor dem Tablesurfer-Termin, der alle vierzehn Tage stattfindet, stehen die Namen der Teilnehmer fest. Über eine Chat-Funktion können die Studenten gemeinsam das Menü, die Einkäufe und den Abend planen. So wird schnell der Wok aus dem Wohnheim eingesteckt und mit der U-Bahn durch die halbe Stadt transportiert. Wie selten Marina für mehrere Personen kocht, fällt ihr erstmals als Gastgeberin auf. Der Wok ist für das ganze Gemüse zu klein und das Kilo Reis reicht für die nächsten fünf Tage. Nachdem das Gemüse geschnitten ist, wird angestoßen. Noch bevor der Brokkoli im Wok landet, reicht Patrick sein Handy herum: Live-Übertragung zu einem anderen Tablesurfer-Tisch. Die Teilnehmer auf dem Foto schauen glücklich und satt in die Kamera, vor ihnen stehen Reste einer Lasagne. Während über den Abriss der Ruby-Bar und die Luxuswohnungen im Glockenbachviertel diskutiert wird, kümmert sich Marina um die letzten Handgriffe am Herd.

Besonders die Integration der Erasmus-Studenten liegt den Tablesurfern am Herzen. Online ist die Website momentan zweisprachig, soll aber noch weiter ausgebaut werden. „Wir wollen Studenten unterschiedlicher Studiengänge und kultureller Hintergründe zusammenbringen“, sagt Patrick. Das Ziel der Studenten ist es, die Dinner-Community erst in München und dann auch in anderen Unistädten aufzubauen. Geld wollen sie damit nicht verdienen, aber Sponsoren finden, die dann die laufenden Kosten übernehmen.

Mittlerweile ist die dritte Flasche Wein entkorkt und die Gespräche haben sich über den normalen Smalltalk hinaus entwickelt. Julian, der Jüngste in der Runde, stellt gerade seine Rap-Künste zur Schau, als man die Eingangstür ins Schloss fallen hört. Einige Sekunden später streckt Mara, die Mitbewohnerin von Marina, den Kopf durch die Küchentür. „Huch, so viele bekannte Gesichter“, ruft sie freudig – eine Tablesurferin ist eine ehemalige Mitschülerin, die Mara seit ihrem Abi vor vier Jahren nicht mehr gesehen hat. München kann als Großstadt manchmal auch wieder ganz klein sein.

Stefanie Witterauf