Der Medienkaufmann, Schlosser, Regieassistent, Barkeeper und Kabelträger Michael Wolf hat seine Passion gefunden: Er setzt Musiker in München in Szene, mit Filmen ohne einen einzigen Schnitt
Ächzen von Holz dringt durch die kalte Winterluft. Als Michael Wolf das Tor zur Scheune öffnet, fällt eine ganze Ladung Staub auf seine sauber gekämmten Haare und auf die schwarze Lederjacke. Doch ihn stört das nicht, ein kurzer Blick zur Seite beruhigt ihn: Seine Kamera liegt noch immer gut geschützt in der Ecke, die hat nichts abbekommen. Das ist auch gut so, nicht nur weil sie Michaels wichtigstes Arbeitsgerät ist. Auch die Live-Session, die der Münchner gleich mit dem Augsburger Folk-Trio John Garner in dieser alten, verlassenen Scheune im tiefsten Oberbayern abhalten wird, hätte es sonst nicht gegeben.
Michael ist Filmemacher. Im August gründete er die „Monaco Sessions“ und setzt seitdem Künstler an ungewöhnlichen oder einfach schönen Orten der Stadt in Szene. Auf den Olympiaberg hat er seine Kamera schon mitgenommen, auch in den Nymphenburger Schlosspark. Und nun in diese modrige Scheune, die neben der modernen Filmtechnik wirkt, als entspränge sie einer anderen Welt.
Nicht nur Münchner Musiker seien zu diesen Sessions eingeladen, sagt er später draußen, während er sich an einer Tasse Tee die Hände erwärmt. „Auch die von außerhalb, die für ein Konzert hierher kommen und Lust auf eine kleine Session haben.“ Das sind Münchner Originale wie Lucie Mackert und Peter Fischer. Aber auch den britischen Sänger Ryan Inglis hat er schon vor seine Kamera gebracht, genauso wie die Amerikanerin Joanna King.
Der 25-jährige Medienkaufmann will aufstrebenden Künstlern eine Plattform bieten „auf der sie gehört werden“, wie er sagt, und auch ein Porträt seiner Heimatstadt schaffen. „München hat so viele wunderschöne Orte“, schwärmt er. Da falle die Suche nach neuen Plätzen zum Drehen selten schwer. Michael macht selbst Musik, bis vor wenigen Jahren spielte er Gitarre, schrieb und sang die deutschen Texte der Pop-Rock-Band Lucky Melange. Von daher weiß er, wie schwer es sein kann, als Musiker Fuß zu fassen. „Ich wäre damals froh gewesen, wenn jemand eine Session mit uns gemacht hätte“ sagt er. Die Band löste sich aus einem Mangel an Probe- und Aufnahmemöglichkeiten auf.
Doch Zweifel an seinem Lebensweg kommen bei ihm keine auf. Michael ist kein Mensch, der sich von der Vergangenheit einholen lässt. „Ich stehe auch eigentlich nicht so gerne auf der Bühne und im Rampenlicht“, sagt er. Eines hat er aus seiner Zeit als Musiker auf jeden Fall gelernt: „Du kannst nie erwarten, dass dir Erfolg einfach vor die Füße fällt.“
Und mit diesem Grundsatz versucht der 25-Jährige nun, sich selbstständig zu machen. Der Wechsel hinter die Kamera war nie so wirklich geplant. Die Biografie des Münchners liest sich als langer Weg zur Selbstverwirklichung: Nach einer Schlosser- und Schweißerlehre arbeitete er mehrere Jahre als Praktikant und Auszubildender in einer Filmproduktionsfirma, jobbte als Regieassistent, Barkeeper und Kabelträger. „Das mit dem Filmen hatte mich inzwischen gepackt“, sagt Michael und so bewarb er sich für einen Platz an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Über einen Freund kam er auf die Idee, selbst Videos zu produzieren. „Ab da fing ich an, mir zu YouTube Gedanken zu machen. Und da mich die HFF nicht wollte, dachte ich mir, ich mache mein eigenes Ding.“
Das Filmen brachte er sich selbst bei, „mit viel Einsatz geht das schon“, sagt er und lacht. „Es kommt vor allem darauf an, einen cineastischen Blick zu entwickeln und sich dann einfach von seinem Unterbewusstsein leiten zu lassen.“ Große Pioniere wie Hitchcock nennt Michael da als Vorbilder genauso wie zeitgemäße Videoprojekte, etwa die „Mahogany Sessions“.
Deren Einfluss auf seine Arbeit ist kaum abzustreiten: „Die Nähe zum Künstler in den Sessions hat mich sofort beeindruckt“, sagt er. Wie beim Vorbild aus Großbritannien passt Michael den Drehort an den jeweiligen Musiker an. Seine Videos kommen ganz ohne Schnitt aus. „One-Take-Prinzip“ nennt er das: „Jeder Schnitt würde das Video verfälschen und künstlich wirken lassen.“ Das Ganze ist zwar nicht wirklich neu – unter anderem drehten bereits die deutsche Indie-Band Kraftklub oder die Kanadierin Kiesza Musikvideos ohne Schnitt. Michaels Herangehensweise ist aber doch eine eigene. Die ungeschnittenen Aufnahmen wirken sehr intim, er selbst beschreibt sie als „ehrlich“.
Auch Kilian Unger alias LIANN ist nach zwei Videos beeindruckt: „Ich habe ihm vertraut bei der Kameraarbeit, und das hat sich gelohnt“, sagt der Singer-/Songwriter über die Aufnahme seines Songs „Chicago“ am Sendlinger Tor. Und wenn man merkt, wie elegant ein Close-Up der Gitarrenbünde in die Totale übergeht und die Musik mit der Umgebung verschwimmt, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie viel Arbeit in diesen Filmen steckt.
Die sollen sich zukünftig auch auszahlen: Mit der Hilfe von Sponsoren hofft Michael, sich selbstständig machen und sich so ganz auf das Filmen konzentrieren zu können. „Und dann würde ich gerne auch Interviews machen und eigene Konzerte organisieren, um die Monaco Sessions als Marke weiter auszubauen.“
Ob er sich auch irgendwann einmal einen Wechsel zurück vor die Kamera und auf die Bühne zutraut? Michael schmunzelt. „Ich versuche langsam, wieder selbst etwas Musik zu schreiben“, sagt er und spricht von „Singer-/Songwriter-Zeug im Sportfreunde-Stiller-Stil“. Für die Monaco Sessions käme diese Musik dann allerdings nicht in Frage. „Höchstens mit einer Maske“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Vielleicht blendet das Rampenlicht einfach weniger stark – durch eine Kameralinse betrachtet.
Text: Louis Seibert
Foto: Ryan Inglis