Sit-in der Neuzeit

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Das Kollektiv “Einmal Utopie, Bitte” ruft im Dezember zu den Schwarzfahrtagen auf und fragt, warum der öffentliche Nahverkehr nicht kostenlos sein könnte. Ihr Motto: Erst träumen, dann Lösungen suchen

Manchmal hilft nur noch Utopie. Das denken zumindest drei junge Schauspieler und Liedermacher, die sich zu einem Kollektiv zusammengeschlossen haben: „Einmal Utopie, bitte“.

Lucie Mackert, Peter Fischer und Robert Heigl wollen mit ihren Aktionen keine Probleme aufzeigen, sie wollen Denkräume öffnen. Sie sagen: „Man muss erst einmal Träume zulassen und dann gucken, wie man sie verwirklichen kann.“ Ihre nächste Aktion starten sie im Dezember.

SZ: Ihr ruft zum Schwarzfahren auf. Seid ihr wahnsinnig? Das gibt Ärger.
Robert Heigl: Warum? Wir tun nichts Verbotenes. Und die Menschen, die sich unserer Aktion anschließen, auch nicht.

Die Münchner Verkehrsgesellschaft versteht beim Schwarzfahren keinen Spaß.
Wir rufen nur dazu auf, in schwarzer Kleidung zu fahren. Das wird man schon noch dürfen.

Aber natürlich denkt jeder zunächst an was anderes.
Die Schwarzfahrtage spielen natürlich schon mit dem Begriff des Schwarzfahrens. Es soll aber keine Rebellion gegen die MVG sein.

Sondern? Was hat euch zu dieser Aktion bewegt?
Auslöser war die erneute Preiserhöhung der MVG und das Gefühl, dass es keinen Protest dagegen gab. Die Menschen nehmen das immer wieder hin und fragen sich nicht, ob es auch andere Möglichkeiten gibt. Wir haben uns damit beschäftigt und recherchiert, ob es Alternativen gibt.
Und?
Wir sind dann auf den kostenfreien Nahverkehr gestoßen, wie es ihn zum Beispiel in der estnischen Hauptstadt Tallinn bereits gibt. Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht. Und: Es ist notwendig, denn die Stadt ertrinkt in Verkehr. Es ist laut, es stinkt, und Mobilität kann sich nicht mehr jeder leisten.

Also geht es doch gegen die MVG.
Nein. Wir haben uns gefragt, ob man in unserer Gesellschaft die Prioritäten verschieben kann. Die Autobranche wird mit einer Selbstverständlichkeit subventioniert, obwohl alle wissen, dass Autos nicht zukunftsfähig sind.

Habt ihr euch auch damit auseinander gesetzt, wie utopisch die Finanzierung eines kostenfreien Nahverkehrs ist?
Er wird hauptsächlich über Steuern finanziert, so wie Schulen auch. Jede Gesellschaft definiert doch selbst, welche Aufgaben ihr so wichtig sind, dass sie dafür kostenlose Angebote schafft.

Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Finanzen sind ein komplexes Thema.
Wir haben versucht, mit realistischen Zahlen zu arbeiten, aber wir sind natürlich keine Volkswirtschaftler, das ist aber auch nicht unser Anspruch. Der Gedanke, dass es in München kostenfreien Nahverkehr geben könnte, kam uns erst einmal sehr utopisch vor. Aber wir haben herausgefunden, dass es das in anderen Städten tatsächlich gibt. Ist es in Bezug auf die Klimadebatte nicht im Sinne von uns allen, einen kostenfreien Nahverkehr anzubieten? Es wäre ein Riesenanreiz, das Auto weniger zu benutzen, was der Umwelt zugute käme und auch ärmeren Menschen wieder die Möglichkeit gäbe, in ihrer Stadt mobil zu sein.

Und das wollt ihr mit schwarzen Klamotten erreichen?
Die Schwarzfahrtage finden vom 13. bis 20. Dezember statt. Jeder kann in schwarzer Kleidung fahren, Fotos und andere Beitrage unter #schwarzfahrtage teilen. Zusätzlich haben wir noch vor, zum Auftakt gemeinsam in einer Tramlinie zu fahren.

Ein Sit-in wie in den Sechzigerjahren. Glaubt ihr, das Schwarzfahren fällt überhaupt auf?
Wir müssen schauen, wie die Aktion funktioniert, ob die Leute unsere Handzettel lesen. Wir haben aber kein Ziel, das wir erreichen müssen. Wir probieren das einfach mal aus.

Trotzdem: Auch der Hipster trägt schwarz. Protest, der nicht auffällt, wird nichts bringen.
Vielleicht kann man sich auch besondere Accessoires anziehen. Wir sind mit unseren Hüten für die Fotos doch sehr aufgefallen. Aber auch durch unseren Kickoff wollen wir Aufmerksamkeit auf uns ziehen.

Ist München die passende Stadt für solche Utopien? Die Studenten zum Beispiel haben sich mit einer deutlichen Mehrheit für das Semesterticket entschieden, obwohl es in den vergangenen Jahren eine rasante Preissteigerung gab. Zeigt das nicht, dass sich die Menschen in München die Preise leisten können?
Gerade hier ist es wichtig, weil es nicht nur Leute gibt, die sich es leisten können, sondern daneben eben auch die, die das nicht können.

Ihr seid auf Bühnen unterwegs, wie viel Selbstinszenierung steckt in den Aktionen?
Hoffentlich nicht zu viel. Ein bisschen müssen wir als Personen auftreten, um griffig zu zeigen, wer wir sind und was wir machen. Aber es geht uns darum, die Leute mit Gedanken zu erreichen und nicht darum, dass sie uns als Personen wahrnehmen. Ein Teil der Aktionen sind natürlich Inszenierungen, um die Menschen anzusprechen, aber unsere Gedanken sind frei von Selbstdarstellung.

Versteht ihr das als Kunst? Oder wollt ihr tatsächliche Veränderungen hervorrufen?
Man muss sich frei machen davon, dass alles einen unmittelbaren Effekt haben muss. Es geht um die Bereitschaft, Utopien überhaupt zu sehen. Sie müssen nicht gleich umgesetzt werden. Politisch aktiv zu sein ist immer auch eine Frage der Reichweite. Das Ziel ist Menschen zu erreichen, die das mitkriegen und somit Denkräume aufmachen.

Wenn ihr wirklich etwas ändern wollt, wieso investiert ihr eure Zeit nicht in Unterschriftenaktionen oder Dinge, die tatsächlich Änderungen bringen können?
Als Privatpersonen machen wir solche Dinge auch. Aber wir glauben, dass das, was wir tun, zu wenig gemacht wird. Wir wollten damit einen Schritt weitergehen als nur unsere Unterschrift zu setzen: Die Möglichkeiten durch unsere Utopien überhaupt erst einmal aufzeigen.

Interview: Sandra Will

Foto: 

Sascha Loha

Lucie Mackert (Chanson / Songwriter / Folk)

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Jahr: 2014, Woche: 19

Hört mir zu! Die Songwriterin Lucie Mackert weiß sich vor Publikum zu präsentieren. Nach ihrem Schauspielstudium stürmt sie gerade Münchnens Bühnen. Rhythmusbetont, mit Schellenband am Fuß befestigt, erzählt sie Geschichten in ihren deutschsprachigen Chansons.

Die St-Laute am Ende von Worten zischen nur so von der Bühne. Aber auch weniger harte Buchstabenkombinationen wie etwa „ch“ schießt Lucie Mackert (Foto: Steffen Sixt) Richtung Publikum, angriffslustig und mit einer klaren Aussage: Hört mir zu! Auch ohne dass man um ihr Schauspielstudium und ihre Erfahrung im Ensemble des Theaters Tübingen weiß, ist das Theater in der Musik der Songwriterin präsent. Ihre deutschen Texte erzählen Geschichten, die einer Dramaturgie folgen, ihre Haltung hat Bühnenpräsenz, die weit von der so oft gesehen, schüchternen und vermeintlich authentischen Songwriter-Haltung entfernt sind.

Mit dieser Musik stürmt die gebürtige Pfälzerin gerade Münchens Bühnen und konnte die Publikumsentscheidungen beim „Milla-Song-Slam“ und der „Munich Song Connection“ im Einstein für sich gewinnen. In Frankfurt am Main hatte sie Schauspiel studiert, während des Studiums sei die Musik aber erst einmal aus ihrem Leben verschwunden, erzählt sie. Zuvor habe sie ihre Schulzeit über in Bands gespielt, zuerst am Schlagzeug, doch die Lust, an der Bühnenrampe zu stehen und zu singen, trieb sie an die Gitarre und ans Mikrofon.

Von ihren Schlagzeug-Kenntnissen aber profitiert ihre Musik auch heute wieder: Sie schlägt die Gitarre mehr rhythmusbetont als melodiös, an einem Fuß befestigt sie ein Schellenband, mit dem anderen tritt sie eine Bass-Drum. 2013 hat sie in München begonnen, diese Songs zu schreiben. Der Wunsch, die eigene Musik wieder in ihrem Leben zu etablieren, ließ sie ihr Engagement in Tübingen beenden, um als freie Schauspielerin, Synchronsprecherin und eben Musikerin in München zu arbeiten: „Mein Herz schlägt genauso für die Schauspielerei wie für die Musik,“ sagt sie, „für mich ergänzen sie sich perfekt.“

Zwischen Folk und Chanson sind ihre Lieder auch immer kleine Geschichten, die sie ähnlich distanziert, aber nahbar vorträgt wie etwa Anna Depenbusch. Und unter all dem erzählten Drama liegt auch bei Lucie ein gewisser Witz, der aber die Grenze zum Kabarett gekonnt und bewusst meidet. Am letzten Wochenende der Ausstellung „Aufgeschlossen“ der Junge-Leute-Seite der SZ tritt sie am Samstag, 24. Mai, im Farbenladen des Feierwerks (Hansastraße 31) auf. Rita Argauer

Stil: Chanson, Songwriter, Folk.
Besetzung: Lucie Mackert (Gitarre, Gesang, Percussion).
Aus: München.
Seit: 2013.
Internet: www.luciemackert.de.

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Rita Argauer ist die Musik-Expertin der Junge-Leute-Seite. Sie ist nicht nur ständig auf der Suche nach neuen Münchner Bands und deswegen in den Clubs dieser Stadt unterwegs. Sie kennt die Szene auch von der anderen Seite: Sie singt und spielt Keyboard in der Band Candelilla.