Poesie und Biologie

Biologiestudentin Sophia Klink, 22, schreibt ihren Debüt-Roman “Luftunterfläche”: Über die Biologie schreiben und in diesem Schreiben über generelle
Phänomene nachdenken. Beziehungen, Lebenssinn – abgebildet auf ein Tier,
eine Pflanze, einen Pilz. Wenn sie nicht schreibt, verbringt Sophia ihre Zeit in der Uni, forscht über Schnecken.

Ihre Körper leuchten in gelb, grün, blau, orange. Kein LSD-Trip, sondern Biologie. Mit anmutiger Langsamkeit schieben sie sich Stück für Stück voran. Meeresnacktschnecken sind faszinierende Tiere. Das findet auch Sophia Klink, 22. Sophia, die Biologiestudentin, die gerade ihren ersten Roman schreibt.
„Luftunterfläche“ heißt ihr Buch, das vom Erwachsenwerden dreier Abiturienten erzählt, die in biologischen Experimenten nach einem Sinn des Lebens suchen, einer Aufgabe, der man folgen kann. Ihre Protagonisten betrachten die Welt durchs Mikroskop. Würmer sind für sie nicht einfach Tiere, sie sind Forschungsgegenstände, die man tötet, um sie zu untersuchen. „Ich kann nicht genau sagen, wann sie sterben. Irgendwann bewegen sie sich einfach nicht mehr. Wir verlieren kein Wort über das Töten. Es ist Töten, auch wenn wir es Fixieren nennen“, heißt es da an einer Stelle. Das klingt brutal und nachdenklich zugleich. Sophia spielt mit solchen Dingen: Über die Biologie schreiben und in diesem Schreiben über generelle Phänomene nachdenken. Beziehungen, Lebenssinn – abgebildet auf ein Tier, eine Pflanze, einen Pilz. Vergangenes Jahr hat Sophia für dieses Projekt das Literaturstipendium der Stadt München erhalten. 6000 Euro, die es der Autorin ermöglichen sollen, ohne finanziellen Druck zu schreiben. 

Beziehungen, Lebenssinn –
abgebildet auf ein Tier,
eine Pflanze, einen Pilz. 

Sophias „ungewöhnliche und eigenständige essayistische Prosa mit dem Mut zum Ungesagten“, so formuliert es die Jury des Literaturstipendiums, erzählt von einem Wunsch, der viele junge Menschen umtreibt: Aktiv sein, etwas zum Positiven verändern, obwohl man das vielleicht gar nicht kann. In Sophias Buch heißt Veränderung: etwas Positives bewirken für die Natur. Aber: „Ich will nicht belehren.“ Literatur soll nicht den moralischen Zeigefinger erheben. Es gehe darum, den Blick auf die Schönheit und Fragilität der Natur zu lenken, erklärt die Biologiestudentin, „auf die unsichtbaren Dinge“.

Unsichtbare Dinge? „Ich kenne mittlerweile so viele Pflanzen und Tiere. Vor meinem Studium dachte ich: Das ist Gras, Gras und noch mal Gras.“ Manch ein Leser mag diese Details, die sich durch ihre Texte ziehen, als belanglos empfinden. Für die Jungautorin sind sie das nicht. Beginnt Sophia von der Natur zu sprechen, redet sie dermaßen schnell, dass man kaum noch folgen kann, so begeistert ist sie. Warum sind Schmetterlingsflügel bunt? Ach ja, Regenwürmer haben zehn Herzen. Und Schnecken: faszinierende Tiere … Das Thema treibt sie um, das spürt man im Gespräch.

Es treibt sie so sehr um, dass sie 2012 ein Biologiestudium aufgenommen hat. Ein scheinbar seltsamer Entschluss für jemanden, der schreiben will, seit er in die erste Klasse kam: „Ich wusste immer: Das will ich machen! Bücher schreiben ist so etwas Tolles, das will ich auch können.“ Zwei große Schuhkartons voll selbst geschriebener Geschichten aus der Jugendzeit stehen bei ihr zu Hause. Thema dieser Texte: klar, die Natur. Geschichten über Landstreicher, die mit Tieren sprechen können.

Sophia ist ständig
in der Uni, forscht intensiv
an den Schnecken. 

Klingt, als sei Biologie das perfekte Studium für Sophia. Ihr Spezialgebiet: Schnecken. Seit 2015 ist sie Mitglied einer Forschungsgruppe der LMU, die sich intensiv mit Mollusken, also Weichtieren wie Schnecken, Würmern oder Muscheln, auseinander setzt. Aber, sagt Sophia: „Meine Kommilitonen und Profs finden schon cool, dass ich schreibe, doch man würde mit ihnen abends nicht unbedingt auf eine Lesung gehen.“ Traurig klingt das, einsam, hat sie doch schon die umgekehrte Erfahrung gemacht: dass sie als Biologin aneckt unter Schriftstellern, sich fehl am Platz fühlt. Sophia war 19, da wurde sie erstmals zum Treffen junger Autoren eingeladen. Eine große Ehre. Viele ehemalige Teilnehmer des Treffens sind heute erfolgreiche Autoren. Also ist Sophia dorthin gefahren. Von Trudering nach Berlin. Dorthin, wo man wenig über Biologie und viel über das Schreiben redete. Wo die Schriftsteller so freigeistig und intellektuell und lebenserfahren wirkten. Sie erinnert sich: „Ich wurde dort sehr herzlich empfangen, aber ich kam mir sehr brav vor.“ In gewisser Weise ist sie das: Sophia ist ständig in der Uni, forscht intensiv an den Schnecken. Für Freunde, Schreiben, Kulturevents bleibt wenig Zeit. Sophia, die Pflichtbewusste. Sophia, die auf den ersten Blick etwas unsicher wirkt.

Natur wird in ihren Texten
zur Metapher für Freiheit,
für Schönheit

Doch dann gibt es diese andere Seite. Vergangenen Sommer hat sie eine Backpacking-Tour gemacht. Drei Wochen durch Südost-Europa. Ganz allein. Da war diese Nacht, in der Sophia auf einer Klippe geschlafen hat. Bei Regen. Und starkem Sturm. Nur in einen Schlafsack eingerollt, die Habseligkeiten in eine Mülltüte gewickelt. „Ich habe sechs Stunden lang auf dem höchsten Aussichtspunkt gelegen und mir die Seele aus dem Leib gehustet. Dann habe ich mir eine Mulde gesucht und konnte noch ein paar Stunden wunderbar schlafen“, sagt sie. So wie Sophia das schildert, klingt das so normal, so selbstverständlich. Da merkt man, dass sie weniger angepasst ist, als sie zunächst zu sein scheint. Dass sie angenehm unerschrocken durch das Leben geht. Und dass sie wirklich weiß, wovon sie schreibt, wenn Natur in ihren Texten zur Metapher für Freiheit wird, für Schönheit.

Das findet Anerkennung: Mit 21 wurde sie ein weiteres Mal zum Treffen junger Autoren eingeladen, 2015 gab es das Literaturstipendium der Stadt München, derzeit nimmt sie am Romanseminar der bayerischen Akademie des Schreibens Teil. 100 komplett ausgearbeitete Seiten sollen im Zuge des Seminars bis November entstehen, das hat sich die Autorin in Bezug auf ihr Debüt vorgenommen. Im Sommer geht es dann wahrscheinlich nach Malaysia – Forschungsreise. Schwerpunkt: Klar, die Meeresnacktschnecken. Gar nicht so einfach für Sophia. Sie hat eine Schneckenphobie. 

Von Carolina Heberling

Foto: Yunus Hutterer