Refugee Law Clinic: Jura mal anders

Behördengänge? Können kompliziert sein, besonders für Flüchtlinge. Die Initiative “Refugee Law Clinic” will Asylsuchende dabei unterstützen.

Jahrzehntelang war es verboten. Doch mittlerweile dürfen Studenten auch in Deutschland juristische Beratung leisten. Das krempelt nicht nur das Jurastudium um, sondern kommt zugleich auch Bedürftigen zu Gute. Ursprünglich sind die „Law Clinics“ eine Erfindung aus den USA. Mittlerweile gibt es sie auch in München. Das Prinzip ist einfach: Angehende Juristen und ehrenamtliche Helfer unterstützen Asylbewerber bei Behördengängen. Außerdem bieten sie kostenlose Deutsch- und Fremdsprachenkurse an. Wer mitmachen will, sollte viel Spaß an der Vereinsarbeit mitbringen. Das Ziel: Durch eine Kombination aus theoretischer und praktischer Ausbildung sollen die Studenten schon während ihrer Ausbildung mit dem künftigen Berufsalltag konfrontiert werden. Dieses Konzept scheint aufzugehen, auch für Franziska Faßbinder und Lisa Schmidt (Foto: Sandra Singh), beide Mitte 20: „Als wir die Beratung das erste Mal angeboten haben, saßen schon eine halbe Stunde vorher sieben Hilfesuchende vor dem Beratungszimmer“, sagt Franziska. Sarah Brenner

Auf Bewährung

Die Refugee Law Clinic bietet Rechtsberatung für Flüchtlinge an. Franziska Faßbinder, 25, und Lisa Schmidt, 24, engagieren sich dort – um Flüchtlingen zu helfen und neue Motivation für ihr Jurastudium zu schöpfen.

Man möchte nicht spekulieren, was sich Flüchtlinge, die nach Monaten, Jahren der Flucht in Deutschland ankommen, am meisten wünschen. Ein Wunsch, den die angehenden Juristinnen Franziska Faßbinder, 25, und Lisa Schmidt, 24, (Foto: Sandra Singh) immer wieder hören, klingt so: endlich zu Hause anrufen, den Eltern sagen, dass man wohlbehalten angekommen ist, und hören, ob es der Familie in der Heimat gut geht. Es ist ein Wunsch, der oft nicht folgenlos bleibt. Vielmehr ist es einer der Gründe, warum Flüchtlinge in Deutschland Rechtsberatung brauchen, erklärt Franziska Faßbinder. „Man muss sich das so vorstellen: Man hat einen ganz jungen Asylbewerber – vielleicht 19 Jahre alt. Und er möchte nichts lieber, als sofort mit seiner Familie telefonieren. Also geht er in das nächste Geschäft und lässt sich einen extrem blöden Handyvertrag aufschwatzen. Und dann ruft er zu Hause an, zum Beispiel im Senegal, und telefoniert eine Dreiviertelstunde mit seiner Mama. So bekommt man dann eine Rechnung von, sagen wir, 1300 Euro.“

Immer wieder bleiben solche Rechnungen offen. Mahnungen, die sicher nicht bezahlt werden können, erreichen die Flüchtlinge. Was viele nicht wissen: „Eine zu hohe offene Forderung kann Auswirkungen auf den Asylantrag haben. Das heißt, das, was für Telefongesellschaften wenig Geld ist, bedeutet für einen Menschen seine Existenz“, sagt Franziska. Beratungen für solche Fragen gibt es einige, im August dieses Jahres ist noch eine weitere hinzugekommen: die Refugee Law Clinic mit Studenten wie Franziska und Lisa, die in dem Rahmen helfen wollen, in dem sie es können.

Law Clinic nennt sich das Konzept, in dem angehende Juristen ehrenamtlich beraten und so selbst erste praktische Erfahrungen sammeln können. In München bekommen die Studenten dabei Unterstützung von ihrem Beirat. Das sind Experten auf dem Fachgebiet, die vorab Vorträge zu ihren jeweiligen Schwerpunkten halten und den Studenten bei heiklen Fragen zur Seite stehen, ihnen auch sagen, wo sie helfen können und in welchen Fragen sie es lieber lassen sollten.

Iris Ludwig ist eine von ihnen. Von dem Konzept der Law Clinic ist sie begeistert, auch weil damit ein Thema mehr Aufmerksamkeit erhält, das sonst von der Uni häufig vernachlässigt würde. Mit fatalen Konsequenzen: „Man muss wirklich sagen, dass es zu wenig gute beziehungsweise engagierte Anwälte auf diesem Gebiet gibt“, sagt Iris Ludwig. „In meiner Kanzlei müssen wir jeden Tag Leute wegschicken, die wir aus Kapazitätsgründen nicht als Mandanten aufnehmen können. Ich finde die Law Clinic so wichtig, weil ich hoffe, dass sich dadurch bereits an der Uni Studenten mit dem Thema beschäftigen und dann später zu engagierten Anwälten werden, die dann wiederum zur Entspannung beitragen.“ Ein Ersatz für voll ausgebildete Anwälte könnten die Studenten natürlich noch nicht sein, aber eine Art Anfangsberatung für die leichten Fälle: „Es ist natürlich total wichtig, dass die Studenten auch wissen, wo ihre Grenzen sind, sich nicht selbst überschätzen. Aber bis zu diesem Punkt ist ihre Arbeit wirklich eine Bereicherung in einem System, das überlastet ist.“

So profitieren beide Seiten, erklärt Franziska. Flüchtlinge wie Studenten: „Es ist bei uns Juristen schon so, dass irgendwann im Studium die Motivation flöten geht. Es ist ein riesiger Berg an Aufgaben, den man abzuarbeiten hat – gerade vor dem Examen. Es ist alles sehr verkopft, theoretisch. Und manchmal verliert man darüber den Blick dafür, was man im echten Leben damit anfangen kann.“ Was im echten Leben damit anfangen zu können – aus diesem Grund haben die beiden ihr Jura-Studium einmal aufgenommen. Hört man ihnen aber eine Weile zu, ist das Studium nicht die Zeit, in der sie in ihrem Wunsch bestärkt werden. Das merkt man auch der Struktur der Law Clinic an: Es ist kein alter Freundeskreis, der hier eine gemeinsame Idee umsetzt. Auch dass sie mittlerweile befreundet sind, steht nicht im Vordergrund. Sie alle scheinen hier etwas zu suchen, was sie im Studium nicht finden können.

Und sie tun es professionell: Die Law Clinic setzt sich aus verschiedenen Ressorts zusammen, sie ist hierarchisch strukturiert. Viele Studenten stehen kurz vor dem Examen, wären eigentlich besser in der Bibliothek aufgehoben, sollten sich auf theoretische Aufgabenstellungen vorbereiten, nicht auf einen Beratungstermin. Doch gerade dafür, so scheint es zu sein, brauchen sie Motivation aus der Praxis. Lisa Schmidt kennt das Gefühl: „Irgendwann stellt man sich schon die Frage, wofür man das eigentlich alles macht. Man studiert die ganze Zeit vor sich hin, jahrelang, und weiß noch nicht einmal, ob man am Ende das Examen schafft. Und dann ist das eine tolle Bestätigung, eine Möglichkeit, um zu sehen, warum man das macht, um zu sehen, was dabei rauskommen kann.“

Wie diese Hilfe aussieht? Woche für Woche fahren drei Jura-Studenten nach Dachau und beraten die Flüchtlinge in ihren Fragen. Zu dritt blättern sie dann in Skripten und Gesetzesbüchern, sagen ganz offen, wenn sie sich einmal unsicher sind, und genau so, wenn sie die Gesetzeslage kennen, ohne sie zu Hause noch einmal nachsehen zu müssen. Am vergangenen Mittwoch warten die drei Studenten vergeblich im Dachauer Caritas-Gebäude – mit Büchern und Laptop ausgestattet, bereit zum Beraten und Protokollieren. An diesem Tag kommt niemand, vielleicht ist das Wetter zu schlecht, vielleicht haben die Studenten die Fälle, die sie bearbeiten können, schon abgearbeitet. In den ersten Wochen war das anders, erklärt Franziska: „Als wir das erste Mal die Beratung angeboten haben, saßen schon eine halbe Stunde vorher sieben Hilfesuchende vor dem Beratungszimmer. Alle waren überpünktlich. Der Letzte hat geduldig drei Stunden lang gewartet, bis er endlich dran kam.“

Mit der Beratung begonnen haben die Studenten im August dieses Jahres, doch die Geschichte der Münchner Law Clinic begann früher. Noch zu Schulzeiten machte Franziska ein Praktikum beim Münchner Flüchtlingsrat. Während eines Auslandsaufenthalts besuchte sie eine Veranstaltung zum Asylrecht, schrieb eine Arbeit darüber. Man kann sagen: Das Thema ließ sie nicht los. Für ihr Hauptstudium kehrte sie zurück in ihre Heimat München. Sie nahm Kontakt mit anderen Beratungsstellen auf, fragte nach, ob hier noch Bedarf bestünde – natürlich bestand Bedarf. Sie tauschte sich mit Studenten anderer Law Clinics aus und merkte schnell, dass eine Menge Arbeit auf sie zukommen würde: „Ich wusste, dass ich ein Semester, wenn nicht ein Jahr länger studieren würde, wenn ich das Projekt wirklich angehe. Und so war es jetzt auch.“

Auch Lisa war nicht unvertraut mit dem Thema. Während eines Praktikums beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge spürte sie zum ersten Mal, wie schwer es ihr fallen kann, allein zuzuhören, wenn Geschichten der Flüchtlinge besprochen werden. Das Gefühl ist ihr geblieben: „Es ist manchmal schwierig, sich persönlich davon zu distanzieren. Gerade, wenn man sich die Geschichte anhört und dann den Menschen da stehen sieht und ihm eigentlich sofort helfen will, ihn eigentlich nicht mehr dahin zurückgehen lassen will“, erzählt sie.

Keine der beiden Studentinnen weiß heute, ob sie auf das Asylrecht später ihren Schwerpunkt legen möchte. Was sie wissen, ist, dass die Beratung ihnen einen neuen Blick auf ihr Studium gegeben hat. Einen lohnenden, für den sie gerne ein Semester länger an der Uni brauchen. Marie Schoeß