Nette Schapsidee

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56 „Amazing German Words“: Lina Augustin und Fabian Bross haben sich Gedanken über Wörter gemacht, die es so in anderen Sprachen gar nicht gibt – von Backpfeifengesicht bis Bratkartoffelverhältnis.

Von Theresa Parstorfer

Purzelbaum ist eines von Lina Augustins Lieblingswörtern. „Purzel hat etwas Entschlossenes und ein Baum ist eigentlich etwas Rundes und Weiches“, sagt Lina. Sie studiert in München an der Kunstakademie und hat sich zusammen mit Fabian Bross, der gerade in Linguistik promoviert, ein Jahr lang Gedanken über deutsche Wörter gemacht. Über Wörter, die es so nicht in anderen Sprachen gibt und die eine Metaphorik beinhalten, die im alltäglichen Sprachgebrauch völlig in den Hintergrund rückt.

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Dabei ist ein Buch entstanden: 56 „Amazing German Words“, jeweils mit einer wörtlichen Übersetzung ins Englische, einer englischen Erklärung der eigentlichen Bedeutung des deutschen Wortes und einer Schwarz-Weiß-Zeichnung von Lina. Besagter Purzelbaum wird durch eine Zeichnung veranschaulicht, in der sich die Zimmerdecke aufgelöst hat und Bäume auf zwei Menschen purzeln, dadurch Chaos verursachen, die Naturgesetze auf den Kopf stellen, aber auch „neue Qualitäten“ entstehen lassen. Übersetzt man „Purzelbaum“ wörtlich, kommt dabei „Tumbletree“ heraus. Kein Mensch würde wissen, was damit gemeint ist, denn im Englischen heißt Purzelbaum „Somersault“.

„Das Buch könnte als kleine Auflockerung beim Deutsch-Lernen verwendet werden“, sagt Lina. „Um zu zeigen, dass Deutsch nicht nur eine schwierige, sondern eine außergewöhnliche und auch eine lustige Sprache sein kann.“ Dass ein „Backpfeifengesicht“ wörtlich übersetzt auf englisch „cheek whistling face“ heißen würde, das könnten aber auch Deutsche lustig finden, hofft Lina.

Außerdem sei es doch interessant, wie ein Begriff seine Bedeutung erlangt hat. „Bratkartoffelverhältnis“ (fried-potato relationship) zum Beispiel. „Ich kannte das Wort auch nicht, aber ich glaube, meine Oma hätte das noch verwendet“, sagt Lina und schiebt sich eine dunkelblonde Haarsträhne hinters Ohr. „Das wurde wohl für eine Beziehung benutzt, die nur für einen bestimmten Zweck und ohne ernsthaften Hintergrund eingegangen wird.“ Da Fabian und Lina allerdings nicht für jedes der ausgewählten Wörter einen schlüssigen etymologischen Zusammenhang gefunden haben, hätten sie diesen Teil dann doch weggelassen.

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Lina schreibt selbst Gedichte und Kurzgeschichten, und auch auf ihren Zeichnungen kommen oft Sprache und Schrift vor. Für dieses Projekt habe aber vor allem Fabian die Wörter ausgesucht, das ist ihr wichtig. Sie habe sich dann von den Wörtern – aber auch von Personen und Erlebnissen in ihrem Leben – inspirieren lassen. Dann hat sie angefangen zu zeichnen. Lina war im vergangenen Jahr vier Monate auf Reisen und für das Buch habe sie sich oft Freunde und Menschen, die sie in Sri Lanka, in Lissabon oder in Madrid kennengelernt hat, „ausgeliehen“, um persönliche Geschichten, in dem Buch zu verstecken. „Wie Protagonisten für eine fremde Geschichte“, sagt Lina. Sie wollte die mit diesen Menschen geteilten Momente „archivieren und materialisieren“. Auf diese Weise wurde das Buch zu einem heimlichen Album ihrer Reise.

Genauso, wie Lina Lieblingswörter hat, hegt sie durchaus auch „Antipathien“ gegen bestimmte Ausdrücke. Sie lacht. „Ich weiß, manchmal wird man schon merkwürdig angeschaut, wenn man über Wort-Vorlieben redet. So eine Empfindlichkeit, was Worte angeht, hat bestimmt nicht jeder. Aber es gibt dann doch ganz viele, denen es genauso geht“, sagt sie.

„Gassenhauer“ ist für Lina ein furchtbares Wort. „Das ist doch schrecklich. Da sieht man wirklich, wie eine Melodie auf den Beton geschlagen wird.“ Sie runzelt ein wenig die Stirn. „Auf der anderen Seite ist das für die Bedeutung vielleicht aber auch ganz passend“, fügt sie hinzu. Das Bild für den Gassenhauer ist in Lissabon entstanden und überhaupt nicht furchtbar. Eine junge Frau hält einen Rechen und eine Schaufel in der Hand und scheint eine sich verflüssigende Straße zu bearbeiten. „Das bin ich“, sagt Lina, „in Lissabon war ich viel allein unterwegs, konnte also viel nachdenken und viel malen. Deswegen ist da auch das Fenster zu meinem kleinen Zimmer zu sehen.“ Sie deutet auf die rechte Ecke. Zwei Fische sind auch zu sehen. Warum? Sie lächelt und ihr Blick schweift ein wenig ab. „Es ist immer gut, einen Fisch dabei zu haben.“ Ein Symbol für Freiheit und Beweglichkeit seien die Tiere für sie.

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Manchmal verwendet Lina ganz selbstverständlich Worte wie „Fernvogel“ oder „Mondfisch“, bewegt dabei die schlanken Hände und lächelt, sodass die kleine Lücke zwischen ihren Vorderzähnen sichtbar wird. „Fernweh“ (distance pain) – ein weiteres Lieblingswort. „Wortschatz“ (word treasure) – als wären Worte ein Schatz, den man behüten muss. „Schnapsidee“ (liquor idea) – da muss sie an eine Nacht mit Freunden in einem verschlafenen Fischerdorf in Sri Lanka unter dem Sternenhimmel denken.

Das Suchen nach neuen interessanten, skurrilen und schönen Wörtern hat sich für Lina schon zu einer Art Automatismus verselbstständigt. Deshalb kann sie sich auch gut vorstellen, einen zweiten Teil von „Amazing German Words“ zu entwickeln. „Davor muss aber mit dem ersten Teil noch mehr passieren“, sagt sie. Sprich: Es muss sich besser verkaufen.

In der Zwischenzeit will Lina jedoch ihre Begeisterung für Worte anderweitig vermitteln: Mit einer Freundin plant sie einen Workshop für geflohene Jugendliche, der nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren soll wie Linas Herangehensweise an die Zeichnungen für das Buch. „Die Jugendlichen sollen auf experimentelle Weise einen Einstieg ins Zeichnen und kreative Schreiben finden“, sagt Lina. Dabei herauskommen soll ein Comic, eine Bildergeschichte oder ein Magazin. Ihren Workshop nennt sie Wortbild–Werkstatt. Eine Werkstatt für Wortbilder. Word pictures.

Zeichnungen: Lina Augustin

Foto: Flavia Resch