Fotos ohne Verpflichtung

Luciano Pecoits, 17, dokumentiert in München den Skate-Lifestyle – auf der Straße wie auf Partys. Derzeit ist er mit seinen Fotos in der “10 im Quadrat”-Ausstellung im Farbenladen des Feierwerks zu sehen.

Überall im Raum verteilt sind Menschen. Die einen richten ihren Blick starr an die Wand, die anderen reißen sich aus ihrer Denkerpose, um zur nächsten Wand zu schlendern und die dort hängenden Fotografien zu betrachten. Als gäbe es einen abgemachten Verhaltenskodex, geht jeder im Farbenladen im Uhrzeigersinn nacheinander alle Wände ab – nur, dass es da diese eine Gruppe gibt, die den Raum kreuz und quer, ohne ersichtliches System abbummelt. Unter ihren Armen klemmen Skateboards. Augenscheinlich haben sie sich wenig Mühe gegeben, sich modisch dem Rest der Gäste anzupassen. Warum auch – vermutlich haben sie zuvor den sonnigen Nachmittag am Skatepark verbracht. 

Wo man schon mal da ist, kann man sich die Bilder der anderen Fotografen ja auch mal ansehen, tatsächlich ist „die Gäng“, wie sie sich liebevoll nennen, aber nur für die Werke ihres Freundes Luciano da. Luciano Pecoits ist der einzige ohne Skateboard unter ihnen. Er ist 17 und der jüngste Fotograf, der für für die Ausstellung „10 im Quadrat“ ausgewählt wurde.

Szenenwechsel: In einer kleinen Münchner Bar fließt der Alkohol in Strömen. Heranwachsende, die bis auf wenige Ausnahmen alle Kappen und Mützen tragen, tanzen hemmungslos. Mit weißer Schlaghose und Stehkragen schüttelt ein als Elvis verkleideter Gast seinen Kopf zur Musik. Hinter der Bar rockt ein gleichaltriger in einem stereotypischen Hartz-4-Jogginganzug, während auf einem Sofa ein Junge den unteren Teil seines Bauchs freimacht, um sich spontan selbst ein Tattoo zu stechen. Mittendrin: Luciano, der das Ganze mit seiner kleinen, analogen Point-and-shoot-Kamera dokumentiert. „Es ist schon fast eine Art Zwang, das zu dokumentieren, was ich erlebe“, sagt er: „Immer wenn ich durch meinen Ordner mit Negativen blättere, wird mir klar, dass es das Richtige ist, so ein Zeugnis anzufertigen.“ Luciano vermutet aber, dass die Situationen, die er fotografiert, für Außenstehende gehaltlos seien. Fraglich ob das Understatement ist, oder ob er von der Skate-Szene wirklich so übersättigt ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Szenefremde den Skate-Lifestyle einfach nicht verstehen. 

Er selbst skatet jetzt seit zwei Jahren. Skaten ist für ihn ein Spiel aus Liebe, Sucht und Hass. „Warum sollte man sich mehrere Stunden an irgendwelchen Stufen zerhauen, erfolglos nach Hause gehen, um sich am nächsten Tag erneut die Stufen herunterzuschmeißen?“ Skaten ist die Suche nach dem Extremen – und der Perfektion.
Luciano stoppt immer wieder seinen Erzählfluss, sucht nach Formulierungen, die dem, was er für die Skatekultur empfindet, gerecht werden. Zu sehen, wie jemand solch eine ehrliche Leidenschaft dafür empfindet, ist in der Reminiszenz an die Jahre um 2010 herum erfrischend. In München war man zu dieser Zeit nur dann cool, wenn man seine Klamotten aus Skate-Shops bezog.

Heute ist „SHRN“ der Laden für die leibhaftigen Skater Münchens. Für Luciano ist der Shop ein zweites Zuhause oder der „Hangout Spot Nummer 1“, wie er sagt. Sein Archiv an Fotos ist primär für ihn selbst bestimmt, für SHRN-Plakate macht er aber ab und zu mal eine Ausnahme. Zurück im Farbenladen: Lucianos Freunde sind zu Besuch. Dass sie seine hier ausgestellten Bilder in die Mangel nehmen, nimmt er ihnen nicht übel: „Es ist nicht ihr Genre. Und meine Arbeiten für das Projekt entsprechen nicht meinen anderen Bildern, überhaupt nicht: Die Fotos sind sauber, ziemlich strukturiert und es mangelt ihnen an Intimität“, sagt der 17-Jährige. Dabei legt er auf Intimität so viel Wert wie auf Authentizität. Selbst wenn seine Freunde zum Spaß mal eine absurde Pose oder Grimasse machen, repräsentiere das immer noch etwas Echtes. „Meine Fotos zeigen die Beziehung zwischen mir und jemand anderem.“ Für die Ausstellung musste er Menschen fotografieren, die er zu diesem Zeitpunkt nicht kannte. Für Luciano war es eine besonders schwere Aufgabe, diese Menschen „echt“ darzustellen. Seine Komfortzone ist eben das tägliche Abhängen mit seiner Gang, wo Bilder ohne Verpflichtung entstehen.

Luciano ist gerade im Abiturstress. In seinem Abiturjahrgang machen sich alle wild Gedanken, was in naher Zukunft aus ihnen wird. Für ihn selbst beantwortet sich die Frage mit einem auffälligen Selbstverständnis. „Auf jeden Fall wird weiter geskatet. Und das dokumentiert.“ Im Moment sucht er für die Zeit nach dem Abi nach Fotoassistenz-Jobs oder Praktika. „Ich würde gern mehr über Fotografie lernen, um das Geschehen besser dokumentieren zu können“, sagt er. Und wieder dreht sich alles ums Skaten.

Text: Hubert Spangler

Foto: Luciano Pecoits