M94.5 – Eine Liebeserklärung

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Im nostalgischen Rückblick erkennt unsere Autorin, wie prägend und aufschlussreich die Zeit war, die sie beim Radiosender M94.5 hinter Mikrofon und Mischpult verbringen durfte. Die Chance dazu soll dem Radionachwuchs nun genommen werden.

Ach, M94.5, wie gerne denke ich an unsere gemeinsame Zeit zurück. Wir haben gemeinsam gelacht und geweint, geflucht, mal vor Euphorie getanzt und gesungen. Du warst wie ein zweites Zuhause für mich. So viel hast du mir gegeben – und jetzt soll dir das alles genommen werden, deine UKW-Frequenz, dein Kern. Du sollst weichen, Platz machen für Kommerz und Werbeunterbrechungen anderer Sender. Am 9. Februar 2017 ist es soweit. Dann entscheidet der Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien darüber, ob du, der einzige Aus- und Fortbildungssender deiner Sorte, bleiben darfst, wer du bist. Die Nachricht hat mich traurig gestimmt. Seither befinde ich mich in sentimentaler Schockstarre, seither habe ich Liebeskummer.

2011, da haben wir uns kennengelernt. Der Anfang einer kleinen Liebesgeschichte. So überwältigt war ich, als ich das erste mal in der Redaktion stand und das rote ON-AIR-Licht sanft auf mich herunter geleuchtet hat. Noch war ich junge Studentin, schüchtern und unbedarft. Ich war unsicher, ob wir zusammenpassen, ob ich der Aufgabe wirklich gewachsen bin. Aber du warst ein Stütze, die mich tapfer, neugierig und vor allem selbstbewusst gemacht hat. Ich habe von dir gelernt, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, zuzuhören und was es bedeutet, eine verantwortungsvolle Journalistin zu sein.

Manchmal war unsere Beziehung ermüdend und zäh. Manchmal musste ich einen Beitrag fünfmal einsprechen, bis mein Chef vom Dienst endlich mit meiner Aussprache und Betonung zufrieden war. Feindselig stand ich solchen Momenten dem Mikro im Aufnahmestudio gegenüber. Habe meinen Beitrag im Stehen, dann doch im Sitzen eingesprochen. Aber niemals hast du mich aufgegeben. Immer haben wir es im Team geschafft. Und jedes Mal durfte ich am Ende des Tages meiner Stimme im Radio lauschen. Was für ein aufregendes Gefühl. Was für ein Kick, wenn jemand am Telefon ist, weil er beim Autofahren deinen Beitrag gehört hat. Und das soll allen kommenden Generationen genommen werden?

Und was bedeutet es eigentlich für München, wenn dieser junge Lokalsender durch üblichen Kommerz ersetzt wird? Olle Rockballaden, statt spannender neuer Bands. Werbespots, statt kreativer Beiträge junger Studenten. Na Prostmahlzeit! München hat einiges zu bieten, aber ohne M94.5 läuft es Gefahr, dass Subkultur, aufregende Bands und viele junge Talente unentdeckt bleiben. Welcher andere Radiosender bietet unerfahrenen, aber dafür umso motivierteren Medienneulingen die Chance, in der ersten Woche vor dem Mikro zu stehen, Nachrichten zu lesen oder ein Teil eines bunten Features zu sein. Ich kenne keinen.

Am Anfang unserer Liebesgeschichte war ich verunsichert, habe oft an mir selbst gezweifelt und habe beim Einsprechen meiner Beiträge alle Ps wie Bs gesprochen und meine Redaktionsmitglieder damit immer wieder zum Lachen gebracht.

Als ich M94.5 nach fünf gemeinsamen Jahren verlassen habe, war ich stolze Sendeleitung eines politischen Feature-Formats. Und dafür bin ich dir, liebes M94.5 bis heute dankbar. Nirgendwo sonst habe ich in so kurzer Zeit so viel Input bekommen, wurde ins kalte Wasser geschmissen und durfte so schnell mit Erfolgserlebnissen wieder ans Ufer schwimmen. M94.5 ist eine Pilgerstätte junger Medien-Macher, ist Ort des Lernens und der Inspiration. Ein Ort, um sich selbst zu finden, aber auch ein Ort des Zusammenhalts. Und nicht nur für mich ist es ein zweites Zuhause und der Anfang so vieler guter Freundschaften. Nicht zuletzt ist M94.5 ein Sprungbrett in die Radio- und die Medienwelt.

Es bleibt mir also nur zu sagen: Ich will dich nicht verlieren. Ich will nicht dabei zusehen, wie dir deine Identität genommen wird. Ich liebe dich doch. Mein M94.5, bitte bleibe, wer du bist. Du würdest so viele Herzen brechen, wäre es anders. Deine Jenny, ehem. Mitglied des Tagesteams am Donnerstag, ehem. Mitglied des Politikressorts und ehem. Sendeleitung des Feature-Formats „Fußnoten“.

Text: Jennifer Lichnau

Foto: Privat