Motto: Minimalismus. Markus Weinig hat mit einem Teams aus jungen Designern, Architekten und Physikern ein Raumkollektiv gegründet, um aus billigen Materialen experimentelle Sinneserfahrungen zu basteln.
Einmal haben sie mit 12 000 phosphoreszierenden Kabeln einen Wald erleuchtet. Ein anderes Mal haben sie mit goldenen Fäden eine Containerform zum Flattern gebracht. Sie bringen Quallen zum Fliegen oder illuminieren Gesteinsritzen in Höhlen. Das Spatial-Sense-Kollektiv will Räume neu erkunden.
Spatial Sense, das sind der Architekt Markus Weinig, der Physiker Niko Wintergerst, der Designer Adrian vom Baur und die Architektin Vivan Bratone. Gründer Markus, Mitte 20, hat Landschaftsarchitektur und Urbanistik an der TU München studiert und während seiner Masterarbeit Lust auf mehr als nur klassische Landschaftsarchitektur entwickelt.
Um dem Schreibtisch zu entkommen, hat er im Juni Spatial Sense ins Leben gerufen. An dem Namen gefiel Markus die Doppeldeutigkeit: Spatial Sense kann man einerseits als „räumliche Wahrnehmung“ verstehen, aber auch als „räumlich Sinn schaffen“. Mit dem Kollektiv (Fotos: Spatial Sense) will er die architektonischen Grenzen erweitern: in der Natur, auf Festivals, in Städten. Mit minimalistischem, günstigem Material und relativ spontan.
Wie vor ein paar Wochen auf dem Sinstruct Festival für Kunst in Südtirol. Eigentlich wollte Markus dort einen Waldsee schmücken, aber die Hänge um den See waren zu steil. Es wäre für die Besucher zu gefährlich geworden, die Installation zu begutachten. Markus musste also spontan umdisponieren. Auf einer Erkundungstour stieß er auf eine Höhle. Seine Unterwasservision verwirklichte er nun einfach hier: aus Malerabdeckfolien schnitt er Streifen aus, die er zusammen mit LED-Lampen zu strahlenden Quallen verklebte und in die Bäume hängte. In Gesteinsritzen montierte er Leuchtfäden, die wie Reflexionen auf dem Wasser anmuteten. Materialkosten: 80 Euro.
Architekt Markus Weinig (links) und Physiker Niko Wintergerst
„Die Formen der einzelnen Elemente passten gut zu dem Schauspiel, das sich unterhalb der Installation auf der offenen Bühne abspielte“, sagt der Kurator Fritz Laszlo Weber. „Und sie erweitern dass schöne Wirrwarr, das unvermeidlich auf und um offene Bühnen entsteht.“
Mit seinen visuellen Effekten verfolgt Markus, wie der ambivalente Name schon vorgibt, keine konkrete Botschaft. „Vielmehr möchte ich die Phantasie von jedem Einzelnen an den Orten anregen“, sagt Markus. „Gerade in Wald und Bergen lauern so viele mystische Geschichten. So oft gehen wir einfach nur vorbei, ohne hinzuschauen.“ Die Reaktionen auf die Werke sind verschieden. „Bei dem Lichtwald meinten manche, dass wir damit Vögel fangen wollen“, erzählt Markus.
Sinne anregen – das war auch eine der Absichten ihres Projekts beim Aaber Kunstpreis in München. Markus und Niko wollten das Gelände, auf dem viele Container platziert waren, auflockern. Sie kamen auf die Idee, die starre Containerform mit durchlässigem Material nachzubilden. Sie besorgten Geschenkband und hingen es an ein Gitter. Doch es kräuselte sich und sah ganz anders aus als geplant. Was tun? „Irgendwann kamen wir auf die Idee, Cent-Münzen ans Ende des Bandes zu kleben“, erzählt Niko. „Wir haben circa 10 Euro an Münzen verklebt.“ In dem aus Goldbändern gebauten Konstrukt „Ephemerality“ irrten dann während des Aaber-Programms viele Besucher hin und her.
Niko ist eigentlich Physiker und forscht zu Schwarzen Löchern und Quantenmechanik. Architektonische Arbeit ist etwas Neues für ihn. „Mich fasziniert das Aushandeln der Ansprüche an den Raum“, sagt Niko. „Und dass man sich etwas überlegt und doch erst auf dem Gelände weiß, ob es funktioniert. Eine willkommene Gelegenheit für mich, um meinen Horizont zu erweitern.“
In einem sind sich die Macher von Spatial Sense sicher: Kreativität und Spaß stehen bei ihnen vor Professionalität und Wirtschaftlichkeit. Das Team plant nicht, ihre Idee zu einem Geschäftsmodell auszubauen. „Es können vielleicht eine Handvoll Leute auf der Welt mit Projekten wie unserem Geld verdienen“, vermutet Markus, und Niko ergänzt: „Wir wollen unsere Unabhängigkeit nicht aufgeben.“ Deshalb ist bisher zwar viel Zeit, aber auch wenig Geld in ihr Projekt geflossen. „Wir verwenden einfache Wegwerfprodukte aus dem Baumarkt“, sagt Markus. „Einwegkunstwerke“. Meistens werden sie nach der einmaligen Verwendung auch gleich wieder weggeworfen.
Meistens, aber nicht immer. Die Goldstreifen-Installation vom Aaber-Award erspähte das Münchner Party-Kollektiv Wannda Circus und lieh sie sich für ein Festival aus. Bei den Feiernden ist das wohl gut ankommen, die Goldbänder sind seither noch nicht wieder zu den Erschaffern zurückgekommen. Caroline von Eichhorn
Mehr Infos unter http://spatial-sense.tumblr.com
Caroline von Eichhorn ist Kulturjournalistin und fühlt am liebsten Aktivisten, Künstlern, Musikern oder Wunderwuzzis auf den Zahn. Wenn sie nicht in einem Interview steckt, reist Caroline in exotische Länder, schreibt Kurzgeschichten oder taucht ganz tief ins Netz ein.