Mein München – Sechziger-Stadion an der Grünwalder Straße

image

Leo Simon, 23, mag das Sechziger-Stadion an der Grünwalder Straße. Die Atmosphäre ist etwas Besonderes. Nicht der Kommerz, sondern die Fans dominieren die Stimmung. Leo hat sich mit seiner Kamera in den Sechziger-Fanblock gewagt, obwohl seine Farbe wohl eher Rot als Blau ist. Enstanden ist dabei dieses Bild.

Als FC-Bayern-Fan im Sechziger-Block zu stehen, erscheint ein gewagtes Unterfangen, vor allem, wenn diese beiden Mannschaften gegeneinander antreten. Leo Simon, 23, störte sich an diesem Umstand allerdings überhaupt nicht, als er 2014 für das Spiel der Amateur-Mannschaften der beiden Vereine die Freikarten verwendete, die er als offiziell geprüfter Fußball-Schiedsrichter für jedes Fußballstadion in Deutschland besitzt. „Ich habe schon gejubelt, wenn die Bayern ein Tor geschossen haben, aber da ist nichts weiter passiert“, sagt er und lacht. Seine Kamera hat Leo immer dabei – er fotografiert beispielsweise auch die erste Flüchtlingsfußballmannschaft Münchens bei ihren Spielen.

Was er am Sechziger-Stadion an der Grünwalder Straße so mag, ist die Atmosphäre, dass dort alles „noch nicht ganz so durchkommerzialisiert ist und die Choreografien sehr Fan-getragen sind“. Diese Stimmung auf einem Bild festzuhalten, ist vielleicht nicht ganz so gewagt wie ein inmitten von Sechziger-Fans geäußerter Jubelschrei für die Bayern, aber doch eine Herausforderung. Der rote Rauch der Bengalos füllt beinahe das gesamte Foto aus, gereckte Hände und Fäuste, Menschen verschwimmen zu Silhouetten, zu einer Menge. Am Ende ist es vielleicht völlig egal, wo der eine Fan-Block aufhört und der andere anfängt, vielleicht rücken sogar Wettkampf und Ergebnis in den Hintergrund. Wie das Spiel an diesem Tag ausgegangen ist, weiß Leo gar nicht mehr. Am Ende zählt das Ereignis, die Stimmung, das Zusammensein. Und was bleibt, ist ein Foto.

Von Theresa Parstorfer
Webseite: lsphotography.eu
www.facebook.com/lsphotographyandmore

Veränderter Blick

image

Paulina Glocker und Leo Simon sind den Flüchtlingen entgegengereist. Ihre Fotos und Tagebucheinträge haben sie für eine Ausstellung aufbereitet.

Von Theresa Parstorfer

Den Geruch, den wird Paulina Glocker nie wieder vergessen. Den Geruch in einem Flüchtlingscamp irgendwo an der serbisch-mazedonischen Grenze. Den Geruch, den Tausende von Flüchtlingen jeden Tag ertragen müssen, während sie neben Müllbergen in einer Warteschlange stehen. Sie warten, um irgendwann, nach Stunden, nach Tagen, die schriftliche Erlaubnis ausgestellt zu bekommen, von der mazedonischen Grenze im Osten des Landes an die Grenze im Westen transportiert werden zu dürfen.

Paulina Glocker und Leo Simon, 23, haben diesen Sommer einen etwas anderen „Urlaub“ unternommen: Sie sind den Flüchtlingen entgegengereist, die derzeit Richtung Europa, Richtung Deutschland strömen. Was sie dort, in Griechenland, Kroatien, Serbien und Mazedonien gesehen und erlebt haben, lässt die beiden Studenten nicht mehr los. Die Fotos, die Leo aufgenommen hat und die Tagebuchtexte, die Paulina geschrieben hat, haben sie für die Ausstellung „München – eine Weltstadt zwischen Herz und Hetze“ aufbereitet. Sie wird am Dienstag, 3. November, um 19 Uhr im Provisorium in der Lindwurmstraße eröffnet und ist sechs Tage lang zu sehen. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der Petra-Kelly-Stiftung statt.

„Diesen Geruch sollte jeder auch nur für eine Stunde aushalten müssen, der heute davon redet, Zäune zu bauen und Abschiebe-Verfahren zu beschleunigen“, sagt Paulina. Sie hat dunkle, große Augen. Ihr schwarzes Haar, von dem manche Strähnen von bunten Stoffbändern umwickelt sind, ist auf einer Seite kurz rasiert. Sie ist 21 Jahre alt und studiert Politik an der Hochschule.
Wenn sie über die „Flüchtlingskrise“ redet, über den Hauptbahnhof in diesem Sommer und über das, was so mancher Pegida-Anhänger von sich gibt, gestikuliert sie. Ihre Hände unterstreichen, dass Paulina nicht nichts tun kann, angesichts einer humanitären Krise, wie sie sich in den vergangenen Monaten in ganz Europa zugespitzt hat. 

image

„Es macht schon wütend
zu sehen, wie gut
wir es hier haben.“

Deshalb war sie in diesem Sommer auch eine der Ersten, die zum Hauptbahnhof fuhr, als die ersten Züge voll mit geflohenen Menschen ankamen. „Da war alles noch sehr unorganisiert. Wir waren nur so eine Gruppe von Leuten, noch gar keine Logistik dahinter“, sagt Paulina. Erstaunt habe es sie, wie schnell dann aber eine Struktur in die Koordination der Hilfsbereitschaft gekommen sei. Am Hauptbahnhof lernte sie auch Leo kennen. Schon an diesem ersten Tag hatte er sein Kamera-Equipment dabei. Und als Paulina ihn fragte, für welche Zeitung er denn arbeitete, „da hat er mir gleich seine Karte gegeben“, sagt sie und lacht. Über den Sommer habe man sich dann besser kennengelernt und dann irgendwann, als Paulina beschlossen hatte, Richtung Süden zu reisen, kam Leo einfach mit.

Auch er fand die Idee gut. Auch er wollte in diesem Sommer nicht irgendwo am Strand liegen, während anderswo Menschen ertranken, und da Paulina gerne jemanden dabei gehabt hätte, der ihre Reise dokumentierte, packte Leo auch hier wieder seine Kamera ein. Das Fotografieren hat er von seinem Vater, der professioneller Fotograf ist, gelernt.
Leos Fotografien sind voller Bewegung. An den Rändern verschwimmen die Farben, doch die Menschen sind scharf umrissen. Die Farben wirken gedeckt, beinahe düster, und beschönigen nichts. Da schlafen zwei junge Männer vor einem Zelt und neben dem Müll. Ein kleiner Junge, kaum fünf Jahre alt, schiebt eine Schubkarre – voll mit Müll.

Nach diesen Erfahrungen kommt Leo und Paulina das Alltagsleben hier in Deutschland auf einmal anders vor. „Es macht schon wütend zu sehen, wie gut wir es hier haben und wie wenig wir es doch zu schätzen wissen“, sagt Paulina. Aber schnell rutsche man dann auch wieder in seinen alten Trott. Paulina hat sich vor wenigen Tagen aus ihrer Wohnung ausgeschlossen. Sie lächelt und hebt die Schultern. „Klar, da habe ich mich auch aufgeregt. Aber wenn man dann daran denkt, wie einfach sich Dinge hier normalerweise regeln lassen, dann sind das alles keine wirklichen Probleme mehr.“

„Wir wollten auf keinen Fall,
dass das so eine Art
Flüchtlingstourismus wird.“

Ziel der Reise war es, zu sehen wie es ist, an „Europas Grenzen“, dort wo die Flüchtlinge ankommen. „Aber wir wollten auf keinen Fall, dass das so eine Art Flüchtlingstourismus wird“, sagt Leo. Auch seine Haare und seine Augen sind dunkel, auch er studiert Politik und auch er engagiert sich politisch. Aber er ist sehr viel ruhiger als Paulina. Während der jungen Frau manchmal die Tränen in die Augen steigen, wenn sie von all den Menschen berichtet, die eigentlich keine Chance mehr haben, blickt Leo nachdenklich in seinen schwarzen Tee. „Deshalb war es auch ganz gut, dass wir am Ende mit dem Auto gefahren sind und nicht, wie irgendwann mal geplant, mit dem Zug“, fügt er hinzu. Es sei nicht darum gegangen, nachzuempfinden, was es heißt, ein Flüchtling zu sein. „Das kann man nicht. Niemand von uns kann sich vorstellen, wie es sich anfühlt, fliehen zu müssen, weil man in seinem Heimatland einfach nicht mehr leben kann, aus welchen Gründen auch immer“, darin sind sich die beiden einig. Ihnen ginge es mehr darum, auf diese paradoxen Ungleichheiten hinzuweisen. „Eigentlich sind die Menschen doch alle gleich, aber dann gibt es doch so viele Unterschiede“, sagt Paulina. „Ich meine, wir hatten Glück, dass wir hier in Deutschland geboren wurden. Warum hatte das ein Medizinstudent aus Afghanistan nicht, obwohl er vielleicht ähnliche Vorstellungen und Ansichten, eine ähnliche Ausbildung und Lebensplanung hatte?“

image

Geschichten von solchen Einzelschicksalen können die beiden viele erzählen, doch das Anliegen in ihrer Ausstellung ist eigentlich ein etwas anderes: Auf Leos Lieblingsbild sieht man nur die Füße einer Familie, die sich unter eine Plastikplane vor dem Regen schützt. „Das sagt irgendwie total viel: Man sieht keine Gesichter. Das sind ganz viele Einzelschicksale, aber gleichzeitig auch in einer Allgemeinheit, denn dieses generelle Schicksal wird von so vielen geteilt“, sagt er.

Zwölf Tage waren die beiden unterwegs. Sieben Länder haben sie in dieser Zeit gesehen und Tausende von Menschen ohne Heimat. Wenn sie in einem neuen Camp ankamen, packten sie mit an. „Nicht helfen ging da nicht“, sagt Paulina und Leo fügt hinzu: „Was uns selbst immer wieder erschreckt hat, ist, wie schnell die Situation sich ändern kann.“ Während es an einem Tag völlig ruhig war, konnten am nächsten Tag auf einmal 2000 neue Flüchtlinge ankommen und das Lager völlig überschwemmen und überfordern.
Dass die Menschen einfach so lange in diese Lager gesteckt werden, das ist für Leo vielleicht das Schlimmste. Flüchtlinge sind für Politiker nur Nummern, Zahlen. Kostenfaktoren, und keine Einzelschicksale. „We are only numbers“, habe einer der Flüchtlinge einmal zu ihnen gesagt. Aber Leo ist auch sehr pragmatisch. „Auch wenn es platt klingt, muss man doch sagen: Demokratie wirkt. Diese Menschen werden kommen und niemand wird sie aufhalten können. Wir müssen nur sehen, wie wir damit umgehen.“

image


Fotos: Leonhard Simon