Soundtüftler

Student David Reichelt schreibt Werbemusik – und jetzt hat er seine erste eigene Oper komponiert. Die Uraufführung findet am 12. Juli in der Reaktorhalle statt

München – Julia hustet. Sie hat überlebt. Ihr Selbstmord ist missglückt. Was sie nicht weiß: Auch Romeo hat seinen Suizid verpatzt. Kurze Zeit später liegt er auf der Intensivstation. Und Julia auf der Chirurgie. Echt blöd für die beiden Liebenden. Aber toller Stoff für eine Oper, die aus dem gescheiterten Liebestod eine spitzfindige Komödie meißelt.

Was wäre wenn? Das fragt sich der Filmkompositionsstudent David Reichelt, 28, auf der Suche nach einem Thema und joggt mit dieser Frage in den Wald. Im Kopf spinnt er den Faden weiter und als er aus dem Wald herauskommt, hat er eine Story in der Hand: Romeo und Julia bleiben mit ihrem Schicksal nicht allein. Auch Tristan und Isolde haben den Liebestod vermasselt. Und so treffen die verwirrten Nordlichter im Krankenhaus auf die heißblütigen Südländer. Es kommt, wie es kommen muss: Julia baggert Tristan an und Romeo bezirzt Isolde. 

Aus der Sprachgewalt der
Figuren filtert der Komponist
die musikalischen Themen

„,La morte di Romeo e Giulietta‘ habe ich in einem Monat runtergehauen“, sagt David lässig. Tatsächlich saß der Filmkompositionsstudent täglich zwölf bis 18 Stunden an seiner ersten Oper. „Manchmal konnte ich nicht mehr schlafen, bin wieder aufgestanden und habe weitergearbeitet“, erzählt David. Der Münchner liebt Herausforderungen. Er ist ein wahres Energiebündel, sportlich, immer präsent und aufgeweckt. Für das Abschlusskonzert sollte er kein reines Konzertstück schreiben, hieß es im Studium, und da war sein erster Impuls: „Hey, ich schreib’ eine Oper.“

Doch wie schreibt man eine Oper? Zunächst einmal brauchte David Text. Und den bekam er von Martin Petschan, einem Kommilitonen aus der Musikwissenschaft. „Die Oper ist in Englisch, Italienisch und Deutsch. Martin hat es vollbracht, über die drei Sprachen Reime zu bauen. Die Musik würde nie so wirken, wenn ich nicht so großartige Texte hätte“, schwärmt David.

Aus der Sprachgewalt der Figuren filterte der Komponist die musikalischen Themen. So gibt es unter anderem ein Liebes- und ein Flirtmotiv, ein Streit- und ein Trauerthema. Tristan und Isolde begleiten nördliche, fast choralartige Klangzüge. Romeo und Julia wiederum sind umgeben von der warmen Klangfarbe der Streicher, die mit viel Vibrato romantische Akzente setzen. „Mein Potenzial liegt darin, schöne, verständliche Melodien zu schreiben. Etwas, das den Leuten gefällt“, sagt David und ergänzt: „Auf jeden Fall bin ich der totale Romantiker!“ Romeo und Julias Liebeskonzept, sich für den anderen zu opfern, empfindet David als „eigentlich richtige Einstellung“. Er bemängelt, „dass heute jeder macht, was er will, sich keiner festlegt, dass alle unverbindlich bleiben“. Im Laufe der Oper verlieren sich die Paare, die sich einst treu bis in den Tod liebten, im polygamen Alkoholrausch. Das klingt nach Gesellschaftskritik. Und doch ist es Davids primäre Absicht, „nicht gesellschaftskritisch, sondern mit Humor ranzugehen“. Neben Lachern gibt es aber auch dramatische Szenen und tief berührende Musik. „Als ich mir alles zum ersten Mal angehört habe, sind mir selbst die Tränen gekommen.“
 Er habe schon immer auf Musik sehr emotional reagiert, erzählt David, der sich als einstiges Problemkind bezeichnet. Nur mit musikalischer Früherziehung war er ruhig zu kriegen. Seine Familie ging mit dem kleinen David in Konzerte und Opern. Mit sechs Jahren wollte er Saxofon lernen. Während seiner Schulzeit komponierte David jeden Tag ein Stück. „Musik war schon immer mein Traum“, erzählt er. „Alle meinten, ich solle Lehrer werden, aber ich habe ja nur ein Leben. Und ich bin hartnäckig geblieben.“

David blättert sich durch seine Oper. Er singt die Arien mit, streckt sich, schwingt die Arme, dirigiert mit den Händen, jagt durch seine Partitur, wacht über jeden Takt. Er sitzt in seinem selbst gebauten Aufnahmestudio, umringt von unzähligen Instrumenten. An E-Gitarren, Ukulelen und Trommeln reihen sich Blasinstrumente aus aller Welt, selbst einen Dudelsack und ein Büffelhorn besitzt er. Während seines Studiums zog er mit dem Saxofon von Bühne zu Bühne, performte in Bands, auf Messen, in Klubs und finanzierte sich über die Auftritte einen Großteil des Studios. Mit seinen Instrumenten stellt er sich regelmäßig vor seine Kabine aus Noppenschaum und spielt drauflos. Am Computer legt er die Stimmen dann übereinander. So entstehen Soundstrecken aller Art – auch für Werbeclips. Zu seinen Kunden zählen inzwischen auch Microsoft und VW. 

Sogar Filme hat der Münchner bereits vertont. Er produzierte den Titelsong von „Im weißen Rössl – wehe du singst“. Und für den nächsten Kinofilm hat er sein Soundsystem schon mit mittelalterlicher Klangfülle gespeist. Wie er zu diesem Erfolg kommt? Für David ist klar: „Die Konkurrenz ist riesig. Du musst der Beste sein und dich von der Masse abheben.“ Gerade Letzteres hat er unter Beweis gestellt, denn kaum jemand schreibt schnell mal so eine Oper. Am 12. Juli ist die Uraufführung in der Reaktorhalle. Und so viel sei schon jetzt gesagt: In Sachen Liebe findet sich eine zeitgemäße Lösung, für die niemand mehr sterben muss.  

Susanne Brandl

Foto: Emanuel Aurel Klempa