Eine Insel mit zwei Bergen: Filmstudentin Eva Merz will in ihrem Abschlussfilm „Strings of Hope“ die Geschichte
der Augsburger Puppenkiste erzählen. Gedreht wird in den USA. Doch nun droht das Projekt zu scheitern.
Urmel aus dem Eis, die Katze mit Hut, kleiner König Kalle Wirsch. Die Figuren der Augsburger Puppenkiste haben jahrzehntelang das Leben deutscher Kinder geprägt. Wer konnte es nicht mitsingen, das Lummerlandlied? So bekannt die Marionetten selbst sind, so wenig kennt man ihre Macher. Die Menschen, die sie schnitzen, sie liebevoll einkleiden, sie mit puppenspielerischem Können an den Fäden führen. Das möchte Filmstudentin Eva Merz nun ändern. Die 27-Jährige arbeitet derzeit an ihrem Abschlussfilm „Strings of Hope“, der die Geschichte von Walter Oehmichen und seiner Familie erzählt, den Begründern der Augsburger Puppenkiste.
Doch Eva dreht nicht in Schwaben, sondern in Los Angeles. Mit amerikanischen Schauspielern. „Ich wollte keinen deutschen Film für deutsches Publikum drehen“, sagt sie, „sondern ein Stück deutsche Kultur in die Welt tragen.“ Die Puppenkiste sei in den USA kaum bekannt, erklärt Eva, die dort seit 2013 lebt und studiert.
Eva, geboren in Weilheim, hatte in München zunächst Fotodesign studiert, doch eigentlich wollte sie immer zum Film. Zwei Mal bewarb sie sich an der Filmhochschule in München. Zwei Mal wurde sie nicht genommen. So etwas kratzt am Selbstbewusstsein. Doch aufgeben, das konnte Eva nicht. Als Abschlussprojekt ihres Fotodesign-Studiums realisierte sie den Kurzfilm „Mondnacht“ basierend auf einem Gedicht von Joseph von Eichendorff. Über Jahre hatte sie versucht, Sponsoren und Förderer für den Film zu finden. Vergebens. Sie zahlte ihn letztlich aus eigener Tasche.
Eine gute Entscheidung, denn Mondnacht brachte sie in jenes Land, das für viele Filmemacher das Eldorado des Kinos ist: die USA. Sie hatte sich mit dem Film an mehreren Filmschulen dort beworben, gleich zwei lockten mit Stipendien, weil sie von der Arbeit der jungen Frau begeistert waren. Eine neue Erfahrung für Eva. „Mir wurde in Deutschland immer erzählt, was ich alles nicht machen kann“, sagt sie, „die Lebenseinstellung in L.A. ist viel motivierender. Hier glauben die Leute an ihre Träume.“ Das tat auch Eva – und wanderte 2013 aus, um am American Film Institute Conservatory zu studieren, zu dessen Absolventen Regisseure wie David Lynch zählen. Aber der Traum vom Filmemachen klang schöner, als er war: Nach einem Jahr Studium wurde Evas Stipendium nicht verlängert. 50 000 Dollar hätte sie allein für die Studiengebühren aufbringen müssen. Zu viel für Eva. Sie brach das Studium ab.
Manch anderer wäre enttäuscht nach Deutschland heimgekehrt. Nicht so Eva. Für Menschen wie sie gibt es das schöne Wort „Stehaufmännchen“. Das sind Puppen mit rundem Unterkörper, deren Schwerpunkt so liegt, dass sie sich immer wieder von selbst aufrichten, egal in welche Schieflage sie geraten sind. Eva hat sich wieder aufgerichtet: Mittlerweile ist sie im UCLA Extension-Programm, einer Art Fortbildung, um eine zusätzliche Expertise im eigenen Job zu bekommen. Solche Kurse gibt es auch für Regie. Um ein Zertifikat dafür zu bekommen, muss Eva nun ihren Abschlussfilm realisieren.
In „Strings of Hope“ versucht sie, die Entstehung der Augsburger Puppenkiste nachzuzeichnen. Es ist eine Geschichte, die 1945 beginnt. Da gibt es den Augsburger Schauspieler Walter Oehmichen, der bereits während des Krieges den Traum vom eigenen Figurentheater hegt und nun versucht, aus dem Nichts ein Theater hochzuziehen. Doch wie soll das nur funktionieren, wo Deutschland in Schutt und Asche liegt? Wie soll man damit eine Familie ernähren? Hinzu kommt: Oehmichen war im Dritten Reich der NSDAP beigetreten, um seinen Job als Oberspielleiter am Theater Augsburg zu behalten, wurde später sogar Landesleiter der Reichstheaterkammer. „Er wollte verhindern, dass ein hochrangiger Nazi auf diesen Posten kommt“, erklärt Geschichtswissenschaftler Matthias Böttger der seit mehr als einem Jahrzehnt die Geschichte der Puppenkiste aufarbeitet, „doch das hat sich später sehr gerächt.“ Oehmichen, der bereits 1945 den Antrag stellt, die Puppenkiste eröffnen zu dürfen, wird von den amerikanischen Besatzern zunächst als verdächtig eingestuft. Die Genehmigung für das Theater gibt es erst mal nicht. Drei Jahre dauert es, bis es zu einer Anhörung kommt. Er wird freigesprochen. Vermutlich auch, weil er während des Dritten Reichs Stücke inszenierte, die eigentlich verboten waren. 1948 kann die Puppenkiste eröffnet werden.
Diese Dinge richtig wiederzugeben, das ist Eva wichtig. Sie hat Oehmichens Erben getroffen, mit ehemaligen Mitarbeitern gesprochen, Einblick in Familienalben bekommen. Mehr als ein Jahr recherchiert sie nun schon. „Deutsche in Hollywood sind oft die bösen Nazis“, sagt Eva, „da gibt so ein Schwarz-Weiß-Denken.“ Ihr gehe es darum, in ihrem Kurzfilm auch die „Grautöne“ wiederzugeben, die Brüche in der Biografie ihrer Figuren sichtbar zu machen. Oehmichen, so formuliert Historiker Böttger es, sei im Dritten Reich tatsächlich eher unpolitisch gewesen, „aber die Erfahrung der Kriegswirren hat ihn stark geprägt. Er war später sehr links.“
Trotzdem erzählt „Strings of Hope“ vorrangig eine Familiengeschichte. Eva geht es um die Interaktion zwischen Oehmichen und seiner Tochter Hannelore, die jene liebgewonnenen Figuren wie das Urmel geschnitzt hat, mehr als 6000 Stück. Die Eltern hatten Hannelore, 1945 fast noch ein Kind, zunächst das Schnitzen verboten. Der Film beschäftigt sich mit genau diesem Konflikt. Und mit der Hoffnung, die Theater in einer Zeit der Not geben kann. „Ich bin großer Fan von Märchen, Mythen, Puppenspiel, weil ich glaube, dass das heilende Wirkung hat. So etwas gibt einem Kraft in Zeiten von Krieg oder Hunger.“
Wenn Eva das sagt, weiß man, warum der Film ihr am Herzen liegt. Sie hat es selbst so oft erlebt, das Scheitern. Den ständigen Neustart. Das Gefühl, aus dem Nichts etwas schaffen zu wollen. Momentan versucht sie, für Strings of Hope eine Finanzierungsmöglichkeit zu finden. 26 000 Dollar wollte sie über die Plattform Kickstarter sammeln, doch es kam nicht annähernd genug Geld für den Kurzfilm zusammen. Strings of Hope hängt buchstäblich am seidenen Faden. In den kommenden drei Wochen muss sie das Geld auftreiben, sonst scheitert das Projekt. Eva wirkt nicht verbittert oder gar deprimiert, wenn sie das ausspricht. Man merkt, sie will das, unbedingt. Irgendwie wird es gehen. Muss es gehen. Denn Eva hat Großes vor: Falls ihr Projekt gut ankommt, will sie die Geschichte noch einmal erzählen. Als Spielfilm. Gedreht wird dann aber nicht nur in den USA, sondern auch in Schwaben.
Von: Carolina Heberling
Foto: Steffanie Helmchen