Kunst aus dem Keller

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“Rent an artwork”: Ramona Greiner, 27, sucht als Kuratorin bei „Electric Artcube“ Kunstwerke zum Verleih aus. Sie will damit gerade jungen Leuten einen bezahlbaren Zugang zu Originalen ermöglichen – als Ersatz für Poster.

Ein Spaziergang durch München ohne ihn, das ist unmöglich. Er ist überall: an der Reichenbachbrücke, am Biergarten der Muffathalle oder auf dem Gelände der Kultfabrik. Am Tassiloplatz und am Tierpark. Eigentlich fehlt er nur an einem einzigen Ort: zu Hause. Doch auch dort kann man ihn nun haben. Erschwinglich und, ja, unverbindlich, zur Miete. Für 20 Euro im Monat hängt ein Original von Loomit, Münchner Streetart-Künstler, in der eigenen Wohnung.

Die Idee, Kunst zur Miete anzubieten, und das gerade von jungen Künstlern, entstand in München. Drei junge Kunstliebhaber trafen sich bei einer Vernissage und kamen ins Plaudern. Zunächst einfach so, dann konkreter über eine Geschäftsidee. Kunst wollten sie vermieten, online, unpersönlich, ganz ohne Beratung. Doch warum?

Ramona Greiner, 27 (Foto: Alessandra Schellnegger) ist eine der Gründerinnen. Sie kennt sich aus in der Kunstszene, studierte Philosophie und Kunstgeschichte, schreibt gerade ihre Dissertation über einen Bauhaus-Schüler. Sie arbeitet in einer Münchner Galerie in der Maxvorstadt und lernte zuvor in Praktika die Verlockungen der Szene kennen. Und ihre Kehrseiten: „Ich weiß, wie schwierig das oft ist, in diese Galerieräume reinzugehen, der einzige Besucher zu sein und sich zu überlegen: Mensch, gerade heute habe ich Jeans und Sneakers an.“ Wirklich wohlig fühle man sich da nicht, unter der strengen Beobachtung der Beratung, immer mit dem Gefühl, eigentlich nicht wirklich hineinzupassen in diesen kahlen Raum, dessen weiße Wände hier und dort von einem Original-Kunstwerk unterbrochen werden.

Statt sich hineinzutrauen, blieben deshalb viele Neugierige, besonders die Jüngeren, draußen. Dass Ramona selbst zugleich fasziniert und befremdet ist von dem Elitären der Szene, glaubt man ihr: Da ist auf der einen Seite die Doktorandin, deren stilvolles Outfit in die Galerie passt, in der sie später am Tag arbeiten wird. Bedacht spricht sie von ihrem Projekt oder davon, dass sie nur ein einziges Bild in ihrer Wohnung aufgehängt hat: eines vom Bauhaus-Schüler Maximilian Debus, zu dessen Werken sie forscht. Und auf der anderen Seite trifft man sie in kurzer Hose und sommerlichem Shirt in der Kultfabrik, unbeschwert plaudernd in dem kleinen Büro von Electric Artcube. Hier beraten die drei Gründer auf engstem Raum über die Aufnahme von neuen Künstlern und verbringen die Stunden, die eigentlich zu ihrer Freizeit gehören. Aus purem Idealismus machen sie den Kunstverleih aber nicht, allerdings verdienen sie derzeit auch noch nicht ausreichend, um davon leben zu können.

Um die Hemmschwellen vor der Galerietür, vor dem Elitären zu nehmen, funktioniert Electric Artcube unpersönlich: Es gibt eine Homepage, eine Bildergalerie, Filterfunktionen – je nachdem, ob man unter einem knallbunten Farbexperiment auf dem Sofa sitzen möchte oder doch unter einer sanften Fotografie in Schwarz-Weiß. Alle Preise (maximal 150 Euro im Monat) sind öffentlich einzusehen, der Einkaufswagen lässt sich online füllen und bezahlen. Erst dann folgt der persönliche Anruf, wann das Kunstwerk in der eigenen Wohnung erwartet werden kann: „Ich scheue natürlich den Amazon-Vergleich, wenn es um Kunst geht, aber de facto ist unser Modell so einfach zugänglich und unkompliziert wie Amazon“, erklärt Ramona. Natürlich könne man sich beraten lassen, gerne sogar. Auch Raumkonzepte für Unternehmen könne sie erstellen. Aber all das ist ein Angebot, kein Zwang.

Dass eine Auflockerung dem Kunstbetrieb gut tut, davon können gerade junge Künstler in München erzählen. Katharina Lehmann, die erst seit wenigen Wochen ihre Werke bei Electric Artcube zum Verleih anbietet, ist nur ein Beispiel: Über die Münchner Galerien, sagt sie, brauche man nicht lange zu sprechen: Hohe Konkurrenz herrsche hier. Und die Chancen, dort genommen zu werden, wo man die eigenen Bilder präsentieren wolle, seien gering: „Natürlich haben wir Künstler dann viele Werke einfach im Atelier oder zu Hause herumstehen.“ Diese Kunst soll mithilfe des Verleihs aus den eigenen vier Wänden in fremde Wohnungen kommen, von den eigenen Seiten der Künstler auf eine gemeinsame – so das Konzept von Ramona: „Es steht so viel gute Kunst in Kellern und Ateliers herum, die einfach nicht gesehen wird. Die Werke sind auf den Websites der Künstler zu finden, aber auf die Sites selbst muss man erst einmal kommen.“

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Künstler gehen kein Risiko ein, die Werke sind versichert, Transport und Verpackung werden von Electric Artcube organisiert und die Seite ist – bei aller Freiheit auf Seiten der Mieter – kuratiert. „Ich habe mir die anderen Künstler vor meiner Entscheidung genau angeschaut und finde die Auswahl sehr gut“, sagt etwa Katharina Lehmann: „Man muss aufpassen, dass man nicht falsch präsentiert wird – zusammen mit Künstlern, zu denen die eigenen Werke nicht passen.“ Das Projekt ist also kein naives Hilfsprojekt für junge Künstler. Es ist eines, das die Kunstauswahl sehr ernst nimmt, viele Bewerber ablehnt und das bei aller Konzentration auf die Kunst durchkalkuliert ist.

Zwei Betriebswirte sind mit unter den Gründern und sie alle wollen dieses Projekt auch finanziell erfolgreich weitertreiben. Damit sie nicht in einem Jahr aufgeben und die Kunst in Kellern bleiben muss.
Marie Schoeß

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Marie Schoeß besitzt ein einziges Original: Es zeigt die Dämonen der Großstadt, gezeichnet von Loz Verney, der im Londoner Gewusel großgeworden ist und die Stadt zu seinem Lieblingsmotiv erklärt hat. Daneben dann, wie es sich für Studenten gehört, ein Poster, aufgenommen „somewhere in Munich“ – irgendwo zwischen ‚Skyline‘ und Wolkenhimmel, ganz sicher aber ohne Großstadt-Dämonie.