Raus aus München

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Beim “White Paper Festival” sollen

Designmarkt, Kurzfilme und Bands Besucher von München nach Dachau locken – und gleichzeitig die lokale Kulturszene bereichern.

Eine überwucherte Freifläche. Dahinter eine runtergekommene, zur Seite hin offene Fabrikhalle. Eine steife Brise weht übers Gelände. Donnergrollen. Annika Wenzel hat ihre Hände ganz tief in den Manteltaschen vergraben. „Wir waren schon so viel bei Regen hier, wenn an den Festivaltagen kein schönes Wetter ist, dann weiß ich auch nicht weiter“, sagt sie. Hier, auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik in Dachau, soll Mitte Juni ein zweitägiges Benefiz-Festival stattfinden mit dem Namen: „The White Paper“. Kurzfilme, Workshops, ein Designmarkt, lokale Essensstände und viele Bands sollen die Besucher nach Dachau locken. Hinter der Organisation stecken fünf junge Frauen, die seit Monaten in Eigenregie auf die Eröffnung hinarbeiten.

Warum in Dachau und nicht in der nahegelegenen Großstadt? „Wir wollten hier mal was für Dachau machen“, sagt Mitorganisatorin Lina Homann. Sie würden vor allem jungen Menschen gerne eine Alternative bieten, die normalerweise jedes Wochenende zum Feiern nach München fahren. Die Resonanz und die Wertschätzung für die Leistung, die man bringt, seien in Dachau außerdem viel größer. Und die Konkurrenz sei ihnen in München einfach zu groß gewesen. Eine viel umfangreichere Marketingmaschinerie wäre nötig gewesen, auf die sie, plump gesagt, einfach keinen Bock gehabt hätten. 

Denn bei all der Energie und Liebe zum Detail, die die Freundinnen in das Festival stecken, ist ihnen anzumerken: Da sind fünf junge Frauen am Werk, die nicht viel halten von Businessplänen, ausufernden Werbekampagnen und Selbstdarstellung. Da sind fünf Frauen, die lieber anpacken.

Und das tun sie seit einigen Jahren mit ihrem Verein „Wir sind Paul“. Packende Aktionen, Unterstützung, Leben, kurz Paul, lautet ihr Slogan, mit dem sie schon einen Kleidertausch und einen alternativen Weihnachtsmarkt im Dachauer Wasserturm organisiert haben. „Es gibt so viele schlechte Meldungen jeden Tag, man muss einfach anfangen, was im Kleinen zu tun“, sagt Mitgründerin Lina. Die Reaktionen auf die ersten Aktionen seien überwältigend gewesen: „Immer wieder wurden wir danach gefragt, wann wir denn wieder so etwas organisieren würden“, sagt sie. Die Idee für ein großes Festival stand sofort im Raum: „Das war wie ein Schneeball, den du runterrollst und der irgendwann nicht mehr zu bremsen ist.“

Über den Standort waren sich alle sofort einig: Es musste die alte Dachauer Papierfabrik werden, die 2006 stillgelegt wurde und seitdem keine Verwendung gefunden hat. Das Gelände ähnelt dem Münchner Viehhof, an dem sich die Jugend mit Graffiti und Streetart austobt. Etwas Geheimnisvolles, Verbotenes strahlt es aus. Die Initiatorinnen und ihre mehr als 40 ehrenamtlichen Helfer stapfen nun seit Monaten immer wieder bei Wind und Wetter auf dem alten Fabrikgelände umher, versuchen die während der vergangenen zehn Jahre überwucherte Freifläche in den Griff kriegen, zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie die Fabrikdecke dicht bekommen, bauen eine Infrastruktur auf. „Man muss sich mal vorstellen: Hier ist kein Wasser, hier ist kein Strom, hier ist nichts“, sagt Annika ein wenig entsetzt. Sie ist trotzdem voller Zuversicht, dass sie mit den nötigen Vorbereitungen rechtzeitig fertig werden.

Dass das Festival keine bestimmte Zielgruppe hat, sondern jeden ansprechen soll, sieht man am besten am geplanten Musik-Programm: Auf einer Open-Air- und einer Indoor-Bühne werden zwölf bunt durchgemischte Musikgruppen zu hören sein. So spielen die Neo-Volksmusikanten von Kofelgschroa, die Express Brass Band und Ami, die Tochter von Wally Warning.

Als eine Art Vorbild sehen die Organisatorinnen Tobias Schneider, den Kulturreferenten der Stadt Dachau, der „rührig und engagiert“ die Festivalplanung unterstütze. Eigentlich organisiert er regelmäßige Veranstaltungen wie den Dachauer Musiksommer. Dabei steckt er viel Geld in attraktive Line-ups und hat es so geschafft, selbst Publikum aus München in die vorgelagerte Kleinstadt zu locken – normalerweise funktioniert das nur umgekehrt. 

 Es ist noch nicht sicher, ob die jungen Frauen genug Geld zusammenkriegen, um überhaupt die Festivalkosten zu decken. Wenn aber im besten Fall etwas übrigbleibt, wissen Lina, Annika, Alice, Ines und Lena schon, wem sie das Geld spenden werden: an ein Straßenkinderprojekt in Bulgarien und die Organisation „Ein-Dollar-Brille“. 

Die Frage, ob es das Festival nächstes Jahr wieder geben soll, fällt den Frauen nicht leicht zu beantworten. „Das ist gerade schwer vorstellbar“, gibt Annika zu. Zu kräftezehrend seien die vergangenen Monate gewesen, zu viel Energie hätten sie für die Organisation aufbringen müssen. Auch sei es fragwürdig, ob der Standort alte Papierfabrik für ein weiteres Jahr in Frage komme. Ein Architekturwettbewerb zur zukünftigen Nutzung des Geländes hat schon stattgefunden, die Stadt Dachau erkennt so langsam das Potenzial dieses verwunschenen Ortes.  

Text: Tilman Waldhier

Foto: Niels Peter Joergensen

Von Freitag bis Freitag München – Unterwegs mit Theresa

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Herbstnostalgie und Sonnenstrahlenjagd: Theresa tanzt sich durch die letzten unifreien Tage: Bei Rage against Abschiebung im Feierwerk, bei Elektrik Kezy Mezy im Cord. Außerdem durchlebt sie noch ein paar Kindheitserinnerungen im Lenbachhaus beim Blauen Pferd und bei einer Pumuckl-Drehort-Führung.

Der Spätsommer gibt sich diese Woche noch einmal richtig
Mühe und zeigt mir, wie viel Lust ich habe, am 13. Oktober wieder eine Unibank
zu drücken. Aber man tut, was an kann und lebt im Augenblick. Deshalb Motto
dieser Woche: Herbstlaub sammeln und Sonnenstrahlen jagen. Sich ein bisschen in
Nostalgie verlieren. Und durch die Sternennächte tanzen.

Damit fange ich auch gleich am Freitag an, im Feierwerk bei
Rage against Abschiebung. Vor allem auf Kofelgschroa freue ich mich wie ein kleiner
fröhlicher Kürbis und mir sind es die 10 Euro Eintritt auf jeden Fall Wert, um die
verplanten Oberammergauer einmal wieder live auf der Bühne zu sehen. Vor allem, weil das Geld an den bayerischen Flüchtlingsrat geht und ich damit wenigstens ein klitzekleines politisches Statement senden kann. Rage against Abschiebung ist seit 1996 das größte, regelmäßig stattfindende, antirassistische Benefiz-Bandfestival im süddeutschen Raum.

Am Samstag bin nach einem langen Spaziergang im Englischen
Garten, inklusive Lesepause auf sonnenbeschienener Bank noch nicht ausgepowert
genug und mache mich deshalb gegen 23 Uhr auf den Weg zum Kong. Club Autonomica.
Damit meine Mama mir nicht immer vorwerfen kann, ich würde nur zu süßen
Indie-Bands und schnulziger Salsa-Musik tanzen. Ich schlage mich auch gut bei
Fur Coat, BAAL und Samsa und zuckle in den frühen Morgenstunden nach Hause. 

Ich finde, am Sonntag habe ich mir deshalb ein bisschen
Schonung verdient. Drehe mich sogar noch zweimal mehr in meinem herrlich
großen, neuen DOPPEL(!)bett um und lese weiter in meinem herrlich aufgeladen,
verspielten, prallen Buch “Jitterburg Perfume”. Heißer Tipp für alle, die auf
der Suche nach dem ewigen Leben und dem perfekten Duft sind.
Am Nachmittag muss ich an meinen Papa denken und mache mich
deshalb in nostalgischer Erinnerung an unsere früheren wöchentlichen
Kinobesuche in der großen Stadt gegen drei Uhr auf den Weg ins Theatertiner
Film, um mir “Der Sohn der Anderen” anzuschauen. Meine Befürchtung, dass das
zwar keine leichte Kost und deshalb nicht der optimale Film für einen einsamen
Kinonachmittag ist, bestätigt sich zwar, aber ich frage meinen Nachbarn, von
der anderen Seite des Ganges nach einem Taschentuch und fühle mich gleich nicht
mehr so alleine. Das Gute an bedrückenden Nachmittagsfilmen ist, dass man
sich am Abend noch zu Mama auf die Couch kuscheln und Polizeiruf gucken kann.

Am Montag geht es weiter mit Kindheits-Nostalgie. Ich fahre
zum Königsplatz, raschle durch das goldene Laub und gehe dann ins Lenbachhaus. Ich setze mich in eine Ecke in der Blauen Reiter-Ausstellung und stelle mir vor, wie es wäre, auf dem blauen Pferd in den Sonnenuntergang zu reiten. Daheim mache ich mir einen Gute-Laune-Tee und packe meine Aquarell-Farben aus. Die hat mir mein Papa gekauft, als ich in der Grundschule war, und mein erstes Kunstwerk war – das blaue Pferd von Franz Marc.

Letzten Donnerstag ist Ellis Kaut gestorben. Anlass, mal wieder
die alten Pumuckl-Kassetten auszupacken und – am Dienstag an einer
Pumuckl-Drehort-Stadtführung teilzunehmen. Der gebürtige Franke Sebastian
Kuboth zeigt seinen Gruppen, wo Meister Eders Werkstatt 1985 gleich nach dem
Dreh wieder abgebaut wurde und erzählt auch, dass die Autorin gar nicht
so zufrieden mit der filmischen Umsetzung ihrer Klabautermann-Geschichten
war. Ist mir egal. Ich mag den kleinen rothaarigen Strolch so und so, ob als
Buch, Kassette oder Fersehserie. 

Am Mittwoch muss dann aber endlich mal gut sein mit all
diesem Schwelgen in Kindheitserinnerungen, sonst werde ich wirklich noch traurig,
dass das Leben irgendwie  nicht mehr so
unkompliziert ist wie damals. Deshalb wird Nostalgie weggetanzt, diesmal wieder
mit Musik, die genau meinem “Musikgeschmack” (wenn es so etwas bei mir
gibt) entspricht: Elektrik Kezy Mezy spielt im Cord. Und The Tuts finde ich nicht nur
schon grundsätzlich cool, weil sie aus London kommen, sondern weil sie “impassioned
songs about sexism, feminism and everyday life-isms” machen.

Grandioser Auftakt für den
Wochenabschluss am Donnerstag: Ich schaffe es endlich einmal ins Rationaltheater, wo Nick & the Roundabouts unterstützt
von Ella Josaline “Half-Written Poems” zum Besten geben. Für mich klingt das alles mehr als nur halb, sondern eigentlich ziemlich ganz und ich schlendere unter dem, was man München an Sternenhimmel eben zu bieten hat, nach Hause.

Künstlerisch geht es am Freitag weiter, bei der Release-Party von “München ist Dreck” im Maxés.
Ich glaube, das mit dem Studieren überlege ich mir nochmal. Vielleicht male ich auch einfach nur noch expressionistische Aquarelle, die niemand versteht. Oder ich schreibe Gedichte. Über den Herbst, und eine Stadt, die wirklich golden sein kann, wenn die Sonne scheint.

Theresa Parstorfer

Foto: Tobias M Kraft