Einmal-kurz-zweimal-lang. Das ist das Klingelzeichen von Marina und ihrer Freundin Rike. Mit der Zeit ist es immer seltener geworden, aber mit ein bisschen Phantasie muss das nichts heißen. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.
Es klingelt, einmal-kurz-zweimal-lang. Ich renne die Treppe nach unten, öffne die Haustüre. Rike. Seit wir klein waren wohnte sie im Haus gegenüber. Wir mussten nur einmal um den Block laufen, dann standen wir vor der Haustür der anderen. Sie lief immer rechts rum und ich immer links rum. Wir hatten unser spezielles Klingelzeichen, einmal-kurz-zweimal-lang, so klingelte sonst keiner. Ich kann unmöglich sagen, wie oft sie vor meiner Haustür stand und ich, sobald ich das einmal-kurz-zweimal-lang hörte, die Treppe nach unten rannte. Wir waren wie Schwestern.
Rike war immer die Realistin. Die genau wusste, wie ihr Leben verlaufen sollte, mit Liebe und heiraten und Kinder, mit Karriere machen, mit Plan. Sie war immer die Realistin, die in der Grundschule schon Zeitung las und das Meiste davon sogar verstand. Ich war immer die Träumerin, die nicht älter werden wollte, und wenn doch, dann bitte Pirat. Ich war die Träumerin, die träumte, dass das Leben ein Abenteuer ist, in dem sie und ich immer befreundet bleiben.
Aber als es dann losging und ich verliebt war und sie nicht, und ich dann wieder verliebt war und sie nicht, und ich plötzlich auch die Zeitung las und sie von Anarchie träumte, da hatte sich etwas verändert. Sie war zur Träumerin geworden, und ich zur Realistin mit Plan. Wir, die wir uns kennen gelernt hatten, als wir uns unsere Träume noch in Kinder Fantasie Sprache erzählten, konnten nicht mehr reden. Wir hatten Rollen getauscht. Das einmal-kurz-zweimal-lang wurde seltener.
Die Träumerin und die Realistin, die wir beide in uns tragen, finden immer wieder zueinander. Sie studiert am anderen Ende Deutschlands, und auch ich bin mittlerweile ausgezogen. Realistisch gesehen könnte das alles das Ende bedeuten, aber ich glaube, mit ein bisschen Fantasie muss es das nicht. Wir kennen jetzt beide beide Seiten, die verträumte und die realistische, und darin finden wir uns wieder. Wenn man so viele Jahre alles zusammen erlebt, gemeinsam von der Zukunft träumt und Pläne schmiedet, dann kann man auch Distanzen vergessen und immer wieder neu anfangen.
Unsere Eltern wohnen immer noch gegenüber. Und wenn wir an Weihnachten oder in den Semesterferien beide zuhause sind, dann laufen wir wieder einmal um den Block, sie immer noch rechts rum und ich immer noch links rum. Und dann wieder: einmal-kurz-zweimal-lang.
Von: Marina Sprenger
Foto: Yunus Hutterer