Von klein auf dickste Freunde

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Dorine Siegemund, 22, hat ein Kinderbuch zur Verständigung der Völker geschrieben: „Von Kibbeh und Knödeln”. Mithilfe von Crowdfunding will sie erreichen, Exemplare an jede Flüchtlingsunterkunft Münchens spenden zu können.

Kindern zu erklären, warum es Krieg gibt, ist nicht einfach. Wo die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Ländern liegen, aus denen Menschen fliehen, ebenso. Dieser Aufgabe hat sich nun Dorine Siegemund, 22, angenommen. In ihrem Kinderbuch „Von Kibbeh und Knödeln“ erzählt sie die Geschichte von Mina aus Syrien, die nach ihrer Flucht in eine deutsche Klasse kommt und sich mit Gustav anfreundet. Gegenseitig zeigen sie sich im Laufe des Buches ihre Familie, ihre Kultur, ihr Leben. Und werden zu dicksten Freunden.

„Gustav fragt Mina: ‚Warum bist du und deine Familie eigentlich nach Deutschland gekommen, du findest doch, dass Syrien ein schönes Land ist.‘ Mina erklärt sehr traurig: ,Ja, das ist es eigentlich auch. Aber wir mussten Syrien verlassen, weil dort seit einigen Jahren Krieg herrscht und das Leben dort sehr gefährlich ist. Man kann nicht einfach draußen spielen, wie hier in Deutschland.‘“

Mit vielen Details beschreibt Dorine die Annäherung zwischen den beiden Kindern, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, das unterschiedlicher nicht hätte sein können. Während Gustav die Vorzüge einer gutbürgerlichen deutschen Familie genießt, war Minas Kindheit bis jetzt geprägt von Angst und Unterdrückung. Trotzdem, oder gerade weil sie in solch unterschiedliche Welten hineingeboren wurden, haben sie sich viel zu erzählen. Die Geschichte von Gustav und Mina ist das Musterbeispiel dafür, wie selbstverständlich Integration funktionieren kann.

Rückblick: Als Dorine nach dem Abitur eine längere Auslandsreise nach Ostasien unternimmt, trifft sie auf ihre spätere Freundin Donghee. Die Münchnerin ist fasziniert von der Koreanerin, weil sie gerade in zwei Jahre langer Arbeit ein Mathematikbuch für Kinder in Afrika geschrieben hat. Zu dieser Zeit ist Dorine auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, vor allem nach dem Sinn ihres ganz persönlichen Lebens. Und sie ist genervt. Genervt von der politischen Situation im eigenen Land, von der großen Ablehnung, die vielen Geflüchteten entgegenkommt, wenn sie Deutschland erreichen.

Durch Donghees Zureden und das Bewusstsein, etwas verändern zu können, kommt Doreen nach München zurück mit einer Vision: Sie will ein Buch zur Verständigung der Völker schreiben, und zwar für Kinder. Für die Recherche trifft sie sich zum langen Gespräch mit Salim aus Damaskus. Viel Wissen über die syrische Kultur hat sie zudem bereits bei der Arbeit in einer Flüchtlingsunterkunft mitgenommen. Ein Jahr soll es von da an dauern, bis sie das fertige Werk in den Händen hält. 53 Seiten hat es am Ende, liebevoll illustriert von einer Bekannten Dorines, der Designerin Kerstin Simon.

Die junge Münchnerin, die aktuell Kommunikationspsychologie in Leipzig studiert, will mit ihrem Projekt dafür sorgen, dass Kinder in den oft aufs Nötigste reduzierten Flüchtlingsheimen etwas zum Lesen haben. Die Lektüre soll ihnen die deutsche Kultur näherbringen und obendrein ein bisschen glücklich machen.

Bei ihrer langjährigen Arbeit in einer Krippe und dem ehrenamtlichen Engagement in einer Flüchtlingsunterkunft wurde sie auf den Mangel von sinnvollem Lesestoff aufmerksam. Gleichzeitig spürte sie jedoch, wie viel Interesse von den Kindern ausging, auch mal was vorgelesen zu bekommen, nicht immer nur raus zum Spielen geschickt zu werden. Dorine erinnert sich an ihre eigene Kindheit: „Für uns Geschwister war es immer das Größte, vorgelesen zu bekommen“, sagt sie.

Dieses Erlebnis will sie für alle Münchner Flüchtlingskinder im Alter von sieben bis zwölf möglich machen. Denn jede Unterkunft in München soll so viele Exemplare des Buches gespendet bekommen, wie sie Kinder in diesem Alter beherbergt. Finanzieren will Dorine die Produktion durch eine Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter. Circa 2150 Euro benötigt sie für die Realisierung. Doch nicht nur Flüchtlingskinder will die Studentin ansprechen. Ebenso ist das Buch für deutsche Kinder gedacht, die so schon im jungen Alter für das Thema Migration sensibilisiert werden. Außerdem können sie etwas über die syrische Kultur lernen: über das Zuckerfest, das „für uns so, wie für euch sicher Weihnachten“ ist, über die syrische Flora und Fauna, über die Rolle des Glaubens im Alltag.

Um das erste Feedback zum Buch zu bekommen, hat es Doreen ganz am Anfang an einen Münchner Kindergarten geschickt, der es in der Gruppe besprochen hat. Weil die Resonanz sehr positiv war, kann sie sich vorstellen, das Buch in näherer Zukunft neben den Flüchtlingsunterkünften auch in Kindergärten zu verbreiten.

Mit ihrem Projekt einmal Geld zu verdienen, sei nie Hintergedanke der jungen Münchnerin gewesen. Das Projekt wäre ausschließlich aus dem Wunsch nach einer gerechteren und aufgeschlosseneren Gesellschaft heraus entstanden. Das eindeutige Ziel sei es schlichtweg, das Buch an das Kind zu bekommen. Deshalb möchte sie jetzt erst einmal das nötige Geld für die Produktion der Exemplare einsammeln, bevor sie sich groß über die Zukunft Gedanken macht.

Zurück bleibt die Frage: Wie sollen Flüchtlingskinder das bisher nur auf Deutsch erschienene Buch überhaupt verstehen, geschweige denn ihre Eltern es ihnen vorlesen? Dafür wäre dann wohl eine zweite Edition notwendig, in etwa eine arabische Version von „Von Kibbeh und Knödeln“. Oder, und das wäre Dorine natürlich am liebsten, der Sprachunterricht ist so gut, dass die Kinder das Buch auch auf Deutsch verstehen.


Text: Tilman Waldhier

Foto: Privat

Neuland: Schön, dass du da bist

Die beiden Münchner Studentinnen Laura Kieblspeck, 24, und Tamara Stangl, 23, haben ein Kinderbuch herausgebracht, das sich an Kinder aus Deutschland und Flüchtlinge im Grundschulalter richtet. 

In dem 20 Seiten dicken Buch „Schön dass du da bist, zusammen sind wir bunt“ erzählen sie die Geschichte des jungen Ali, der Deutschland entdeckt. Ali wird mit westlichen Besonderheiten konfrontiert. Ihn verwundert es etwa, dass Frauen in Deutschland im Bikini ins Schwimmbad gehen. Diese Verwunderung sei real: „Als ich geflüchteten Kindern aus einem Kinderbuch vorlas, haben alle beim Anblick der Frau im Schwimmbad verschämt geschmunzelt“, sagt Laura, die junge Flüchtlinge betreut und deshalb aufklären will. Laura und Tamara wollen den Kindern Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Kinderrechte vermitteln. Wichtig war den beiden Studentinnen, das Thema Flucht zu vermeiden: „Das kann zu Retraumatisierungen führen“, sagt Laura. Die Themen werden im Buch mit vielen bunten Illustrationen und einfachen, kurzen Sätzen bearbeitet. Bislang existiert das Buch nur digital. Sollte sich Verleger finden, wollen sie es in Schulen und Einrichtungen für Flüchtlinge einsetzen.

Von: David-Pierce Brill