Sagar Dhital studiert in München Medizin, um später in seiner Heimat in Nepal eine Krankenstation aufzubauen. „Ich will nicht die ganze Welt retten“, sagt er. „Aber in meinem Dorf will ich alles besser machen, als es jetzt ist“
Von Friederike Krüger
Sein Wille, etwas zu verändern, hat Sagar Dhital nach München gebracht. Hier studiert der junge Nepalese Medizin, um in seiner Heimatstadt Katunje einmal eine Krankenstation aufzubauen. Er hat eine entbehrungsreiche Kindheit hinter sich, aber er hat ein Ziel, eine Aufgabe, die das Leben in seinem Heimatdorf grundlegend umwandeln wird.
Sagar Dhital ist 28 Jahre alt. Oder 26. Genau weiß das keiner. Wie seine sechs Geschwister wird er auf dem Fußboden des Hauses zur Welt gebracht. Drei der Kinder sterben früh. Es könnte Typhus gewesen sein, vermutet die Mutter. Denn einen Arzt gibt es nicht. Die Menschen leiden an Gicht und Diabetes. 25 000 Bewohnern fehlen die einfachsten Medikamente. Krankheiten werden von Schamanen behandelt. „Meine Mutter glaubt bis heute, dass es vielleicht so sein sollte“, sagt Sagar betrübt.
Barfuß läuft er als Kind täglich zwei Stunden zur Schule, Mittagessen gibt es keines. Die Hausaufgaben macht er unter dem schwachen Licht einer Kerosinlampe. Nicht selten verliert er den Kampf gegen die Müdigkeit. Trotzdem fällt dem Jungen die Schule leicht. Als einer der Besten der Region darf er sein Abitur in einer benachbarten Stadt machen. Er wohnt bei Verwandten, die ihn unterstützen – und schafft den Abschluss mit Bestnoten.
Ein Stipendium ermöglicht ihm das Biologiestudium in Kathmandu, von dem er nie zu träumen wagte. Es ist der Weg in ein neues Leben. Er trägt nun Schuhe, lernt und liest viel. Seine Ansichten ändern sich. Sagar hinterfragt die Religion und die Naivität seiner Eltern. Damals denkt er sich: „Irgendwer muss dort etwas ändern.“ Damals waren es nur Gedanken, heute setzt er sie um.
Nach dem Studium, er ist nun 21, arbeitet er im Krankenhaus in Dhulikhel. Betreut die ausländischen Studierenden während ihrer Famulatur und ist in der Abteilung für Anatomie angestellt.
Medizin – das ist sein Traum. Und die Lösung für das Elend, aus dem er kommt. „Die Menschen in meinem Ort müssen aufgeklärt werden.“ Er will ihnen helfen, aber ein Medizinstudium scheint unmöglich zu sein. Denn in Nepal würde es umgerechnet 35 000 Euro kosten. Sagar kann Nepali, Hindi und Englisch. Doch auch in Amerika oder England kann er sich die Studiengebühren nicht leisten.
Münchner Studenten erzählen ihm vom Studium in Deutschland und dass es kostenlos sei. Der Nepalese klickt sich durch Youtube-Videos und saugt diese neue Welt in sich auf. Dort will er hin. Auch wenn er hierfür Deutsch lernen muss. Doch seine Eltern lassen ihn nicht gehen. Sie wissen nicht, wo das ist, dieses Deutschland. Sie wissen nicht, wie er für sich sorgen soll. Ihr jüngster Sohn, sie wollen nicht auch noch ihn verlieren.
Doch nach vier Monaten die Wende: Er hat einen Deutschkurs belegt, sein Konto ist gedeckt, 2000 Euro spendeten die Dorfbewohner, 2000 erarbeitete er selbst, 4000 bekam er als Kredit. Er erhält ein Visum und kann seine Eltern überzeugen: Ihr Sohn kann ihre Zukunft verändern.
Sommer 2013, Sagar Dithal landet am Frankfurter Flughafen. Zwölf Stunden Flug trennen ihn von seiner Heimat – 8000 Kilometer, die zu überbrücken kein leichter Weg war.
Zum ersten Mal in seinem Leben sieht er einen Zug. Die Modernität der Stadt erschlägt ihn. Wie soll er das seinen Eltern erklären? Seinen Eltern, die solange dagegen gewesen sind, dass er sie verlässt. Für sie, die nicht verstehen, wie er ihnen helfen kann, ist doch alles im Leben vorherbestimmt. Sie, denen Sagar ein besseres Leben verschaffen will – mit dem medizinischen Know-How, was er nur in Deutschland erlernen kann.
Sagar trägt heute Kapuzensweater und Poloshirt, mit seinem iPhone fragt er sich zu dem Café durch, in dem er seine Geschichte erzählen soll. Er wohnt nun seit knapp einem Jahr in München. Und immer noch ist vieles ganz neu für ihn. Warum sich so viele hier für seine Geschichte interessieren, versteht er nicht. „Die Welt ein Stück weit besser machen – das wollen doch alle“, sagt er.
Über Frankfurt gelangt er nach München. Trotz vieler Nachtschichten als Barkeeper schafft er das erste Semester mit Bravour und erhält das Deutschlandstipendium. Nun muss er nicht mehr jedes Wochenende arbeiten.
Nach einem halben Jahr schickt er seiner Familie Fotos. „Ob ich genug Holz fürs Feuer und genug Reis zu essen habe, haben sie ständig gefragt,“ erzählt Sagar, ein wenig verzweifelt.
Er bewegt sich auf einem dünnen Grad zwischen zwei Welten. In München manchmal selbst überfordert, versucht er seinem Vater alle zwei Wochen an einem Samstag um 9 Uhr morgens, wenn dieser mit seinem Handy in Nepal ein paar Schritte auf einen Hügel hinauf läuft, sein neues Leben zu erklären. Und welche Auswirkungen es auf das seines Vaters haben wird.
Der Ort für eine Krankenstation ist bereits ausgewählt worden. Wenn Sagar Dithal 2016 nach drei Jahren zum ersten Mal in seine Heimat zurückkehren und seine Familie wiedersehen wird, will er mit der konkreten Planung beginnen. „Ich will nicht die ganze Welt retten und auch nicht das ganze Land verändern. Aber in meinem Dorf will ich einfacf alles besser machen als es jetzt ist.“
Foto: Natalie Neomi Isser