Wummern unterm Wellblech

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Im „Container Collective“ kehrt langsam Leben ein. Radio 80 000 sendet schon vom Ostbahnhof, junge Künstler arbeiten in ihren Ateliers. Klappt das Modell, könnte so in Zukunft Raum für Subkultur geschaffen werden.

Der saftige Schokoladenkuchen ist mit reichlich türkisem Zuckerguss überzogen, ein Geländer ist liebevoll mit Zahnstochern nachempfunden. Auf dem Kuchen, den Sophie Herz, 24, zum Geburtstag bekommen hat, steht mit weißem Zuckerguss geschrieben: Hobis, kurz für Holzbildhauerinnen. Der Kuchen ist eine Miniaturausgabe des Containers, den Sophie mit ihren Freundinnen Ana Saraiva, und Melanie Meier, beide 23, vor wenigen Wochen im neu entstehenden „Container Collective“ am Ostbahnhof bezogen hat. 27 Schiffscontainer stehen am Eingang zum Werksviertel nahe des Ostbahnhofs, die meisten davon werden an junge Künstler und Unternehmer vermietet. Zwischennutzung – zunächst für drei Jahre –, das Münchner Allheilmittel für Subkultur.

An einem der ersten warmen Tage des Jahres sind die Türen des Containers weit geöffnet, damit der Geruch der Farbe an den frisch gestrichenen Wänden sich verflüchtigen kann. Der längliche Container ist noch sehr spärlich eingerichtet, doch Sophie hat schon zahlreiche Bilder von ihren jüngsten Arbeiten auf dem Boden ausgebreitet. Sie will damit eine Mappe anfertigen. Und wenn dann endlich auch ihre erste eigene Holzbildhauerbank im Container steht, kann Sophie endlich auch damit beginnen, an ihrem ersten Auftrag als freischaffende Holzbildhauerin zu arbeiten. Denn das ist das Ziel: Irgendwann so viele Aufträge zu bekommen, dass sie nicht mehr nebenbei Modell stehen oder im Café arbeiten muss. Sophie will von der Kunst leben können. 

Der Einzug in ihren türkisfarbenen Container ist deshalb auch für Ana mehr als nur die Möglichkeit, ungestört zu werkeln. „Es ist wie ein Traum, der wahr wird“, sagt Ana, die nebenbei ebenfalls noch als Model arbeitet. Sie lächelt, als sie sich leicht erschöpft nach einer Schicht in der Kaserne de Janeiro auf einem der Stühle in der Sonne niederlässt.

Das Kollektiv besteht aus insgesamt 27 Containern, von denen 15 von Robinson Kuhlmann und Markus Frankl vermietet werden. Unter anderem an die Jungs von Qualia-Monaco, die an ihren Motorrädern schrauben, an Dominik Obalski und seine Cocktail-Schule. Sogar ein Unternehmensberater arbeitet hier.

In der Mitte zwischen den Containern stehen alte Holzkisten, in die schon junge Bäumchen gepflanzt wurden, und große Wassertanks, die nachts in bunten Farben leuchten. Das Design der Container ist bewusst sehr unterschiedlich. Dem Münchner Street-Art Künstler Loomit, der selbst im Werksviertel angesiedelt ist, sind keine Grenzen gesetzt. Robinson ist es lieber, dass die Kunstwerke anecken, als dass sie nicht einmal auffallen. Die verschiedenen Graffiti auf den Containern passen zu den sehr unterschiedlichen Mietern.

In den zwölf Containern, die nicht vermietet werden, befinden sich unter anderem ein Ausstellungsraum, eine Bar, die noch keinen Namen hat, und ein Café namens Kaserne de Janeiro, das Robinsons Bruder Neville betreibt. Der hatte eigentlich eine längere Reise nach Brasilien geplant, aber dann kam das „Container Collective“ dazwischen. Familie geht vor. 

Passenderweise kommen die ausrangierten Schiffscontainer aus aller Welt und lassen neben den vorbeirauschenden Zügen am Ostbahnhof ein Gefühl von Urlaub und ja, vielleicht auch von Großstadt aufkommen. Eben jenes Großstadt-Feeling, das München so oft abgesprochen wird. In den kommenden Jahren seien noch weitere Container-Städte nach ähnlichem Prinzip in München in Planung, verrät Robinson. Das Kollektiv könnte also – bei Erfolg – die Weichen für mehr Raum für Subkultur stellen.

Ursprünglich wollte man auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände Raum für Einzelhandelsverkaufsflächen schaffen. Robinson überzeugte Pfanni-Erbe Werner Eckart aber schnell von einem anderen Konzept: weniger Einzelhandel, mehr Popkultur. Mit einer Mischung aus Gastronomie und Kreativität will er der kleinen Container-Stadt nun Leben einhauchen. Drei Jahre dürfen sie vorerst bleiben, was danach passiert, ist noch ungewiss. Aber vielleicht wird das Projekt sogar auf sechs Jahre verlängert. 

Die Ungewissheit macht für Robinson aber den besonderen Reiz aus. Deshalb will er auch nicht in erster Linie große Firmen in den Containern sehen, sondern viele junge Münchner, die Lust haben, aktiv mitzugestalten. Und das wird auch belohnt: Wer sich am Kollektiv beteiligt, sei es durch die Arbeit im Café oder beim Bewerben der zahlreichen geplanten Veranstaltungen, kann an der Miete sparen. Die soll aber sowieso für alle erschwinglich bleiben, sagt Robinson – genaue Zahlen will er aber nicht nennen. Das wichtigste ist für Robinson aber vor allem eines: „Die Leute sollen ein Strahlen in den Augen haben, wenn sie zum ersten Mal in ihrem eigenen Container stehen.“

Leo Bauer, 24, und Felix Flemmer, 23, vom Radio 80 000 wirken zwar mit ihren jungen Jahren schon sehr ernst, doch wenn man sie fragt, was der Container für sie bedeutet, spürt man es doch: die Begeisterung. Seit April 2015 gibt es das Radio, seit Mai 2016 sogar einen permanenten Stream. Bislang mussten Leo und Felix aber alles von zu Hause aus machen. Den Container, der ihnen vom Musiklabel „Public Possession“ zur Verfügung gestellt wird, begreifen sie als Plattform, als „Raum für die Community“, wie Felix sagt. Mit einer zuverlässigen Technik wollen der gelernte Grafikdesigner Felix und Leo, der aktuell noch seinen Master im Bereich Exhibition Design macht, ihre Grenzen austesten, sich selbst etablieren. 

Der erste Livestream aus dem Container Ende Februar war ein Höhepunkt. Bis zum 11. März, wenn ihre offizielle Eröffnungsfeier stattfindet, wollen sie aber noch weiter an den Feinheiten feilen. Weil in dem weiß gestrichenen Container fast die komplette Einrichtung aus Holz ist und auf Rollen steht, können sie die Turntables im Sommer auch problemlos an die Tür schieben und die Container-Stadt beschallen, wenn der Livestream nicht sowieso im Café läuft. 

Das ist schließlich das Schöne an der Lage des Container-Kollektivs: Wirklich stören kann man hier mit lauter Musik niemanden, weil sich rund herum nur Bürobauten und zahlreiche Baustellen befinden. Ärger könnte es also am Ende nur mit den Container-Nachbarn geben. Robinson ist jedoch darum bemüht, die Container so zu vermieten, dass jeder zufrieden ist. Dass auch Kreative nicht immer ganz so entspannt sind, wie sie vorgeben zu sein, versteht sich für ihn dabei von selbst. Was sich die Radiomacher vom Leben im Kollektiv erhoffen? „Ich hoffe, dass die Leute mit ihrem Kaffee einfach bei uns vorbeikommen“, sagt Leo und legt eine neue Platte auf den Plattenteller. Demnächst wollen sie noch eine Flagge mit ihrem Logo aufhängen, damit man sie leichter findet. Der Fahnenmast liegt schon bereit.

Die meisten Bewohner des Kollektivs kennen sich aber sowieso schon, zumindest über mehrere Ecken. Beim Betreten des Radio 80 000-Containers sitzt auch Pawel in der Ecke, der gerade erst in seinen eigenen Container eingezogen ist. Pawel Szczypinski ist 26 und bezeichnet sich selbst als experimentellen Produktdesigner. Seine jüngste Arbeit war die philosophische Auseinandersetzung mit dem Begriff Transparenz. Das Ergebnis ist ein Tisch aus Epoxidharz, dem er Farbe beigemischt hat. Das ganze erinnert an eine Wolke.

„Ich setze Design in einen abstrakten Kontext“, sagt Pawel. Ihm sei bewusst, dass es dafür aktuell noch keinen großen Markt gebe. Deshalb teilt er sich seinen Container auch mit zwei Architekten und einem weiteren Produktdesigner, um Geld zu sparen. Mit ihnen will er aber auch seine Erkenntnisse teilen und einen Weg finden, sie für eine breitere Masse umzusetzen. 

Der Container ist für ihn die Möglichkeit, auch mit geruchsintensiven Materialien arbeiten zu können, ohne jemanden zu stören. In erster Linie soll der Container aber als eine Art PR-Stand für seine Arbeit fungieren. Pawel ist in jedem Fall froh, dass Robinson sich für ihn als Mieter entschieden hat, statt für einen Millionenkonzern. Hätte er nicht einen der Container beziehen können, hätte er wahrscheinlich noch sehr lange nach einem geeigneten Raum suchen müssen. Denn in diesem Punkt sind sich alle Bewohner des Kollektivs einig: In München ist es schwer, bezahlbare Räume zu finden – egal, ob man bereits etabliert ist oder nicht.

Robinson will die kommerzielle Nutzung nicht komplett ausschließen. Einer der 15 Container soll deshalb als Pop-up-Store fungieren. Maximal drei Monate soll der Store an einen Betreiber vermietet werden. Alle anderen Container hat Robinson zunächst für ein Jahr ausgeschrieben, danach wird sich zeigen, ob die Leute bleiben oder ob andere von der langen Warteliste nachrücken.

Stellt man sich gegen Abend auf die Terrasse der Bar im ersten Stock, sieht man zwischen den Hochhäusern bereits das leuchtende Abendrot. Mit der untergehenden Sonne wird es langsam frisch. Die letzten Handwerker wuseln noch umher und eine junge Frau mit leuchtend roten Lippen lässt sich auf einer der blauen Holzbänkchen vor dem Café nieder und dreht sich eine Zigarette. Im Hintergrund hört man das Rattern der Züge und das leise Wummern der Bässe.

Text: Jacqueline Lang

Fotos: Stephan Rumpf