Kuchen und Kultur

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Die Studentinnen Elena Koch und Marlene Deichsel wollen die Münchner Kaffeehaus-Tradition wiederbeleben. Dazu schaffen sie mit ihrem Projekt im Alten Botanischen Garten einen öffentlichen Raum für Begegnung und Diskurs.

Stundenlang bei einer Tasse Kaffee aus der silberfarbenen Thermoskanne sitzen, angeregt über Politik, Kunst und Literatur debattieren oder einfach der orientalischen Musik lauschen: Elena Koch, 26, und Marlene Deichsel, 25, (Foto: Robert Haas) wollen mit ihrem Projekt „Freie Aktion Gesellschaft“ die traditionsreiche Kaffeehaus-Kultur für einige Wochen im Alten Botanischen Garten aufleben lassen. Dafür bauten die Kunstpädagogik-Studentinnen drei Wochen lang täglich ihre einklappbaren Sitzbänke um den Neptunbrunnen auf und luden zu Gesprächen bei Kaffee und Kuchen. Die Themen, die bei diesen Begegnungen zur Sprache kamen, dienen nun als Grundlage für eine weitere Veranstaltungsreihe. Bis Ende September werden Lesungen, Filme, DJ-Performances und Theateraufführungen im Alten Botanischen Garten geboten.

Der Name des Projekts, „Freie Aktion Gesellschaft“, erinnert nicht zufällig an den Terminus Aktiengesellschaft: „Einerseits nutzen wir eine ökonomische Strategie, indem wir unserem Projekt einen Namen geben und dafür werben. Andererseits sind wir genau das Gegenteil einer Aktiengesellschaft, weil wir alles kostenlos zur Verfügung stellen und keinen Gewinn anstreben“, sagt Elena. Der Begriff Aktion statt Aktien soll den aktiven Charakter ihrer Arbeit unterstreichen, die von den Gesprächen und dem Austausch mit den Parkbesuchern lebt.

Für die Studentinnen stellt das künstlerische Projekt mit sozialer Komponente gerade deshalb etwas Besonderes dar, weil es sich sehr stark von dem unterscheide, was sie sonst machen würden: „Wir wussten nicht, wie das Programm
am Ende aussehen wird, weil es auf den Leuten und Gesprächen basiert. Gerade
dieses prozesshafte Arbeiten in der Kunst war für uns eine Herausforderung“,
sagt Marlene. Die Initiatorinnen wollen auf Themen aufmerksam machen und
gemeinsam in einem öffentlichen Rahmen darüber diskutieren. Es gehe immer auch
darum, sich und sein Umfeld reflektiert wahrzunehmen und alles zu hinterfragen,
betonen die beiden. „Der öffentliche Raum wird kaum mehr als Diskursraum
genutzt, viele Menschen können oder wollen nicht argumentativ diskutieren. Dem
wollen wir mit unserem Projekt etwas entgegensetzen.“

Auf dem Internetblog freieaktiongesellschaft.blogspot.de veröffentlichen die Initiatorinnen die
genauen Termine und auch Informationen zu den geführten Unterhaltungen: über
die politischen Geschehnisse in Iran oder die Geschichte und Zubereitung des
Kaffees. Es entsteht dabei eine vielfältige Sammlung zu Themen aus Politik,
Wirtschaft, Religion, Wissenschaft und Kunst. Zu den diskutierten Inhalten
finden sich aber nicht nur Texte aus Büchern oder dem Internet, sondern auch
Hyperlinks zu grafischen Animationen und Skizzen, welche die Unterhaltungen
veranschaulichen sollen. So wurden die Kuchenteller aus Pappe zur
Schreibunterlage umfunktioniert und für den Blog abfotografiert. Zu sehen sind
etwa arabische Schriftzeichen. Ein Besucher aus Syrien hatte hier versucht, den
Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten verständlich zu machen. Die
Studentinnen konnten ein Interview mit einem Parkbesucher über das Geld- und
Finanzsystem führen und aufnehmen. Das Audiomaterial wird auf dem Blog durch
Skizzen ergänzt. Elena und Marlene waren überrascht von der Fülle an Wissen,
die entsteht, wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Lebenswelten
aufeinandertreffen und sich austauschen. „Man muss kein Experte sein, um an der
Gesellschaft teilzuhaben“, sagt Marlene.

Den Studentinnen ist es wichtig, die Themen, die im persönlichen
Rahmen aufgekommen sind, einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das
geschieht einerseits über den Blog, andererseits über die Plattform, die in der
Nähe des Kunstpavillons im Alten Botanischen Garten aufgebaut ist. Da gibt es unter
anderem eine iranische Künstlerin und Journalistin, die über die Politik in
ihrem Heimatland sprechen möchte. Eine Diskussions- und
Informationsveranstaltung zum Thema ist geplant. Auch ein Professor der Physik
lernte die Studentinnen während Kaffee und Kuchen kennen und war von ihrem
Projekt angetan. Kurzerhand stimmte er der Veröffentlichung eines Textes über
Zeit und Geld für den Blog zu und erklärte sich bereit, auf der Plattform
daraus zu lesen. Das Thema der Kaffeehaus-Mentalität wird schließlich direkt
aufgegriffen, wenn der Film „Café Ta’amon“ gezeigt wird, einem Treffpunkt für
politische Aktivisten, Politiker, Literaten und Künstler in Jerusalem. Der
Münchner Regisseur Michael Teutsch zeigt seinen Film lizenzfrei und wird für
ein Gespräch mit dem Publikum zur Verfügung stehen. „Wenn die Freie Aktion
Gesellschaft von meinem Film profitiert und er dazu beiträgt, Menschen für das
Projekt anzusprechen, unterstütze ich das gerne“, begründet er seine
Beteiligung. „Ich finde es gut, wenn junge Menschen etwas abseits des
Alltäglichen initiieren und Kunst und Kultur fördern. Dieses persönliche
Engagement honoriere ich enorm.“

Die Verbindung zwischen der Gesprächs- und Veranstaltungsphase
wird nicht nur durch die Menschen und ihre Themen hergestellt. Auch die eigens
angefertigten Holzbänke, auf denen die Parkbesucher zuvor ihren Kaffee tranken,
wurden zu einer Plattform umgebaut und sind somit fester Bestandteil der
Eventreihe. Das Design des Mobiliars ist dabei an der fernöstlichen Tradition
des Kaffeetrinkens orientiert, wo das Getränk meist sitzend auf dem Boden zu
sich genommen wird. Elena und Marlene haben alle Gäste, die bei der
Organisation der Veranstaltungen mitwirken, während der vorausgehenden
Gespräche kennengelernt.

Ein Beteiligter resümiert: „Das Spannende ist vor allem die
direkte Interaktion mit den Parkbesuchern. Im Laufe des Projekts wurde dieser
erst zum Gesprächspartner und dann zum mitbestimmenden Akteur.“

Jenny Stern