Fragen über Fragen: Lorraine Hellwig

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Wir sollten jung und frei sein, aber wenn wir ehrlich sind, sind wir das überhaupt nicht., findet Fotografin Lorraine Hellwig, die bei unserer  Ausstellung “10 im Quadrat – Reloaded” zehn KünstlerInnen porträtiert hat. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Worum geht es bei
deinem Konzept? / Wie bist du darauf gekommen?

Bei mir gehts um Porträts der Künstler im Bezug auf die Generation Y.
Ich befrage die Models zu allem möglichen und schreibe am Ende ein Statement
auf ihr Bild. Die Bilder laufen dann hintereinander wie in einer Art
Insta-Story.

Einflüsse gab es viele: Zum einen ist mir aufgefallen, dass die Fotografie nur
Aufmerksamkeit bekommt, wenn sie provoziert – mit Sex, Nacktheit, Krieg oder
Emotionen. Oder wenn etwas „schön“ ist. Mich interessieren aber Bilder mit
Herz, die eine Geschichte haben.

Zum anderen hat mich ein Dozent letztes Jahr gefragt, woran es liegt, dass der
Großteil unserer Generation absolut nicht politisch ist. Ich glaube, das liegt
vor allem daran, dass wir denken, wir müssen erst „unsere eigenen Probleme“
lösen, bevor wir uns um den Rest der Welt kümmern können. Beziehungsweise dass
wir ja nichts zu sagen haben, weil wir keine erfolgreichen „Influencer“ sind.
Das ist aber nicht ganz wahr. Jeder von uns hat Einfluss.

Wenn man in Städten lebt, wird enormer Druck auf einen ausgeübt – man sollte
berühmt sein, schön, viel gereist sein, erfolgreich mit einem coolen Job,
politisch korrekt, eine Spaßkanone, schlau, digital fit, sportlich und gesund,
unabhängig, sein eigenes Ding machen, tolle Klamotten haben, jederzeit
erreichbar, einen coolen Insta-Feed, interessante Freunde, seinen eigenen Stil
haben und coole Hobbies etc.

Wir sollten jung und frei sein, aber wenn wir ehrlich sind, sind wir das
überhaupt nicht.

Denn viel von diesem Druck, „wer wir sein sollen“, muss man da ausblenden,
anders geht das nicht. Wie unsere 10 das machen, hat mich interessiert und dann
habe ich die Porträts mit solchen „Slogans ihrer selbst“ beschriftet.

Wie war es, so viele unterschiedliche
Leute für eine Bild-Serie zu fotografieren?

Ich glaube die Unterschiedlichkeit hat es so cool gemacht. Jeder hat auf meine Fragen
nach Religion – Politik – persönlichen Einstellungen komplett unterschiedlich
geantwortet. Jeder ist ja auch an einem unterschiedlichen Punkt in seinem Leben
und versucht, irgendwie seinen Weg zu gehen (was manchmal gar nicht so einfach
ist) oder zu verstehen, warum so und nicht anders.

Welche Begegnung hat dich am meisten
beschäftigt?

Ich konnte defintiv von jedem etwas für mich mitnehmen! Aber Anouk hat mich
schon sehr beeindruckt – sie ist 20 und studiert Schauspiel, aber ist auch
total politisch und hat da voll die Meinung. In dem Alter hat mich Politik
komplett frustriert, es war für mich ein Problempool ohne Lösungen, weswegen
ich mich mehr auf mein Studium und die Arbeit konzentriert habe und mich nicht
engagiert habe.
Erst mit der steigenden Anspannung in Deutschland kommt das bei mir jetzt
wieder durch.

War es schwieriger, z.B. einen
Schauspieler/Musiker zu fotografieren (also selbst “Künstler”), als
professionelle Models und wenn ja, inwiefern?

Ich finde Leute, die keine Modelerfahrung haben, ehrlich gesagt interessanter
vor der Kamera, weil die dann nicht in diesen „Posing-Modus“ kommen. Mich
interessiert ein echter Charakter vor der Kamera und keine Maske.

Bist du auch mal an deine Grenzen
gestoßen? / Musstest du deine Vorstellung/ dein Konzept über den Haufen werfen,
weil es schlichtweg nicht ausführbar war?

Nein, ich passe das Konzept ja individuell an und bei so inspirierenden Persönlichkeiten
war das kein Problem.

Nimmst du die Szene dieser Stadt nach
dem Projekt anders war? Braucht es mehr Vernetzung?

Ich hab das Gefühl, die Musiker sind super vernetzt und ich weiß ja von
Fotografen, dass man sich kennt und hilft, aber interdisziplinär fände ich mehr
Austausch schon cool.
Von Künstlern aus anderen Kunstzweigen kann man einfach mindestens genauso viel
lernen wie von visuellen.

Foto: Selbstportät/Lorraine Hellwig

„Kunst braucht Überforderung“

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Nach München zu gehen, war für Schauspielschüler Bekim Latifi, 22, ein Kulturschock. Jetzt bricht er vorzeitig seine Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule ab – wegen eines Engagements in Hamburg. Ein Besuch.

Alle Augen sind auf ihn gerichtet. „Diese Kuh, die blöde Fotze, Fotze, Fotze“, ruft er voller Verachtung. Bekleidet mit schwarzer Lederjacke und Schlaghose steht Bekim Latifi, 22, auf der Bühne und schreitet lässig von links nach rechts. Er ist jetzt Andreas Baader in einer Szene aus „Maria Ulrike Stuart“ von Elfriede Jelinek. Beim Szenenvorspiel in der Kammer 3 der Münchner Kammerspiele präsentieren an diesem Abend die Schauspielstudenten des dritten Jahrgangs der Otto-Falckenberg-Schule Arbeiten aus dem szenischen Unterricht. Bekims Monolog ist kurzweilig, doch in jedem Wort spürt man die Energie des Nachwuchsschauspielers, die Lust am Spielen. Die Monate an der Schauspielschule sind für ihn jedoch fast gezählt. Er wird München vorzeitig verlassen.

Es ist schwer, einen Platz an einer Schauspielschule zu bekommen. Die Bewerber: zahlreich. Die Konkurrenz: hoch. An der Otto-Falckenberg-Schule in München werden zehn bis zwölf Glückliche in einen Jahrgang aufgenommen, nach dem vierten Jahr endet die Ausbildung. Manchmal gibt es allerdings Ausnahmen, Bekim zum Beispiel. Er wird zum Sommer seine Schauspielausbildung abbrechen – er wird zur kommenden Spielzeit als festes Ensemblemitglied am Thalia Theater in Hamburg engagiert sein.

Um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, muss man einen Blick in die Vergangenheit werfen. Aufgewachsen ist Bekim in einer Kleinstadt in der Nähe von Dresden. Schon früh hat der junge Mann mit den dichten Augenbrauen und den braunen Augen am Schultheater mitgespielt. „Aber einfach nur zum Spaß, da wusste ich noch nicht, dass ich vielleicht einmal Schauspieler werden möchte.“ Die Begeisterung für die Schauspielkunst wächst in ihm, und deshalb sucht er nach Möglichkeiten, sich endlich auf einer Bühne ausprobieren zu können und Gleichgesinnte zu treffen. In der Kleinstadt geht das nicht. Also macht er neben der Schule bei Jugendtheaterclubs in Dresden mit. Dafür nimmt er die lange Zugfahrt in Kauf. Mehrmals die Woche.

Natürlich habe er darüber
nachgedacht, ob es das Richtige
sei, die Ausbildung abzubrechen

Nach dem Abitur bewirbt er sich an Schauspielschulen – und wird 2014 an der Otto-Falckenberg-Schule aufgenommen. Im Sommer 2016 spielt Bekim gerade mit seinem Jahrgang das Stück „Pony Camp: Troilus & Cressida“ bei einem Festival für Regie-Studenten am Thalia Theater in Hamburg. Ungefähr ein halbes Jahr später, im Februar dieses Jahres, bekommt er eine Einladung zum Vorsprechen in Hamburg. Ein Dramaturg des Hauses habe ihn vorgeschlagen. Offenbar ist er den Theatermachern in Erinnerung geblieben. Das Thalia Theater sei auf der Suche gewesen nach Schauspielern für eine neue Produktion.

Zwischen Schule und abendlichen Vorstellungen bereitet sich Bekim vor. So gut es eben geht. Anstrengend sei es schon gewesen, „aber Kunst braucht Überforderung“, sagt der Schauspielschüler. Um vier Uhr morgens macht er sich auf den Weg nach Hamburg, geht im Zug alles durch und zieht sich sogar dort schon für das Vorsprechen um. Er spürt das Adrenalin und die ungebremste Lust, gleich spielen zu können – kurz vor Hamburg-Altona konnte der Zug dann nicht mehr weiterfahren. Kein schönes Gefühl, diese Mischung aus Übermüdung, Aufregung und Zweifel. Rechtzeitig setzt sich der Zug dann doch in Bewegung, Bekim schafft es zum Termin. „Das Vorsprechen hat Spaß gemacht. Es hat auch schon welche gegeben, bei denen ich total versagt habe“, sagt er.

Bekim überzeugt in Hamburg, und das, obwohl er in seiner Ausbildung noch nicht einmal eine intensive Vorsprech-Vorbereitung hatte. Die steht erst im vierten Jahr auf dem Plan.

„Das Rausgehen passiert meist erst mit dem Absolventenvorsprechen. Da kommen Leute von außen und schauen sich die Schüler an“, erklärt Andreas Sippel, Sprecherzieher an der Otto-Falckenberg-Schule. Der 57-Jährige ist seit dreißig Jahren in der Theaterwelt unterwegs. Es könne hin und wieder passieren, dass die Theater junge Talente entdecken. Maike Droste beispielsweise erhielt ihre Ausbildung ebenfalls an der Otto-Falckenberg-Schule und ging früher. Heute spielt sie erfolgreich an verschiedenen Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz und ist im Fernsehen zu sehen.
 Das Theaterhaus aus Hamburg ist nicht gerade für sein junges Ensemble bekannt: „Das Thalia nimmt selten Anfänger auf. Die besseren Chancen haben ältere Schauspieler mit Erfahrung“, ergänzt Sippel.

Für eine Produktion soll Bekim in Hamburg engagiert werden. Doch für die Probezeit so lange von der Schule freigestellt zu werden ist nicht möglich. Also wird ihm direkt ein Vertrag angeboten. Bekim nimmt an.

Natürlich habe er darüber nachgedacht, ob es das Richtige sei, die Ausbildung abzubrechen. „Das ist eine große Sache, aber am Ende ist man als Schauspielstudent insgeheim auch ein bisschen froh, wenn man beim Intendantenvorsprechen nicht dabei ist. Das ist ja schon ein richtiges Fleischgeschaue“, sagt Bekim und muss grinsen.

Ob es ihm schwer falle, München zu verlassen? „Ich freue mich auf Hamburg. Schwieriger war es, nach München zu kommen aus meiner Kleinstadt.“ Damals hat er zum ersten Mal seine Heimat verlassen und wurde auf der Maximiliansstraße – in dessen unmittelbarer Nähe sich die Otto-Falckenberg-Schule befindet – erst einmal von dem ganzen Reichtum und Schicki-Micki erschlagen. „Das war schon ein kleiner Kulturschock. Aber so ist es ja zum Glück nicht überall in München.“

Mit Dreitagebart und dem schwarzen Rollkragenpullover ist er nicht einer, der durch sein Aussehen sofort auffällt. Wohl aber durch sein Handwerk, wenn er auf der Bühne steht und in einer Rolle aufgeht. Gibt es ein Erfolgsrezept? Bekim ist überzeugt, dass man sich beim Vorsprechen selbst treu bleiben sollte. Auch die Lockerheit im Spiel sei wichtig, die Begeisterung. So etwas merken Theatermenschen. Es sei für ihn ein sehr großes Kompliment, nach Hamburg gehen zu dürfen. Was er gerade erlebt, davon träumen viele. „Das ist kein Ruhekissen für mich, die Ausbildung hört nie auf. Jetzt geht es erst richtig los“, sagt Bekim. Er lächelt. 


Text: Ornella Cosenza


Foto: Robert Haas