Rückkehr des Kettenhemds

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In den Zwanzigerjahren gehörten sie zu jeder ausschweifenden Party dazu, durch Martin Gräbeldinger und Jonas Dieterle erleben sie ihr Revival – gemeint sind Soda-Siphons. Nur teures Sprudelwasser? Ein neuer Trend in der Barwelt.

Ein Fan von stillem Wasser wird an den Sprudelflaschen kaum seine Freude finden. Und ob ein Laie den Unterschied zwischen einem Fizz-Drink merkt, der mit Wasser aus einem Siphon aus der Werkstatt von Jonas Dieterle und Martin Gräbeldinger (Foto: Robert Haas) oder mit einfachem Sprudel gemixt wurde, sei dahin gestellt. Der Unterschied ist tatsächlich kaum vernehmbar – und doch haben die beiden 26-Jährigen gerade einen neuen Trend in der Barwelt geschaffen, ohne jeglichen Gastronomie-Hintergrund.

Siphon-Flaschen kennen junge Menschen – wenn überhaupt – aus dem Barschrank ihrer Großmütter. Angefangen hat alles in den Zwanzigerjahren. Die sogenannten Soda-Siphons gehörten zu jeder ausschweifenden Party, Salvador Dali und Picasso haben sie sogar in ihren Bildern verewigt. Große, schwere Glasflaschen in einer Art Kettenhemd, die stilles Wasser mit CO₂ versetzen und so zum Sprudeln bringen. Ein einfaches Prinzip mit großer Wirkung. Fast ein Jahrhundert später gehören die „Sparklet Soda Siphons“, die 1920 zum ersten Mal in London hergestellt wurden, nicht mehr nur zu altertümlichen Phänomenen, die in Vergessenheit geraten sind, sondern sind wieder angesagt – dank der beiden jungen Münchner.
 
Das Konzept von Jonas und Martin ist an sich einfach: Alte „Sparklet Soda Siphons“, von denen es fünf verschiedene Typen gibt, jeder in der Bauart minimal anders, werden im Internet und auf Flohmärkten für bis zu 300 Euro aufgekauft, restauriert und an ausgewählte Bars oder Hotels weiterverkauft – mit deutlichem Preisaufschlag.
 Dabei stellt sich allerdings eine Frage: Sprudeln tut Mineralwasser so oder so – aber wenn man den Unterschied in den Getränken kaum schmeckt, warum geben Barkeeper so viel Geld für einen Siphon made in Munich aus? „Sie liegen zum einen wahnsinnig gut in der Hand, haben ein gutes Gewicht und eine gute Mechanik“, erklärt Stefan Gabányi, Besitzer der „Bar Gabanyi“ am Beethovenplatz. Das ist nur ein Grund, ein anderer: „Sie sehen einfach sehr, sehr schön aus, das macht optisch hinter der Bar etwas ganz anderes her“, schwärmt Gabányi: „Wenn man die Siphons als Barmann erst einmal gesehen hat, will man mit nichts anderem mehr arbeiten. Das haben die Jungs clever gemacht“, erklärt der Barmann.
 
Der Trick von Jonas und Martin? Sie haben zunächst die Siphons ausgewählten Bars ausgeliehen – um die Barkeeper von dem Effekt der Flaschen zu begeistern. Und um sie von dem stattlichen Einzelpreis von bis zu 750 Euro zu überzeugen. Optik spielt auch bei der Präsentation eine wichtige Rolle. Gut gekleidet im Anzug und schicker Armbanduhr, mit höflichem Lächeln, die Manieren direkt aus dem Knigge – Jonas und Martin versuchen sich und ihre Produkte bestmöglich zu verkaufen.

Nur zehn ausgewählte Bars in Deutschland bekamen das erste personalisierte Kaufangebot der „Siphon Manufaktur“, eine antwortete. Für Jonas und Martin ist es eine Ehre, dass die „Goldene Bar“ den ersten Umsatz einbringt. Schnell folgen weitere angesagte Bars wie die „Bar Gabanyi“ und die „Schwarze Traube“ in Berlin. Seit knapp einem Jahr verdienen sie ihren Lebensunterhalt mit den Siphons. Somit ist es den beiden statt mit Marketingmaßnahmen und Businessplan, sondern mit fast kindlichem Enthusiasmus für eine Rarität gelungen, in der Gastronomie für eine kleine Überraschung im nächtlichen Alltag zu sorgen.
 
Im Winter 2011 ist es Martins Leidenschaft für Whiskey, die ihn bei Recherchen zum ersten Mal auf die Siphon-Fährte führt. Die schweren Flaschen aus Metall und Glas begeistern die beiden Studenten von Beginn an. Vielleicht ist es aber auch eher die Geschichte dahinter, die aufregenden Swing-Partys der Zwanzigerjahre, auf denen die Siphons damals zum ersten Mal ihren Einsatz fanden, die sie neugierig werden lässt – zumal ihre Großmütter mit ähnlichen Gefäßen in der heimischen Küche noch immer Sahne steif schlagen.

Mit wenigen hundert Euro von ihrem Sparbuch gründen Jonas und Martin, die als Nachbarskinder miteinander aufgewachsen sind, noch im selben Jahr „Die Siphon Manufaktur“. Zu Beginn werden die aus Privatbesitzen ersteigerten Flaschen noch in der Badewanne der Eltern gereinigt und für den Weiterverkauf vorbereitet.
Mittlerweile läuft die Restauration professioneller: In einer Werkstatt wird der Rost entfernt, Ersatzteile eingebaut, geschraubt, gefräst und auf Hochglanz poliert. Zudem bauen sie eine Internetpräsenz auf, auf der unter anderem auch ein Video der Flaschenrestauration zu sehen ist. Seit 2013 besitzt die „Siphon Manufaktur“ eigene Büroräume – wo Jonas und Martin allerdings nicht jeden Tag anzutreffen sind, schließlich arbeiten sie noch an ihrer akademischen Karriere: Jonas studiert Volkswirtschaftslehre, Martin, ein Mediziner, schreibt gerade seine Doktorarbeit. Die Firma ist zudem um zwei weitere Teammitglieder gewachsen.

Die Philosophie hinter ihrer Arbeit ist eigentlich ganz einfach. Für Jonas und Martin ist das Barkeepertum eine Handwerkskunst – und ohne die richtigen Gerätschaften kann kein Handwerk und auch keine Kunst entstehen, da sind sie sich einig. Das rechtfertigt für sie auch die stolzen Stückpreise.

Auch Atalay Aktas, „Barkeeper des Jahres 2013“ und Besitzer der Berliner Bar „Schwarze Traube“, scheint dem zuzustimmen. Gut gelaunt und mit ansteckender Begeisterung führt er die Handhabung der Siphons vor. Eine CO₂-Kapsel, gegenwärtig für knapp 20 Cent zu kaufen, bringt das Wasser durch ein Pump-Druckverfahren zum Sprudeln und verpasst seinem eigenkreierten Drink „MyWay-Fizz“ den entscheidenden Schuss. Der Berliner Barkeeper ist von den beiden Münchnern so begeistert, dass er sie bei wichtigen Geschäftspräsentationen ab und an unterstützt und auch in seiner Bar mit den Sparklets arbeitet.

Die „Sodakultur“, wie es die beiden 26-jährigen bezeichnen, erlebt durch sie ein Revival, das nun auch elitäre Hotels wie das New Yorker Waldorf Astoria, Berlins Ritz Carlton oder das Savoy in London erreicht hat – mit ihren Siphons aus München.

Mittlerweile haben sie fast 500 Stück der restaurierten Siphons verkauft, an Bars, Hotels und Spirituosen-Hersteller. Überraschenderweise sind es aber nicht die Gastronomen, die den Großteil der Siphon Sympathisanten ausmachen, sondern Privatpersonen. Kunden finden die beiden vor allem übers Internet, und das weltweit.

Manchmal restaurieren sie auch nach einem Spezialauftrag. So schickte etwa eine ältere Dame aus den Vereinigten Staaten einen Brief nach München und bat um die Restauration ihres Siphons. Neun Monate und einige Briefe später können Jonas und Martin der Dame ihren Siphon wie neu zurückschicken – standesgemäß mit Anschreiben, inklusive eigenem Wachssignum. Ganz schön viel Aufwand für Sprudelwasser.
Victoria-Josephine Fode
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“Für Victoria-J. Fode ist die Sphäre hinter dem Bartresen eine Welt für sich – bunte Flaschen, klein und groß, Shaker, Sirups, Aromen, frische Minze oder auch zerquetschte Paprika und frischer Lavendel. Es gibt kaum einen besseren Ort dem tagtäglichem Trott zu entkommen, als sich in den Münchner Bars mit den Geheimnissen der Barwelt zu beschäftigen. Das erste Rätsel – das der großen Sprudelflaschen im Kettenhemd, die immer so schön "psssst” machen – hat sie nun gelöst.“