Durchblick

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Vom US-Wirtschaftsmagazin Forbes zu den 30 wichtigsten Social Entrepreneurs unter 30 Jahren gezählt zu werden, wäre sicher für einige Menschen ein erstrebenswertes Ziel. Jakob Schillinger, 26, hat genau das geschafft: Als Mitbegründer des Vereins „OneDollarGlasses“ wurde er in der Kategorie Social Entrepreneurs für sein Engagement ausgezeichnet. Der ehemalige Psychologiestudent sieht sich aber nur als Teil von etwas Großem – es geht ihm nicht um sich selbst, sondern vielmehr um die Menschen in den jeweiligen Ländern.

SZ: Glückwunsch! Wie fühlt man sich, wenn man zu den 30 wichtigsten Menschen unter 30 zählt?
Jakob Schillinger: Im Großen und Ganzen ist es natürlich eine schöne Auszeichnung. Ich sehe das aber nicht als Auszeichnung von mir, sondern vom ganzen Verein und der Arbeit, die wir machen. Es ist ein, sagen wir mal, schöner Stempel, dem man dem Projekt aufdrücken kann, der international anerkannt ist und der natürlich auch Türen öffnen kann und das Projekt bekannter macht.

Aber Forbes hat nicht das Projekt ausgezeichnet.
Natürlich. Aber das, was mich erfüllt, ist die Arbeit, die wir machen. Und daran wird sich nicht viel ändern. Wir machen genauso weiter wie davor.

Es geht um die Ein-Dollar-Brille. Mehr als 150 Millionen Menschen auf der Welt bräuchten eine Brille, können sich aber keine leisten. Kinder können nicht lernen, Eltern können nicht arbeiten. Du bist Mitbegründer des Vereins Ein-Dollar-Brille. Wer hatte die Idee?
Die Idee kommt nicht von mir, sondern von Martin Aufmuth. Ein ehemaliger Lehrer aus Erlangen. Der hat die Maschine erfunden, mit der die Brille hergestellt wird.

Wie kam er auf diese Idee?
Er hat in dem Buch „Out of Poverty“ von Paul Polak gelesen, dass eines der großen Weltprobleme ist, dass es keine Brille unter einem Dollar gibt. Ich bin Ende 2012 zum Verein gekommen und habe dann gemeinsam mit Martin Aufmuth den Rollout in den verschiedenen Länder angepackt.

Welche Länder?
Ich war in Ruanda dabei, in Benin, in Bolivien, in Brasilien und jetzt konkret konzentriere ich mich auf Burkina Faso. Ich bin dafür verantwortlich, das komplette Projekt in Burkina Faso umzusetzen.

Ein Euro? Wie schafft ihr es, die Kosten für die Brillen so niedrig zu halten?
Die Maschine ist sehr einfach. Die Rohmaterialien sind nur ein Federstahldraht, ein Plastikstrumpfschlauch und die Linsen. Die Kosten für diese drei Materialien liegen unter einem Dollar. Verkauft wird die Brille für zwei, drei landesübliche Tageslöhne.

Und die individuelle Anpassung an den Kunden?
Auch sehr einfach. Du kannst bei der Brille die Linsen rausnehmen und reinklicken. Das heißt, du hast ein Klick-Verfahren, bei dem du Leute ausmessen und dann im gleichen Zug die Brille verkaufen kannst.

Klingt sensationell simpel. Warum sind dann Brillen in Deutschland so teuer?
Die Frage ist: Wer verdient daran? Die Profitmargen auf Brillen in Deutschland sind sehr hoch. Wenn du dir anschaust, wo die Optiker in München sind, da sind viele in bester Lage. Dazu kommen hohe Marketingkosten. Das bedeutet natürlich auch riesige Unternehmen, die daran interessiert sind, Gewinn zu machen. Die Frage ist: Wie viel Gewinn will ein Optiker machen?

Eure Antwort?
Unser Ziel ist es nicht, Gewinn zu maximieren. Oder sagen wir mal: Unser Ziel ist es Gewinn zu machen in der Hinsicht, dass du, wenn du Gewinn machst, langfristig und nachhaltig arbeiten kannst.

In wie vielen Ländern wird die Ein-Dollar-Brille mittlerweile hergestellt?
Ich muss mal kurz nachzählen, das verändert sich fast monatlich. Wir haben in Afrika Burkina Faso, Benin, Malawi, Ruanda. Und dann haben wir in Südamerika Bolivien, Brasilien und Mexiko. Also in sieben Ländern.

Was kommt 2016?
Für 2016 ist es unser Ziel, in Burkina Faso in den großen Städten ein Vertriebsnetz aufzubauen, das allen Menschen zugänglich ist. Der zweite Schritt ist es dann, raus aus der Stadt zu gehen. 

Aber warum ausgerechnet Brillen. Gibt es nicht auch andere Notlagen?
Die Ein-Dollar-Brille ist ein Herzensprojekt, sonst wäre ich nicht seit drei Jahren dabei. Es gibt natürlich viele, viele weitere Themen, die in Entwicklungsländern von Interesse sind. Aber fehlende Brillen sind ein High-Impact-Problem, das es zu lösen gilt. Denn dadurch, dass Leute nur schlecht sehen, können sie auch viele andere Sachen nicht machen. Das Vertriebsnetz, das wir aufbauen, kann dann zu einem späteren Zeitpunkt auch für weitere Produkte und Dienstleistungen genutzt werden.

Das hat also auch wirtschaftliche Folgen?
Weil 700 Millionen Menschen keine Brille haben, spricht die Weltgesundheitsorganisation von Wirtschaftseinbußen von 120 Milliarden Dollar im Jahr. Das entspricht dem Betrag, der weltweit in Entwicklungshilfe investiert wird. Das heißt: Dieses Problem zu lösen, hat weit positivere Auswirkung als nur die Tatsache, dass mehr Menschen plötzlich wieder besser sehen können.

Interview: Jacqueline Lang

Foto: privat