Schreiben für die Freiheit

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Der Verein NeuLand will Ende März ein Magazin herausbringen – eines von Flüchtlingen, nicht über sie. Jafar Akbari, 25, ist einer der Autoren.

Jafar Akbari, 25, schämt sich. Der gebürtige Afghane schämt sich stellvertretend für andere Flüchtlinge, die sich nicht an die Gesetze und Regeln in Deutschland halten – und sei es nur, bei Rot über die Ampel zu gehen. „Und ich bedanke mich bei den Leuten in Deutschland. Deutschland ist ein berühmtes Land und Bayern ist sehr, sehr schön: Der Himmel ist blau und die Erde ist grün“, schreibt Jafar in seinem Text „Fremdschämen. Mein Leben als Flüchtling in Deutschland“ für den Münchner Verein NeuLand. Jafar weiß aus Beobachtungen: „Auch viele Deutsche werfen den Müll weg oder haben ein lautes Smartphone in der U-Bahn. Aber sie sind Deutsche in Deutschland. Wir sind Flüchtlinge und wir werden beobachtet. Jeden Tag sehen die Leute Flüchtlinge in der Zeitung und im Fernsehen.“ Er schämt sich aber auch selbst, wenn er für 325 Euro in einer langen Schlange vor dem Sozialamt warten muss und er von den Angestellten angelächelt wird, als wäre er ein Kind ohne Eltern. „Ich kenne mich nicht wirklich mit Politik aus. Aber ich verstehe die Flüchtlingspolitik von Deutschland trotzdem nicht: Ich habe gehört, dass viele Afghanen zurück nach Afghanistan müssen. Aber Krieg ist Krieg, egal ob in Syrien oder Somalia oder in Afghanistan“, schreibt Jafar weiter. Dennoch schreibt er auch, dass Deutschland den Friedensnobelpreis verdient hätte für alles, was das Land für die Geflüchteten tut.

Menschen wie Jafar begegnen einem seit vergangenem Sommer immer häufiger. Eine große Zahl von Flüchtlingen kommt seitdem nach Deutschland, und die Medien berichten immer wieder darüber, was die Deutschen von Menschen wie Jafar halten. Susanne Brandl stellt die Gegenfrage: „Was denken die sich eigentlich über uns?“ Susanne ist Mitte 20, Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache und freie Journalistin. Nicht aus Mitleid, sondern aus Neugierde hat sie im Oktober 2015 den gemeinnützigen Verein NeuLand gegründet. Der Verein arbeitet momentan an einem Blog, geplant ist außerdem, Ende März erstmals ein Magazin herauszubringen. Ein Magazin, das Geflüchteten, aber auch Migranten, als Sprachrohr dienen soll. Denn Angst haben Menschen meist vor dem Unbekannten, sagt Susanne. Sie glaubt deshalb, dass man den Austausch zwischen beiden Seiten fördern muss, um Vorurteile abzubauen. Insgesamt sind es 13 Autoren zwischen 17 und 35 Jahren aus acht verschiedenen Ländern, die für NeuLand schreiben und so ihren Teil zum Austausch beitragen wollen.

Neben der Außenredaktion, für die Jafar schreibt, gibt es auch eine feste Redaktion, die aus Geflüchteten und Migranten besteht, die sich aus Eigeninitiative gemeldet haben. Vorwiegend Männer. Es gibt aber auch zwei Autorinnen. Anonyme Autorinnen. Andernfalls müssten sie fürchten, Probleme mit ihrer Familie zu bekommen. Eine Autorin wurde beispielsweise zwangsverheiratet und lebt nun mit ihrem Ehemann, den sie nicht liebt und der sie betrügt, in Deutschland. Es wäre eine Illusion zu glauben, mit der Flucht hätten sie alle Probleme abschütteln können.

NeuLand soll Ende März das erste Mal mit einer Auflage von circa 5000 Exemplaren erscheinen und von da an vier Mal im Jahr. Kostenfrei soll die Zeitschrift in sozialen Einrichtungen aller Art ausliegen. Die Zielgruppe sind Menschen, die der Flüchtlingsthematik ängstlich bis kritisch gegenüberstehen, sogenannte besorgte Bürger, nicht zuletzt aber natürlich die Geflüchteten und Migranten selbst.

Nicht ohne Tücken ist die Arbeit mit Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Immer wieder müssen sich die deutschen Lektoren die Frage stellen, inwiefern die kleinste Veränderung eines Satzes die Aussage verändern kann. Neben der Frage, wie man mit den Texten umgeht, steht auch die Frage im Raum, ob die Kommentarfunktion auf dem Blog einschalten wird. Einerseits ist der Austausch gewünscht, andererseits möchte man die Autoren vor Anfeindungen schützen. Ein Drahtseilakt.

Wichtig ist den Gründern von NeuLand aber in erster Linie, auf eine wichtige Tatsache hinzuweisen: Geflüchtete sind Menschen wie wir. Menschen mit Träumen, Ängsten, Familie und Freunden.
 Ein Mensch mit Träumen ist auch Jafar. Bereits mit fünf Jahren floh er mit seiner Familie aus Afghanistan in den Iran. Seit fast zwei Jahren wohnt er nun in Emmering im Landkreis Fürstenfeldbruck. Ohne seine Familie, denn sein jüngerer Bruder und seine „muslimische Mama“ halten nichts von Europa und dem Westen.

Deshalb floh Jafar alleine über die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Einmal gab es auf der Bootsüberfahrt Streit zwischen zwei Afrikanern und sie kenterten. Sie schafften es irgendwie, wieder in das Boot zu steigen. Jafar, dessen Kaffee längst kalt geworden ist, weil er so viel im Gespräch loswerden möchte, weiß, es hätte auch anders ausgehen können. Aber eines wusste er auch schon, bevor er sich auf den Weg gemacht hat:„Eine Flucht ist keine Urlaubsreise.“ Bei dem Satz umklammert seine Hand die Kaffeetasse ein bisschen fester.

Die erste Station in Deutschland war 2014 Hamburg, doch von dort ging es mit einem kurzen Zwischenstopp in der Bayernkaserne gleich weiter nach Emmering. Obwohl er immer Angst hatte, in einem kleinen Ort zu landen, will er bleiben. In dem Land, das er mehr als alles andere mit Freiheit verbindet. Und mit Spaß, wie er es nennt. Was er mit Spaß meint, ist ein Leben ohne die ständige Angst vor Polizei und Anfeindungen aus der Bevölkerung.

Viele sagen, die Stimmung in Deutschland sei seit der Silvesternacht in Köln gekippt, doch Jafar hat davon nichts zu spüren bekommen.
Für das Verhalten seiner „Kollegen“ an Silvester, wie er die anderen Geflüchteten mit dem Anflug eines Lächelns nennt, schämt sich Jafar. Es passiert selten, dass er lächelt. Meistens ist sein Blick ernst. Immer auf der Suche nach den richtigen Worten. In einer Sprache, die ihm auch nach zwei Jahren noch schwer fällt. Er weiß, dass das Fehlverhalten Einzelner zu Problemen für die ganze Gruppe führen kann.

Die Außenredaktion befindet sich in einer Schule zur Berufsvorbereitung. Einige der Lehrer betreuen interessierte Schüler wie Jafar und helfen ihnen beim Verfassen von Artikeln. Jafar will vor allem über die Probleme der Flüchtlinge schreiben. Und über Missverständnisse. Denn viele Deutsche scheinen wenig oder nichts über die Herkunftsländer der Flüchtlinge zu wissen. Beispielsweise gebe es natürlich auch U-Bahnen im Iran, aber viele seien verblüfft, wenn er das erzähle. Jafar schüttelt fast unmerklich den Kopf. Manche irritiert es, dass er dunkle Jeans und einen lila Pulli mit einem Hemd darunter trägt, wie eben die meisten in Europa lebenden Männer in seinem Alter momentan. Es ist banal und doch so bezeichnend für das Bild des Westens von den Geflüchteten.

Jafar nimmt es den Menschen jedoch nicht übel. Sogar für die Karikaturen von Mohammed hatte der gläubige Moslem Verständnis. Er fand es traurig, ja, aber er sagt auch: „Kunst ist Freiheit.“ Freiheit. Der Grund, warum er hier ist und all die Strapazen auf sich genommen hat. Deshalb sagt er auch: „Es ist wichtiger, ein guter Mensch als ein guter Moslem zu sein.“ Es ist der Satz eines Menschen, der das Schlechte gesehen hat und es hinter sich lassen möchte.

Von: Jacqueline Lang

Foto: Matthias Weiss