Internationale Familie

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Teresa Bertram, 27, hat MindLinks gegründet. Es ist eine Gemeinschaft in München, die Studenten und Geflüchteten die Möglichkeit geben will, sich auf Augenhöhe zu begegnen.

Auf einem Hügel steht eine majestätische Burg. Krak des Chevaliers heißt sie. Dieses Bild ist auf eine Wand im Institut für Soziologie projiziert. Ein junger Mann mit schwarzen, kurzen Haaren und Bartstoppeln steht neben dem Bild und redet über sein Heimatland Syrien. „This is my favourite one“, sagt Ghassan Abdulhadi, 24. „You should do Wandern.“ Im Raum lachen alle auf, weil dem Syrer eher das deutsche als das englische Wort einfällt. Die Tische sind an die Wand geschoben, 16 Menschen sitzen im Stuhlkreis und hören dem Syrer zu. Die meisten sind jung, zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Truppe ist bunt gemixt: Geflüchtete, Münchner, internationale Studenten ohne Fluchthintergrund. Es sind sowohl Frauen als auch Männer da. Alle sind leger gekleidet, aber nicht spießig, sie haben Jeans und dazu Pulli oder Sweatshirt an. Die Atmosphäre ist locker und entspannt.

Auch Teresa Bertram besucht dieses Seminar. Die 27-Jährige hört interessiert zu. Es geht um Syrien vor dem Krieg. Eines von vielen Themen, um das es in den Diskussionsseminaren von MindLinks geht. Zusammen mit dem Ägypter Mahmoud Bahaa und der Amerikanerin Mallissa Watts hat Teresa MindLinks vor fast zwei Jahren gegründet. Es ist eine Gemeinschaft in München, die Studenten und Geflüchteten die Möglichkeit geben will, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Die drei Gründer fanden es toll, dass es viele Hilfsangebote für Flüchtlinge gibt. „Aber oft entsteht ein Hierarchiegefälle in irgendeiner Art und Weise, wenn einer bedürftig ist und ein anderer die Ressourcen hat“, sagt Teresa. „Mallissa hatte davor schon ganz viel in Flüchtlingsheimen und bei Essensausgaben geholfen und dann auch gemerkt, dass ihr der Austausch fehlte. Und ich habe in der Zeit, in der das Flüchtlingsthema in Deutschland so groß war, in London studiert und wollte auch gerne etwas machen.“

Jeden Montagabend um 19 Uhr findet ein Diskussionsseminar im ersten Stock des Instituts für Soziologie an der LMU statt. Dabei geht es jede Woche um die unterschiedlichsten Themen: Politik, Religion, Naturwissenschaft, Soziologie, Psychologie, Sexualität. Nach dem Vortrag wird diskutiert. Je nachdem, welches Thema sich der Vortragende aussucht, wird mal hitziger gestritten, mal gibt es kaum Wortmeldungen. Geredet wird auf Englisch, weil sich so alle verständigen können. Da die Flüchtlinge und inzwischen auch viele internationale Studenten ohne Fluchthintergrund auch Deutsch lernen wollen, bietet MindLinks davor eine Deutschstunde an. „Sprich mit!“ heißt sie. Außerdem koordiniert MindLinks ein Partnerprogramm. Es nennt sich „Peer-Partner-Programm“. Dabei bilden eine Person mit und eine ohne Fluchthintergrund ein Tandem. Gemeinsamkeiten, ähnliche Interessen oder ein akademischer Hintergrund sind Voraussetzungen, um zwei Personen zusammenzubringen. Wichtig ist, dass es nicht einen Mentor und einen Schützling gibt, sondern dass beide Personen sich auf einer Ebene begegnen. „Ich glaube, dass Sprache im Vordergrund steht, aber viele tauschen auch mehr als nur Sprache aus, zum Beispiel die Kultur, und machen viel zusammen“, sagt Teresa Bertram. „Da waren einige dabei, die enge Freunde geworden sind.“ So auch Ghassan und Duygu Büyükerzurumlu, 24. Sie interessieren sich beide für Medizin und haben viel gemeinsam unternommen.

Ghassan sieht inzwischen die ganze Gruppe als seine Familie an. Er freut sich auf die Seminare, weil er dort seine Freunde, aber auch neue Menschen trifft. Außerdem besucht er den Deutschkurs, um die Sprache zu verbessern, denn er möchte irgendwann in Deutschland Medizin studieren – so wie seine Tandempartnerin Duygu. Ghassan hat in Syrien bereits Anästhesiologie studiert und wartet momentan auf einen Studienplatz. Zuvor hat er als Freiwilliger in einem Second-Hand-Shop der AWO und in einem Restaurant gearbeitet.

Kinan Al Akhmar, 23, besucht seit anderthalb Jahren die Veranstaltungen von MindLinks, hat beim Peer-Partner-Programm mitgemacht und engagiert sich jetzt im Seminarteam. „MindLinks hat mir geholfen, die Sprache und Kultur zu lernen“, sagt Kinan. Er war zuvor in einem Integrationskurs. Dort wurde ihm gesagt, dass er keine Freunde in Deutschland finden wird, außer er ist Teil einer Gruppe. Als er aus Syrien hierher kam, hatte er 250 Freunde auf Facebook, nun hat er 700 – auch wenn das nichts heißen muss. Er lebt bereits seit zwei Jahren in Deutschland. Jetzt macht er in München eine Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel. Kinan mag die Gruppe, weil sie abwechslungsreich ist und er keine Angst hat, seine Ideen mitzuteilen. Er kommt jeden Montag zu den Diskussionsseminaren, weil es ihm viel Spaß macht und viel gelacht wird.

Während Kinan auf dem Laptop eine Seite weiterklickt bei der Präsentation, erzählt Ghassan etwas zu den Bildern. Auf der Wand sieht man das römische Theater in Bosra. Medizinstudentin Anna Raabe, 26, fragt, ob es noch steht. Darauf antwortet Ghassan, dass die meisten Ruinen zerstört worden sind. Der Vortrag und die anschließende Gesprächsrunde laufen ruhig ab. Das kann aber auch anders sein: Gerade bei emotionalen Themen wie Politik gibt es auch mal Konfliktsituationen. Vor ein paar Monaten hat ein Geflüchteter nach langem Überlegen des Teams einen Vortrag über den Krieg in Syrien gehalten. „Vor allem in der Gruppe der Geflüchteten war es schwierig“, sagt Teresa, „weil da natürlich auch Leute zusammenkommen, die in Syrien auf ganz unterschiedlichen Seiten standen und das natürlich superemotional aufgeladen ist.“ Die Situation ist aber nicht eskaliert, denn zu dem Zeitpunkt kannten sich alle so gut, dass manche zwar ein bisschen aneinandergeraten sind, aber danach war wieder alles gut.

Die Gesprächsrunde ist beendet. Manche bleiben noch sitzen und reden mit ihrem Sitznachbarn weiter – auf Englisch, aber auch auf Deutsch. Andere gehen nach vorne und gießen sich Saft oder Wasser in einen Plastikbecher und stellen sich zusammen. Wie auch schon beim Diskussionsseminar ist die Atmosphäre locker und rundherum sind oft Lacher zu hören. „Nach einem Jahr sind es deine Freunde und deswegen komme ich“, erzählt Anna. Sie hat so etwas wie bei MindLinks noch nie erlebt: „Man lernt, auf höfliche Art und Weise zu diskutieren, jede Meinung ist akzeptiert.“

Text: Lena Schnelle

Foto: Stefanie Preuin