Vom Kinderzimmer nach L.A.

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Maximilian Seethaler, 23, begann in der Schule, elektronische Remixe zu basteln und unter dem Namen Saint WKND zu veröffentlichen. Mittlerweile tourt er mit weltbekannten DJs durch volle Hallen. In seiner Heimatstadt München gilt er jedoch immer noch als Geheimtipp.

Von Theresa Parstorfer

Der Koffer ist noch nicht gepackt. Maximilian Seethaler geht in der Küche seiner Eltern in Pastetten hin und her. Reißt die Packung eines Schokoriegels auf. Es ist Dienstagabend und noch knapp zwölf Stunden hat er Zeit, bis sein Vater ihn zum Flughafen fahren wird. Nach Washington wird es gehen. Auf Tour. 25 Städte in einem Monat. Der Koffer ist noch nicht gepackt – das könnte stressig werden. Aber Seethaler ist ganz ruhig. Denn: „Ich hab das jetzt schon so oft gemacht“, sagt er, als würde er davon sprechen, wie es ist, jeden Tag den Schulbus zu nehmen.

Seethaler ist 23 Jahre alt und seit beinahe vier Jahren tourt er als Saint WKND mit seiner elektronischen Musik durch die Welt. Nicaragua, Australien, die USA, Kanada. Die Liste ist lang. So lang, dass er selbst durcheinander kommt. Erinnerungshilfe ist der Instagramaccount. Den geht er am Handy durch. „Oh Mann, ich war einfach so viel unterwegs im letzten Jahr, ich vergesse das schon fast“, sagt er und lacht ein bisschen gequält, ohne dass das überheblich klingt oder angeberisch. Auch nicht, als er erzählt, dass es in Miami schon einmal vorkommt, dass Fans ihn auf der Straße ansprechen.

In seiner Heimatstadt München kennt ihn und seine elektronischen Indie-Pop-Beats allerdings kaum jemand. Als Geheimtipp wurde er vor kurzem bei Puls gehandelt. Ein Newcomer ist Seethaler jedoch streng genommen schon lange nicht mehr.

Bereits in der Schule fing er an, „unerlaubte Remixe“ à la Robin Schulz zu basteln, um sie dann aus seinem Kinderzimmer in die Soundcloud und Richtung Youtube zu schicken. „Wenn ich Schule als zu bedrückend empfand, war das immer mein Ausgleich“, sagt er. Schon immer habe ihm einfach „alles gefallen, was mit Kunst zu tun hat“. Vor allem Musik und Design, Fotografie und Film. Er spielt Schlagzeug, Gitarre und auch ein bisschen Klavier. Mittlerweile sind es keine Remixe aus anderer Leute Musik mehr, die er produziert, sondern eigene Songs. „Ich bin so perfektionistisch und habe so genaue Vorstellungen davon, wie ich die Dinge haben will, dass ich mir nicht reinreden lassen will“, sagt er. Deshalb dreht er auch selbst Musikvideos und füttert die sozialen Netzwerke mit kurzen Clips über seinen Alltag und seine Musik sowie mit selbst geschossenen Fotos. Auf den meisten davon blickt er ernst in die Kamera. Ein schlanker, dunkelhaariger, junger Mann.  

Überlegt sind die meisten seiner Antworten, zwischendrin entschuldigt er sich, dass ihm manche Wörter schneller auf Englisch als auf Deutsch einfallen. Nebenwirkung des Tourlebens überall, nur nicht in Deutschland. Zum Arbeiten, also zum Produzieren seiner Musik, ist Seethaler mittlerweile meistens im Londoner Studio seines Labels. Dankbar ist er, dass Label und Management ihm alle Freiheiten gewähren. „Am Anfang hatte ich da nicht so Glück,“ sagt er.

Als er gerade mal 18 Jahre alt war, stand zwar bereits der erste Manager vor der Tür, aber „da hatte ich noch keine Ahnung vom Musikbusiness und war total naiv. So wirklich seriös war das nicht“, sagt er, möchte aber nicht schlecht über irgendjemanden oder die Vergangenheit reden, denn ohne Probleme sei er aus diesem ersten „Knebelvertrag“ rausgekommen. Kurze Zeit später kam ohnehin der nächste Anruf. „Das war schon abgefahren“, sagt Seethaler, „mein Dad, der kein Wort Englisch spricht, kam auf einmal zu mir ins Zimmer und meinte, da sei jemand am Telefon, er verstehe zwar kein Wort, aber glaube, es sei für mich.“ Es war für ihn. Warner Music. Letztendlich entschied Seethaler sich allerdings für Sony UK, die schon mit einem konkurrierenden Angebot aufwarteten.

Bloß 20 Tage war Seethaler im vergangenen Jahr in Deutschland, das weiß er, weil er vor einer Woche seine Steuererklärung abgeben musste. Seine Wohnung in Erding, in deren Dachzimmer viele seiner Songs entstanden sind, hat er aufgegeben. Unaufgeregt klingt es, wenn Seethaler über das redet, was er macht. Weil das eben seine Arbeit ist. Glücklich ist er natürlich schon, als Privileg empfindet er es, seine Kunst ausleben zu können und damit auch noch Geld zu verdienen.

Aber dass es da „Schattenseiten“ in der Musikbranche gibt, das weiß er mittlerweile auch. „Wenn du nach einer Show vor vier- bis sechstausend Leuten total aufgepusht in dein leeres Hotelzimmer kommst in einem Land, in dem dich eigentlich niemand als Max, sondern immer nur als Saint WKND kennt, und dann alle Endorphine aufgebraucht sind, ist das hart“, sagt er. Für den Kopf und den Körper. Facetimen mit der Freundin in Paris hilft in diesen Momenten, mit der Zeit gewöhne man sich vielleicht auch an das Leben aus dem Koffer. Gleichzeitig gibt es schließlich auch genügend Momente, die irgendwie „krass“ sind. Im positiven Sinne. Als zum Beispiel Chloë Grace Moretz, Hauptdarstellerin in „Carrie“, einen seiner Songs retweetete oder Ellie Golding ebenfalls auf Twitter erklärte, dass Saint WKND gerade ihre Nummer eins sei.

Wie es kommt, dass jemand mit weltbekannten DJs wie Avicii, Luis the Child und Wethan auftritt, vor Tausenden von Menschen, ohne dass man in Deutschland von ihm gehört hat? Seethaler glaubt, das liege am Internet. Der Möglichkeit, von überall Musik zu streamen. Daran, dass er „nie wirklich als DJ in München aufgelegt“ habe. Vielleicht aber auch an der deutschen Musiklandschaft, denn er „würde wagen zu behaupten, dass hier noch etwas mehr in Boxen gedacht wird und ein gewisses Crossover zwischen Stilen nicht wirklich gut ankommt.“ Seine Musik, die derzeit ein bisschen wie eine Mischung aus Indie, synthesiztem Achtzigerjahre-Pop klinge, passe vielleicht in keine dieser Boxen. In Amerika hingegen seien Musikbranche und Publikum aufgeschlossener, enthusiastischer. Und so stehen Miami und Los Angeles ganz oben in seinen Streaming-Statistiken.

Auf die Frage, ob er denn gerne auch in Deutschland erfolgreicher sein würde, muss er kurz überlegen. Dann fällt ihm eine Geschichte ein: „Ja, doch, ich muss sagen, dass der Auftritt auf dem Lollapalooza in Berlin im vergangenen Jahr eines der tollsten Erlebnisse ever war.“ Dort hätte er auf einmal gemerkt, wie schön es ist, mit dem Publikum deutsch sprechen zu können. Aber der könne ja noch kommen, der Erfolg in Deutschland. Mit 23 sollte dafür noch genug Zeit sein. Seethaler erzählt noch so eine Geschichte. Von seiner ersten Show in Los Angeles, auf einer Pool Party in einem Luxushotel. Der Türsteher wollte ihn damals nicht reinlassen, weil er noch nicht mal 19 war. „Gott sei Dank war mein Manager dabei, sonst hätte die Party keinen DJ bekommen“, sagt Seethaler und lacht.

Zuhause – seine Familie, München, Deutschland – vermisse er eigentlich selten. Heimkommen erdet dennoch und für immer will er nicht nur aus einem Koffer, zwischen 25 Hotelzimmern im Monat leben. „Aber wo genau ich irgendwann mal leben und arbeiten will, weiß ich noch nicht.“ Langfristige Pläne hat er keine. „Klar, erst mal ist eine neue EP geplant, aber alles danach wird sich schon irgendwie ergeben“, sagt er. Kurzfristig gesehen muss er jetzt aber los. Von seiner Schwester will er sich noch verabschieden. Und den Koffer – ja, den sollte er schon auch noch packen.

Foto: Brandon Artis

Band der Woche: LCAW

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Seine Mutter und seine Schwestern sind in der Klassik unterwegs, aber Leon Weber alias LCAW zieht es in eine andere Richtung. Früher war der Musiker als House-DJ bekannt, nun wagt er sich mit Eigenkompositionen in die Popwelt vor.

Das Wort frühreif wird oft negativ verwendet. Man stellt sich einen Streber vor, der trotz geringer Erfahrung alles besser weiß und altklug kommentiert. Der Münchner Musiker, Produzent und DJ Leon Weber, alias LCAW, zeigt jedoch eine Art der frühen Reife, die ziemlich beeindruckend ist. Der 23-Jährige, der als House-Remixer von Indie-Tracks schon vor vier Jahren international bekannt wurde, veröffentlicht nun Ende März mit „Meet me in the Middle“ seine erste EP mit eigenen Tracks. Für die erste Single „Hummingbird“ konnte er die britische Sängerin Sophie Ellis-Bextor als Gast gewinnen. Die ist 38 Jahre alt und hatte 2001 mit „Murder on the Dancefloor“ ihren ersten Nummer-1-Hit. Dennoch hat man hier nicht das Gefühl, dass eine gesetzte Sängerin sich mit jugendlichem Produzenten verjüngen möchte oder dass ein junger Musiker versucht, den Stil eines erwachsenen Stars zu kopieren. In „Hummingbird“, einer leichfüßigen Disco-House-Nummer, treffen zwei Musiker auf gleicher Höhe aufeinander, auch wenn sie 15 Jahre Erfahrung trennen.

„Manchmal schreibe ich ein Lied und habe direkt eine Stimme im Kopf, die perfekt dazu passen würde“, sagt Leon. Als er an seiner EP arbeitete, war das mit der Stimme von Sophie Ellis-Bextor der Fall. Doch weil Leons Remixes eben da schon international erfolgreich liefen, befand sich der junge Musiker in der glücklichen Lage, die Person hinter der Stimme, die er im Kopf hatte, auch ganz reell anfragen zu können. Aufgenommen wurde der Song dann in einem Londoner Studio, in dem auch schon James Blunt oder Adele gearbeitet hatten. Herausgekommen ist eine ziemlich zugängige Pop-Nummer, deren Produktion reif und gesetzt wirkt. Da komponiert jemand, der sich handwerklich und stilistisch sehr sicher ist – obwohl das, neben ein paar Singles, das erste Mal ist, dass Leon mehrere selbstgeschriebene Songs gebündelt veröffentlichen wird. Für Leon ist dieser Song dabei auch der Beginn einer neuen künstlerischen Richtung. Man hört zwar seine Anfänge als House-Remixer durch, doch „Hummingbird“ ist ein richtiger Popsong, den er als „eine moderne Art von Disco und Funk“ beschreibt. Es hat in Leons Karriere allerdings ein bisschen Zeit gebraucht, bis es zu so einer Zusammenarbeit und dieser stilistischen Positionierung kommen konnte. Während er in seinen Remixes immer das musikalische Material anderer Künstler weiterverarbeitete, hat er hier selbst komponiert. Um damit in die Öffentlichkeit zu gehen, wollte und musste er sich sicher sein.

Schon 2014, als seine Laufbahn als DJ und Remix-Produzent bereits internationale Kreise zog, arbeitete er an Original-Tracks, also an Eigenkompositionen. Doch bis er diese für gut genug befand, um sie zu veröffentlichen, dauerte es. Da schwingt ein ziemlich hoher Anspruch an die eigene Musik durch, der vielleicht auch daher kommt, dass Leon von frühester Kindheit an mit klassischer Musik konfrontiert war. Seine Mutter und seine beiden Schwestern sind Berufsmusikerinnen in der Klassik. Leon selbst spielt Klavier und Cello, gewann den Wettbewerb „Jugend musiziert“ und spielte im Bundesjugendorchester. Für eine Karriere in der Klassik habe ihm das permanente Üben jedoch zu wenig gelegen, erklärt er. Sich aber in der Musik fest zu beißen, lange an etwas zu arbeiten und zu feilen, das ist – neben dem musikalischen Grundverständnis – wohl etwas, was er aus der klassischen Ausbildung mitgenommen hat. Gleichzeitig befähigt ihn nun genau das, Songs zu produzieren, die trotz seines Alters auf dem internationalen Pop-Markt bestehen können. 

Stil: Pop/House
Besetzung:
Leon Weber (Komposition, Produktion)
Seit:
2013
Aus:
München
Internet:
www.lcawmusic.com

Text: Rita Argauer


Foto: Yunus Hutterer