Band der Woche

Ob Indie und Stadion-Rock eine gute Mischung sind? Minor-Fall macht es gekonnt vor- und genau das macht die Münchner Band so besonders.

Die Begriffe tanzen einem auf der Nase herum. Zu glauben, dass Indie-Musik auch irgendwie unabhängig klingen muss, das ist richtiggehend altmodisch. Nein, heute ist es sogar auf eine gewisse Art avantgardistisch, wenn eine relativ kleine Münchner Band behauptet, ein Faible für Stadionrock zu haben, denn Stadionrock ist ja derzeit eher uncool. Anders als all das Understatement, das einst in den Indie-Begriff und die daran gekoppelte Musik eingeschrieben war. Das ist passé, genauso wie die bewusste Abgrenzung der Indie-Szene zu den Produktionen des Mainstreams. Im Gegenteil, heute wollen immer mehr junge Bands genauso klingen, als seien sie für das Big-Business produziert. Und dank gut entwickeltem Home-Recording klappt das meist auch recht ordentlich.

So auch bei der Münchner Band Minor Fall (Foto: Sebastian Baumann). Doch der gelingt ein Coup, der sie eben noch einmal abhebt von all den Indie-Pop-Bands, in deren Musik der unbedingte Erfolgswillen fast zu aufdringlich mitschwingt. Minor Fall haben sich einen Musikstil ausgesucht, der seine höchste Popularitätsphase schon länger hinter sich hat, und in Zeiten von Dub-Step-Synkopen unter jedem dritten Charts-Hit schon ein wenig angestaubt wirkt. Denn die fünf Jungs um die Brüder Johannes David und Samuel Wimmer nahmen sich die Musik von Bands wie U2 oder Coldplay zum Vorbild. Bands, deren größter gemeinsamer Nenner ist, dass sie in verschiedenen Jahrzehnten ihren jeweiligen Musikstil von Subversion befreiten und auf die Stadionbühnen hoben. U2 haben das mit Rock gemacht, Coldplay war die erste Indie-Band, die mit dieser Musikbezeichnung in der Riege der ganz großen Massenpopmusik landeten. Und nun ziehen Minor Fall vor allem den Gestus der Musik beider Gruppen zurück in den Underground-Bereich: Etwa im Song „Time“, wenn Alexander Wach seine Stimme mit hehrem Ernst auf einen ausladenden Klavierpart setzt. Der Song ist die obligate Ballade, die ihren Aufgaben auf einer solchen EP auch ganz treu bleibt. Kurz stört da zwar eine Verzerrung und zieht den Song durch eine elektronische Verfremdung in die Jetzt-Zeit, doch die Background-Chorgesänge holen ihn schnell zurück. 

Oder der Opener „Blue Flower“, der zwar mit Synthesizer-Flächen und Beats völlig elektronisch beginnt, aber spätestens mit dem Mitklatsch-Refrain zeigt, wo er hingehört. Die EP, die die Band vor drei Monaten veröffentlichte, wurde aber dann ganz hintersinnig betitelt: „Now and Then“ macht mit Hilfe des bekannten Stadionvokabulars die Schere auf, die Minor Fall von den Massen an Indie-Pop-Bands abhebt. Denn: Ihre Underground-Variante von Stadionrock, respektive ihre Massenmusik-Ereignis-Gesten ohne Masse, erscheinen heute innovativer zu sein als die nächste – vorhersehbare – Indie-Band. Die Zeit ist auf der Seite der Band, denn noch vor zehn Jahren hätte diese Musik wohl weit alberner gewirkt. Doch die Ernsthaftigkeit, mit der die Musiker solche Musik mit den passenden Gesten und Texten anfüllen, wirkt einnehmender als das als Verkaufsmasche durchschaubare Indie-Understatement. Das ist eine Art von an Kitsch gekoppelte Naivität, die Susan Sontag in der Sechzigerjahren mit dem Begriff „camp“ beschrieb. Später wurde dieser Mechanismus in der Popmusik bei der frühen Madonna gesehen, mittlerweile entspricht das, was Minor Fall machen, wohl der Definition des reinen Camps.  

Stil: Indie-Stadion-Rock
Besetzung: Alexander Wach (Gesang), Johannes David Wimmer (Gitarre), Samuel Wimmer (Klavier, Synthesizer,
Background-Gesang),
Sebastian Wochenauer (Bass), Thomas Vanvolsem
(Schlagzeug, Background-Gesang)
Aus: München
Seit: 2013
Internet: www.facebook.com/
minorfallmusic

Rita Argauer

Foto: Sebastian Baumann