Duschen hat hier etwas von „Mission Impossible“. Es erfordert Mut, gute Planung und Badelatschen.
Zuerst lausche ich am Fußboden: Stille. Dann drücke ich mein Ohr gegen die Zimmertür: Männerschritte verhallen im oberen Geschoss. Die Zeit ist reif. Die Mission kann beginnen. Mit dem Haarshampoo im Anschlag und einem Klammergriff um mein flatterndes Badetuch gleite ich den Gang hinunter in den Keller. Gegenüber dem Fitnessraum, wo eingeölte Pin-up-Girls von den nackten Betonwänden hinab stieren, liegen drei Duschkabinen. Die teile ich mir mit sieben Studenten. Mein Plan: ihnen nicht unbekleidet begegnen. Denn es sind nicht irgendwelche Studenten: Es sind Mitglieder der Münchner Burschenschaft, bei der ich zur Untermiete wohne. Wenn sie sich nicht gerade betrinken, mit Floretten kloppen oder Schweinebraten essen, besteht die Gefahr, dass sie Blut, Erbrochenes oder Bratensoße von ihren Körpern waschen wollen. Dabei möchte ich nicht mit ihnen über das Wetter reden.
Die wenigsten meiner Bekannten haben sich je Dusche und Küche mit bayerischen Burschen geteilt. Aber Übung darin, sich vor Mitbewohnern zu verstecken, haben sie fast alle. Besonders ausgeprägt sind die Fähigkeiten bei denjenigen, die mal zur Untermiete bei älteren Damen gelebt haben. Das ist kein Wunder – denn wer es nicht schafft, sich rechtzeitig in seinem Zimmer zu verbarrikadieren, läuft hier Gefahr, Opfer von endlosen Anekdoten zu werden. Einmal in ein Gespräch verwickelt, sind die Handlungsalternativen stark eingeschränkt. Nicken und zustimmende Satzpartikel haben sich in der Anwendung bewährt. Überstürzte Fluchtversuche sind problematisch. Vermieterinnen empfinden diese in aller Regel als grob unhöflich und haben dummerweise die Möglichkeit, einem das Leben sehr schwer zu machen.
Es ist verständlich, warum man in so einem Fall zum Geheimagenten in der eigenen Wohnung wird – schließlich wird hier sogar bei noch so unaufdringlichen Mitbewohnern an Türen gelauscht. Die Aussicht, trotz Kater und Bad-Hair-Day ein freundliches „Hallo“ produzieren zu müssen, kann schon Grund genug sein, den Klobesuch auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Das ist eigentlich ein bisschen armselig. Schließlich entwickeln sich oft spannende Dialoge, wenn man sie am wenigsten erwartet. Als ich mich etwa gerade eingeseift habe, kommt ein Bursche in den Duschraum und fragt, wo man hier deftig essen gehen kann. Möchte ich das folgende Gespräch, bei dem ich immer tiefer in die Duschkabine krieche, in meinem Erfahrungsschatz missen? Ganz ehrlich? Eigentlich schon. Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.