Sophia Maier reist auf eigene Faust als Fotografin in Krisengebiete. Nach ihrem Einsatz in Nepal, kurz nach dem Erdbeben von 2015, ist ihr aktuelles Projekt nun Idomeni. Nur: Dort ist Hilfe so nötig, dass die Kamera immer öfter im Zelt bleiben muss – eine Spurensuche zwischen zwei Herausforderungen.
Es ist noch dunkel in Idomeni, wenn Sophia Maier aufsteht, in ihre Trekkingschuhe schlüpft und beginnt, Wasser zu den Zelten zu bringen. Sie läuft durch den Schlamm, der sich an manchen Stellen mit Fäkalien vermischt. Toiletten und Duschen gibt es kaum in dem wilden Flüchtlingscamp, in dem seit Monaten mehr als 10 000 Menschen darauf warten, dass sich die Balkanroute vielleicht doch noch öffnet. Sophia, Mitte 20, stellt die Getränkeflaschen bewusst vor Sonnenaufgang ab, wenn die Flüchtlinge noch schlafen – es gibt zu wenig von allem und sie befürchtet, tagsüber würden Verteilungskämpfe ausbrechen. „Jeder hat dort Angst, dass er nichts mehr bekommt“, sagt sie.
Eigentlich ist die junge Münchnerin mit einem ganz anderen Ziel an die griechisch-mazedonische Grenze gekommen: Neben dem Helfen wollte sie vor allem fotografieren – sowohl künstlerische Porträts der Flüchtlinge als auch, um von dort als Journalistin zu berichten. Ihre Updates in Text, Bild und Video wurden bislang über ihren Facebook-Kanal teilweise bis zu 800 Mal geteilt und tausendfach geliked sowie bei „Stern TV“ ausgestrahlt.
Für den Plan, an die griechische Grenze zu gehen – zuerst nach Lesbos, dann nach Idomeni – hat sie in München ihre Wohnung im Lehel gekündigt. Auch ihre Ausbildung als Volontärin bei der Huffington Post hat sie aufgegeben. „Ich wusste nur, ich muss da hin und was tun“, sagt sie und versucht, ihre Bauchentscheidung zu erklären. Nur für ein paar Tage wollte sie nach Idomeni reisen, dann zurück auf die griechische Insel. Doch der Ort, dieses inoffizielle Flüchtlingslager mit den inhumanen Zuständen, ließ sie nicht los. „Es zieht mich immer wieder dort hin“, sagt sie.
Aktivistin? Fotografin? Journalistin? Für Sophia ist das kein Widerspruch
Ihr Antrieb: Wut und Empörung. Gefühle, die es manchmal schwierig machen, die vielen Rollen zu trennen, in denen sie vor Ort ist und zwischen denen sie wechselt. Ist sie Aktivistin? Fotografin? Journalistin? Für Sophia ist das kein Widerspruch. Ehrenamtliche Hilfe und Fotografieren hängen für sie untrennbar zusammen, immerhin hat sie ihre Leidenschaften auch gleichzeitig entdeckt. 2011 lebte sie im ärmlichen südafrikanischen Township Soweto und begeisterte sich erstmals dafür, zur Kamera zu greifen. Mode und andere schöne Welten abzulichten, interessiert sie nicht. Auch zu Hause in Deutschland fotografiert sie kaum.
Sophias erste Reise in ein tatsächliches Krisengebiet ergab sich 2015 eher durch Zufall: Den Flug nach Nepal hatte sie schon gebucht, als kurz vor Abreise dort die Erde bebte. Stärken von bis zu 7,8 wurden in Nepal gemessen, unzählige Häuser zerstört und Menschen getötet. Während ihre Freunde dachten, nun würde Sophia zu Hause bleiben, war es für sie erst recht ein Ansporn. „Für mich war klar: Dann fahre ich eben nicht, um im Himalaja zu wandern, sondern um zu helfen.“ Sie übernahm die Leitung einer kleinen Hilfsorganisation, reiste quer durchs Land, verteilte Hilfsgüter und unterstützte die Nepalesen beim Wiederaufbau. Die vielen gezeichneten Gesichter, denen sie dabei begegnete, hielt sie mit der Kamera fest.
„Faces of Nepal“, scherzte ein nepalesischer Freund, der gemeinsam mit Sophia auf den Einsätzen unterwegs war, wenn er einen interessanten Menschen sah und ihn ihr zeigte. Später sollte das zum Titel ihrer Ausstellung werden, die Anfang des Jahres im Berliner „Mein Haus am See“ zu sehen war. Gleich zur Eröffnung kamen mehrere hundert Menschen, die Erlöse spendete Sophia für Nepal. Dabei musste erst eine Freundin Sophia von der Idee der Ausstellung überzeugen, nachdem diese die Fotos gesehen hatte. Bei Idomeni ist die junge Münchnerin mittlerweile schon viel selbstbewusster. Dass ihre Bilder auch diesmal ausgestellt werden und die Erlöse gespendet werden sollen, steht für sie fest.
Das Militär hat sie gezwungen, Bilder zu löschen
Doch die Arbeit mit der Kamera hat auch ihre Grenzen, manchmal muss die Ausrüstung in der Tasche bleiben. Ein Beispiel ist für die Münchnerin die Flussüberquerung in Idomeni, die Mitte März weltweit Schlagzeilen machte. Ominöse Flugblätter hatten die Nachricht von einer angeblichen Lücke im Grenzzaun verbreitet, viele Flüchtlinge brachen auf – und die Münchnerin mit ihnen. „Erst stand ich am Fluss und hatte mein Handy in der Hand“, erzählt sie. „20 Sekunden lang habe ich gefilmt, dann dachte ich: Was machst du hier eigentlich? Geh in diesen Fluss und hilf! Weil eigentlich ist es doch egal, ob ich Journalist, Aktivist oder Fotograf bin – zuallererst bin ich Mensch.“ Also hob Sophia Kinder zum anderen Ufer, durchquerte schließlich selbst den Fluss und begleitete die Flüchtlinge durch ein Waldstück über die Grenze, wo das mazedonische Militär sie bereits „mit dem Finger am Abzug“ erwartete. Sophia sagt, sie habe diesen Exodus mit Fotos dokumentiert – inklusive Aufnahmen der Grenzsoldaten. Doch das Militär habe sie letztlich gezwungen, die Bilder von ihnen zu löschen. „Wenn da so ein Typ mit der Knarre neben dir steht, dann machst du das natürlich auch“, sagt sie.
Während die Flüchtlinge vom mazedonischen Militär zurück nach Griechenland gebracht wurden, machte Sophia sich nachts zu Fuß auf den Rückweg zum Camp, allein durch Wald und Fluss. Am liebsten hätte sie die Flüchtlinge noch weiter begleitet, die Dokumentation von möglichen Menschenrechtsverletzungen sieht sie als ihre Aufgabe.
Trotzdem glaubt sie, mit ihren künstlerischen Porträtfotos, die Einzelschicksale aus der Masse herausgreifen, mehr erreichen zu können: Die Betrachter würden sich mehr Zeit nehmen und mehr fühlen als beim Scrollen durch den Facebook-Newsfeed.
Dass sich ihr Fotoprojekt mit Flüchtlingskindern befassen soll, war für Sophia schnell klar. Dass so viele Kinder in diesem Camp ohne Bildungsmöglichkeit festsitzen, sei für sie mit das Schlimmste an der ganzen Situation. „Children of Idomeni“ hat sie die Serie deswegen genannt.
Im Sommer beginnt für sie ein neuer Abschnitt – von Juli an wird sie in Teilzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem Bundestagsabgeordneten arbeiten. Auch die Ausstellung wird sie dann zeigen. Vor der konkreten Planung zieht es Sophia wieder zurück an die Grenze von Griechenland und Mazedonien. Helfen geht für sie am Ende eben doch vor.
Text: Elisabeth Kagermeier
Fotos: Sophia Maier
Von: Elisabeth Kagermeier
Fotos: Sophia Maier