Fremdgänger: Muggel in der Winkelgasse

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Wenn man als eingefleischte Münchnerin in die Welt zieht zum Studieren, erwartet einen immer der ein oder andere Kulturschock. Unter all den neuen Eindrücken aus der großen, weiten Welt ruht aber die Sehnsucht nach der Heimat. Als Theresa sich Robe und Barett für ihr Auslandsstudium in Oxford besorgte, fühlte sie sich unweigerlich in die magische Welt Harry Potters versetzt

Da wäre nur noch die Sache mit dem Zauberstab. Wenn ich mich recht erinnere, ist das eines der letzten Dinge, die Harry Potter vor dem offiziellen Beginn seiner Zauberer-Karriere in Hogwarts, der weltbesten Schule für Hexerei und Zauberei, in der Winkelgasse in London kauft. Gewinkelt war auch die Gasse, die ich vor zwei Monaten entlang gelaufen bin. Getaucht in herrlichste, englische Herbstsonne. Gewappnet für den skurrilsten Shoppingtrip meines Lebens. Oder zumindest so halb gewappnet. Denn ein wenig eingeschüchtert war ich schon, von der Vorstellung, mir einen schwarzen Umhang aus Seide kaufen zu müssen und ein schwarzes … – ja, was ist das eigentlich, was die Studenten in den amerikanischen oder englischen Highschool- und Universitätsfilmen auf dem Kopf tragen und am Ende des Jahres in die Luft werfen?

Das ist Oxford. Undergraduates, so heißen die Bachelor-Studenten, bekommen kurze, schwarze Seidenmäntelchen, Graduates, also Masterstudenten wie ich, dürfen sich schon in über die Knie reichende Umhänge hüllen. Und bei den Doktoranden kommt dann noch allerlei Ärmel und Kragen und sogar ein bisschen Farbe dazu. Das „academic dress“ wird nicht nur anlässlich der Einführungs-Zeremonie und der Abschlussfeier, sondern auch zu allerlei festlichen Aktivitäten und Dinners und sogar den Prüfungen getragen. 

Auch an deutschen Universitäten waren bis vor ungefähr 50 Jahren Talare und Barette (so der Name der Hüte) fester Bestandteil des akademischen Alltags, eine Tatsache, die mir zu keinem Zeitpunkt meiner Universitätskarriere in München bewusst war. Mit dem Slogan „unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ schafften die ‘68er die Umhänge ab. Deshalb war der Erhalt meines ersten Uni-Abschlusses im vergangenen Sommer in München nicht viel feierlicher als ein Besuch im Prüfungsamt zwischen Arbeit und Bibliotheksrückgaben. Keine Robe, kein Barett, keine Zeremonie und auch kein Dinner, nur eine Mappe mit meinem Bachelor-Zeugnis.

In England hingegen hält man nach wie vor selbstverständlich – manchmal mit einem leichten Augenzwinkern, aber durchaus nicht ohne Stolz – an Traditionen, Zeremonien und vor allen Dingen schwarzen Umhängen fest. Mittlerweile neigt sich das erste „Term“ dem Ende zu, mittlerweile zucke ich nicht mehr zusammen, wenn in der immer früher einsetzenden Abenddämmerung ein Radfahrer mit wehenden schwarzen Rockschößen auf dem Weg zu einem Dinner an mir vorbeisaust, mittlerweile höre ich mich selbst regelmäßig fluchen, wenn ich schon halb aus der Tür und auf dem Weg zu einem solchen Dinner bin und merke, dass ich meinen „gown“ wieder einmal vergessen habe. 

Und dennoch: Nach wie vor denke ich mir nicht selten, dass Harry Potter sich ähnlich gefühlt haben muss, als er in den roten Zug auf Gleis 9 ¾ gestiegen ist, der ihn in ein Universum transportierte, in dem andere Sitten und Umgangsformen gepflegt, andere Sportarten betrieben werden, anderes Essen gegessen und nicht zuletzt andere Kleidung getragen wird.

Als ich an jenem Nachmittag am Anfang des Trimesters aus dem Laden in der gewinkelten Gasse zurück in die Sonne getreten war, um 35 Pfund ärmer, dafür ausgestattet mit einem Talar, einem Barett und einem schwarzen Krawattenbändchen, wünschte ich mir, ich könnte tatsächlich auch noch zu Mr. Ollivander gehen, um mir einen Zauberstab zu besorgen. Denn mir war klar, dass ich ein bisschen Magie, ein bisschen Glück oder gewogenes Schicksal würde brauchen können, um in diesem verzauberten Universum zurechtzukommen.

Text: Theresa Parstorfer

Foto: Privat