250 Zeichen Wut: Smalltalk

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Smalltalk könnte so einfach sein, wenn es diese Leute nicht geben würde, die dann anfangen ununterbrochen von sich selbst in den besten Tönen zu berichten.

Auf Partys lieber nicht reden, als mit Fremden, war das Muster. Als ich es geschafft habe mir eindringlich einzureden, dass die belanglosen Gesprächsklauseln ein wichtiger Mechanismus im Kennenlernen sind, verwickle ich in einer WG-Küche ein Mädchen mit „Was machst du?“ in ein Gespräch und sie erzählt mir fünf Minuten lang ohne Gegenfrage, wie toll sie sei. Smallltalkern wird es auch nicht leicht gemacht. 

Text: Hubert Spangler

Fragen über Fragen – Verena Lederer

Vor einem fast fremden Menschen halb nackt zu sitzen erfordert Mut, sagt Musikerin Verena Lederer, die als Model für unsere Ausstellung

“10 im Quadrat -Reloaded” porträtiert wurde. Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt.

Du stehst mit deiner
Kunst öfter mal vor Publikum. Wie war es für dich, so oft fotografiert zu
werden?

Vor der Kamera zu sein ist natürlich anders, als vor Publikum
im Mittelpunkt zu stehen. Es geht in dem Moment nur darum, wie du auf dem Foto
aussiehst. Deine Kunst kann dir da nicht helfen. Das kann manchmal einfacher
sein, manchmal schwieriger. Diese Unterschiede habe ich sehr stark gemerkt. An
manchen Tagen fühle ich mich schön, an manchen eben nicht. Wenn ein Shooting an
einem schlechten Tag vereinbart ist, ist die Selbstsicherheit dahin.

Hat das Mut
erfordert?

In manchen Situationen (oben ohne!) hat das zuerst Mut
erfordert. Vor einem fast fremden Menschen halb nackt zu sitzen erfordert
Überwindung. Auch hatten wir ja ein Partnershooting mit einer Person, die wir
bis dahin noch nicht kannten. Das war für mich sehr ungewohnt. Man wusste ja
nicht: Wo liegt die Komfortzone des anderen? Wie bewegt sich die andere Person
vor der Kamera? Findet sie mich überhaupt sympathisch oder eher nicht? Diese
Fragen verunsichern enorm.

Bist du auch mal in
andere Rollen geschlüpft? / Hast du andere Seiten an dir kennengelernt? Welche
Begegnung hat dich am stärksten geprägt?

Beim Oben-Ohne-Shooting (dämliches Wort!) bei Alina war ich
komischerweise gar nicht aufgeregt. Das hat mich total überrascht. Da dachte
ich nur: Das ist halt mein Körper. Ich wusste nicht, dass ich mich so wohl
fühlen kann in so einer verletzlichen Situation. Bei Alina wurde aus dem
Shooting zusammen mit Paul Kowol, der am selben Nachmittag fotografiert wurde,
ein ganzer Tag voller interessanter und persönlicher Gespräche, Wein, Chips und
sehr viel Lachen. Das ist eine wirklich schöne Erinnerung.

Bist du auch mal an
deine Grenzen gestoßen?

Bei Julie habe ich mich komplett mit Heidelbeereis
eingesaut. Merke: Nicht mit bloßen Händen in eine Eispackung fassen und dann
das Zeug auf Körper und Gesicht verteilen. Das war dermaßen kalt! Erst eine
halbe Stunde später konnte ich meine Finger wieder spüren. Aber Spaß hat das
natürlich gemacht. Das hat mir gezeigt: Öfter das innere Kind rauslassen und
einfach rumblödeln – das sollte man öfter in den Alltag einbauen.

Brauchen wir mehr Vernetzung
in München?

Kontakt zwischen Künstlern aller Art kann nie schaden! Oft
hält man sich an die Personen, die man bereits kennt. Aber gerade die Personen außerhalb
des eigenen Freundeskreises sind die, die einem neue Impulse mit auf dem Weg
geben können. Ich finde, München ist sehr klein und sehr stark vernetzt.
Trotzdem helfen interdisziplinäre Veranstaltungen wie diese, Künstler
verschiedener Sparten mehr in Kontakt zu bringen. Davon kann es nicht genug
geben.

Foto: Julie March

Zeichen der Freundschaft: Ängste zweier Romantiker

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Viele Freundschaften zerbrechen, sobald man nicht mehr gemeinsam zur Schule geht. Doch das ist nicht so bei unserer Autorin und ihrer Freundin Tanja. Die Gesprächsthemen bleiben trotz Distanz die selben: Ängste, Romantik, Träumerei.

„Das macht mir `ne verdammte Angst.“ Schweigen. Langgezogenes,
ehrliches Schweigen. Wir halten für einige Sekunden Blickkontakt, dann fällt
Paul betrunken durch die Tür in den Gang. Wir lachen. Paul ist sich trotz
seiner Trunkenheit bewusst, dass er gerade fehl am Platz ist. Mit einem
gelallten „Sorry Mädlz, ich geh schong“, verlässt er uns.

Es kommt mir so vor, als wäre kein Tag vergangen, seit dem wir
alle grinsend unsere Abiturzeugnisse in den Händen hielten. Genau wie zu
Oberstufen-Zeiten treffen wir uns an diesem Freitagabend zu Hause bei Jean und
plündern seinen heiß geliebten, aber nicht geizig behüteten Weinvorrat. Die
gleichen Freunde tanzen auf der Couch, dieselben übertreiben es ein wenig, noch
immer werden zu meinem Bedauern Vegetarier und Veganer belächelt und auch kommt
es erneut zu weinlastigen Gesprächen im Hausflur. Man tauscht Gedanken und
Ängste, Wünsche und andere Dinge aus, die man sonst lieber für sich behält.
Vielleicht sind die Gespräche heute ein wenig erwachsener, jetzt, da wir alle
über ganz Deutschland verstreut leben. Ich blicke der frisch gebackenen
Passauerin, die mir gegenüber steht, in ihre kleinen braunen Augen. Ein Gefühl
von Heimat macht sich bemerkbar.

Kennengelernt haben Tanja und ich uns zu Schulzeiten. Man hielt
lange Zeit Distanz, bis sich die Wege im Bio-Kurs kreuzten, man pubertäre
Vorurteile überwinden konnte und zwischen Klausurenphasen und Weinabenden zueinander
fand. Es folgten geschwänzte Bio-Stunden, anstatt Bio-Lern-Stress, dann
biologischer Hormon-Gefühls-Stress. Bei Kaffee und Bagels erzählten wir uns
Woche für Woche von momentanen Jugendsorgen. Tanja lehrte mich wie niemand
sonst, dass es gar nicht so schlimm ist, hin und wieder voll und ganz Mädchen
zu sein. Sie zeigte mir, dass Liebesgedichte eigentlich ganz nett sind und dass
Romantik nicht zwingend Kitsch bedeutet. Doch in allererster Linie machte mir
Tanja bewusst, was Schwäche zeigen bedeutet. Und wie es ist Ängste zuzulassen.
Nämlich stark zu sein. Ehrlich.

Wir stehen zu zweit im uns so vertrauten Hausflur und nippen
wortlos an unseren Weingläsern. Noch einmal: „Das macht mir wirklich `ne verdammte Angst.“ Sie
nickt. Verständnis. Wir beide wollten aus der Enge unserer Kleinstadt raus.
Wollten fliehen, wollten weit weg laufen, die Augen öffnen, atmen. Die frische
Luft tut verdammt gut, doch wir hüten uns vor zu schnellem Laufen. Wenn man zu
schnell fort sprintet, nichts mehr als raus will, vergessen will, dann bekommt
man manchmal Reizhusten auf halber Strecke. Dann muss man pausieren.

Also pausieren wir an diesem Freitagabend. Wir sprechen über neue
Städte, neue Menschen und neue Herausforderungen. Träumen von Spanien und
Indien, von einem Café am Rande der Welt und von Grapefruits zum Frühstück.
Sprechen von Karrierefrauen und Großfamilien in zwanzig Jahren, WG-Partys und
Isar-Bier. Über viele Veränderungen. Erneut platzt jemand zur Tür herein. Wir
beide müssen grinsen. Ganz gleich, was noch auf uns zu kommen wird, manche
Dinge werden sich wohl nie ändern: Dieselben Freunde tanzen auf der Couch,
immer noch Gespräche über Ängste und Romantik im Hausflur, die immer gleichen
lallenden durch die Tür herein Fallenden. Darauf ist Verlass.

Text: Anastasia Trenkler

Foto: Yunus Hutterer

Zeichen der Freundschaft – Felix

Zwei junge Schüler, die unterschiedlicher nicht sein können, werden zur Strafe nebeneinander gesetzt. Aus der Strafe wurde Freundschaft. Eine weitere Kolumne aus unserer Reihe “Zeichen der Freundschaft”.

Okay. Ich habe gequatscht. Ohne Pause. Okay. Die
Kicheranfälle sind nicht einfach zu ertragen gewesen. Aber musste mich mein
damaliger Französischlehrer deswegen umsetzen? Ausgerechnet neben stillsten Jungen
meiner Klasse. Er: Nachzügler. Morgens immer zu spät. Ein Jahr älter als wir
alle und viel zu leise, um mich erkennen zu lassen, was in seinem Kopf hinter
den blonden Wuschelhaaren so los war. Ich: Das Gegenteil.

Mit dem hatte eh niemand etwas zu tun und die geschwätzige
Schülerin aus der zweiten Reihe und er waren viel zu unterschiedlich, um
Gesprächsthemen zu finden. Jetzt würde auch ich wohl endlich Ruhe geben.

Nach nur wenigen Tagen begann unser Französischlehrer zu
bereuen, denn der stille Blonde und die laute Kleine hatten sich angefreundet
und machten ihm das Leben nun zur Hölle.

Heute sitzen wir noch immer an derselben Bank. Im
Oberstufenkurs. Einige Monate vor den Abiturprüfungen. Was damals in der
siebten Klasse als Unterrichtsstörung begann, hat sich heute zu einer
Freundschaft entwickelt, die ich nie missen möchte.

Noch immer sind wir viel zu unterschiedlich und noch immer
schaffen wir es Gesprächsstoff für volle 90 Minuten einer Mathe-Doppelstunde zu
finden und wenn diese nicht ausreichen, sitzen wir nach Schulschluss oft bis
spät in die Nacht auf seinem Balkon und reden.

Ich erzähle ihm von meinen Beziehungseskapaden und er mir von
den durchgefeierten Nächten auf verschiedenen Goapartys.

Er versucht mich ernst zu nehmen, wenn ich schimpfend
berichte, dass meinem Freund mal wieder nicht aufgefallen ist, dass ich etwas
an meinen Haaren verändert habe. Ich erinnere ihn täglich an seine
Abgabetermine, weil in dem blonden Wuschelkopf ein viel zu großes Durcheinander
herrscht, um an Hausarbeiten und Klausurtermine zu denken.

Wir reden über Nagellackfarben und Tabakkosten. Über Sex und
über Liebeskummer. Über Politik und darüber, wie wir werden wollen, wenn wir
groß sind. Wir reden ständig und es fällt uns immer schwer,  einen Punkt zu setzen.

Doch auch wenn wir in zwei verschiedenen Welten leben und
unterschiedlicher nicht sein können, so finden wir uns trotzdem in warmen
Sommernächten auf seinem Balkon wieder. Wir trinken Kaffee, rauchen eine Kippe
nach der anderen und verstehen uns, verstehen einander.

Wäre ich nicht so geschwätzig gewesen und er nicht so ruhig,
wären wir nicht so unterschiedlich gewesen und wären wir es bis heute noch
immer nicht, dann wäre diese Freundschaft nie zu dem geworden, was sie heute
ist. Und ich hoffe auch Jahre später noch auf dem kleinen Balkon zu sitzen und
dann über Masterarbeit und WG-Probleme zu quatschen mit Kaffee in der Hand und
dem Grinsen einer Siebtklässlerin im Gesicht.

 Von: Anastasia Trenkler