Geek-Show

Wer den Laden von Raphaelle Augsberger betritt, taucht in eine knallbunte Science-Fiction-Welt ein. Es ist ein Zufluchtsort für Menschen, die schon rein optisch auffallen – und mit ihren Hobbys woanders verloren sind.

Ein Stoff-Yoda. Leucht-Essstäbchen im Stil von Starwars-Schwertern. Ein Chewbacca-Schlafmantel. Wer das auf seiner Wunschliste hat, wird sich im Item Shop am Isartor vermutlich wohl fühlen. Schon beim Eingang in den Laden hat man das Gefühl, in eine knallbunte Science-Fiction-Welt einzutauchen. In eine Welt, in der man sich als Nicht-Nerd etwas verloren fühlt. Was ist die rechteckige schwarze Box da auf dem Tisch? „Ein Fluxkompensator“, sagt Raphaelle Augsberger, 26, leicht tadelnd, leicht erstaunt. „Aus Zurück in die Zukunft!“

Seit eineinhalb Jahren betreibt Raphaelle den Item-Shop. Hier gibt es alle erdenklichen Fanartikel – von Doctor Who bis My Little Pony. Ein Comic-Zubehörshop ohne Comicbücher. Ein Gamer-Laden ohne Videospiele – und ein Zufluchtsort für Menschen, die schon rein optisch auffallen. „Hier sind wir alle irgendwie anders“, sagt Raphaelle. Sie nestelt am linken Handgelenk, an dem sie statt einer Uhr drei bunte Sterne als Tattoo trägt. Ja, ihre Kunden sind manchmal tatsächlich ein bisschen speziell. Einige kommen in buntem Anime-Kostüm in den Laden. Oder nennen sich „Pink Gandalf“ und tragen einen rosaroten Bart bis zur Hüfte. Oder wollen die Umkleidekabine in Raphaelles Laden kaufen – die blaue Telefonbox aus Doctor Who, die in der Serie durch Zeit und Raum reisen kann. Für Raphaelle ist all das ganz normal. Wobei, normal ist „offensiv“, wie sie sagt.

Ihre Kunden sind oft Vorurteilen ausgesetzt – gerade, weil sie aus der Norm zu fallen scheinen. Sie werden belächelt, gemieden und als „Nerds“ und „Geeks“ verspottet. Diese Begriffe, meist abwertend verwendet, will man im Item Shop positiv umdeuten und mit Stolz tragen. „Ein Nerd ist jemand, der einen massiven Wissensstand hat, was Computer, Technik und Mathematik angeht“, erklärt Raphaelle. „Ein Geek interessiert sich mehr für TV-Serien, Videospiele und Comics.“ Im Item Shop soll ihr Zielpublikum merken, dass es mit solchen Interessen nicht alleine ist.

Neuerdings gibt es Geek-Dating.
Eine Art Speed-Dating für Leute,
die Klingonisch sprechen

Nerds und Geeks sind keinesfalls kommunikationsscheu, sagt Raphaelle. Sie würden oft sogar mehr kommunizieren als andere – nur eben auf einer anderen Ebene. Ihr Smalltalk kreist dabei nicht ums Wetter oder die Familie. Dafür kommen sie schnell über das Zelda-Album ins Gespräch, das der andere in der Hand hält. Raphaelle nennt ihre Kunden „Auserwählte“, ihre Verkäufer „Verbündete“. Man sei eine große Community und tausche sich häufig aus. Nicht anonym im Internet, sondern real vor Ort.

Viele ihrer Kunden hätten in der „realen Welt“ oft Schwierigkeiten damit, einfach mal auf eine Party zu gehen und Kontakte zu knüpfen. Deshalb hat Raphaelle das Geek-Dating ins Leben gerufen – eine Art Speed-Dating für Leute, die Klingonisch sprechen. Oder eine zukünftige Hochzeit im Game-of-Thrones-Stil planen. Bei Kerzenschein und Salzstangen unterhalten sich dann schon mal 80 Leute über Zelda-Charaktere und Herr der Ringe. Raphaelle gibt online Tipps zur Vorbereitung. Zum Beispiel: Frag dein Gegenüber doch nach seiner Lieblings-Konsole. Oder: Iss keinen Knoblauch. Das klingt erst mal bevormundend. Doch viele der Teilnehmer hätten nun mal ernsthafte Schwierigkeiten, auf einer Party jemanden anzuflirten, sagt Raphaelle. Für Autisten oder Soziophobie-Patienten gibt es deshalb auf dem Geek-Dating extra einen Help-Button. „Das ist natürlich ein Stigma“, sagt Raphaelle. Aber es kann auch helfen, weil der Mensch gegenüber gleich weiß: das Gespräch anfangen, Hilfestellung geben.

Raphaelle hat selbst eine Form des Autismus, eine Art ADHS. „Gefühlsmäßig distanziert mich das sehr von der Gesellschaft“, sagt sie. Raphaelle geht wenig aus. Denn störende Nebengeräusche kann sie nicht ausblenden. Die Schritte vorbeigehender Passanten hinter der geschlossenen Tür nimmt sie genauso überdeutlich wahr wie die Interviewfragen. Das lenkt ab – und lässt sie oft unkonzentriert wirken, sagt sie, auch wenn das im Gespräch kaum auffällt. Gerade in der Schule habe das ihre Mitschüler völlig irritiert.
 Im Item Shop ist das anders: „Genauso wie ich die Leute hier akzeptiere, akzeptieren sie mich“, sagt sie. „Sie gucken mich nicht komisch an, weil ich mich im Gespräch wegdrehe.“ Wird es ihr zu viel, kann sie immer noch ins Lager fliehen. Das gilt auch für eine Asperger-Autistin in Raphaelles Fünf-Personen-Team. „Sie ist hier nicht außergewöhnlich“, sagt Raphaelle. „Alle unserer Mitarbeiter haben eine sehr eigene Marke. Bei ihr ist der Vorteil, dass sie ein Wort dafür hat.“ Angefangen hat der Item Shop auf Conventions. Dort hat Raphaelle früher Radiergummis und Stickerhefte verkauft. Mit ein paar Jobs haute es nicht so richtig hin: Friseurin, Moderatorin, Künstlerin. Irgendwann hatte sie Lust, sesshaft zu werden mit ihrem Shop – und konnte in eine leer stehende Immobilienanlage von Verwandten nahe dem Isartor einziehen. Die Eltern haben ihr sogar das Erbe vorgestreckt. Aber noch ist sie verschuldet, voraussichtlich bis nächstes Jahr.

Raphaelle wirkt wie jemand, der alles im Griff hat: selbstbewusst, sympathisch. Die lockigen roten Haare sind in einen Zopf geflochten. Um den Hals baumelt an einer Kette ein goldener Schlüssel – der Endboss-Schlüssel aus Zelda. So nennen sie ihre Kunden auch oft: Endboss. Viele davon sind Stammgäste. Manche kommen einmal pro Woche und stöbern im Sortiment – täglich gibt es ein neues Produkt, meist importiert aus den USA, Japan oder England, manchmal auch aus Deutschland. Einige der Kunden sind weit gereist: „Wir haben jeden Tag jemanden im Shop, der mindestens 300 Kilometer hinter sich hat“, sagt Raphaelle.

Denn neben einem Fanshop in Neuper-lach, gibt es in der Umgebung nichts Vergleichbares. Die Kunden bleiben dem Unternehmen oft treu. 50 „Helferlein“, wie sie sich nennen, arbeiten regelmäßig freiwillig mit. „Ohne die könnten wir das nicht stemmen“, sagt Raphaelle. Als eine Mitarbeiterin im Koma lag, ließen ihr die Kunden so viele selbstgezeichnete Bilder und Briefe zukommen, dass die Wand im Krankenhauszimmer irgendwann voll war.

Elsbeth Föger

Foto: Sergej Dagda