Geborgen im Weltall

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Wenn eine halbe Tafel Schokolade verschwunden ist, weiß Mama: Mein Bruder Sebastian war zu Hause. Das passiert in letzter Zeit nicht besonders häufig, er ist zu seiner Freundin ein paar Dörfer weitergezogen.

Damit sind die Kinder aus dem Haus; es bleibt ein Computerzimmer und ein Ausziehbett. Wir kommen an Wochenenden zum Grillen und Kartenspielen. Das ist nicht ungewöhnlich, ich glaube das macht man so. Merkwürdig ist nicht, was wir tun, wenn die Familie zusammenkommt, sondern was wir tun, wenn wir wieder getrennt sind.

In ihrem Zimmer sehen sich Sebastian und seine Freundin abends alte „Star Trek“-Folgen an. Unsere Eltern sehen sich alte „Star Trek“-Folgen an. Und ich sehe mir auch alte „Star Trek“-Folgen an. Ich habe zwar keinen Fernseher, aber seit meine Familie eine DVD-Box besitzt, fühle ich mich so weit weg von zu Hause, dass ich im Internet nach verwackelten Weltraumschlachten suche. Dann angle ich nach meinem Teddybär und summe die Titelmelodie mit. Mein Vater krümelt Salzstangen in die Sofaritzen. Sebastian redet genau dann, wenn man gerade zuhören möchte. Es ist wie früher, nur dass wir nicht mehr auf einem Sofa sitzen. Das Raumschiff Voyager versucht immer noch zurück zur Erde zu fliegen, nachdem die Drehbuchautoren es am anderen Ende der Milchstraße stranden ließen. Und wir können das Gefühl der Fremde noch immer nachvollziehen – wenn man von Sachsen nach Bayern zieht, erlebt man Ähnliches: Als ungetauftes Kind in oberbayerischen Volksschulen ist man außerirdisch.

Als mein Freund nach Hause kommt, kauern Teddybär und ich noch immer vor dem Bildschirm. Ich werde ein bisschen verlegen, als er mitgucken möchte. Aber er kommentiert das Geschehen immer gerade im falschen Moment und ich fühle mich plötzlich irgendwie zu Hause. Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.