Finn Schorlau macht aus leeren Flächen Ausstellungsräume (SZ Plus)
Von Laurens Greschat
München Lebt. Menschen und mehr.
Laura Kansy, Mira Sacher, Pia Richter und Daniel Door haben in der Au eine kleine Galerie übernommen – ohne jede Vorkenntnis. Sie wollen Kunst nahbarer gestalten. Und sie wollen zeigen, dass es dafür auch in einer teuren Stadt mit wenig Platz für junge Menschen Räume geben muss.
Ein Fuß in Turnschuhen tastet sich vorsichtig ins Bild. Über die steilen Eisenstufen, die vom ersten Stock herunterführen. Halb Leiter, halb Treppe – von der Seite betrachtet ein Kunstwerk an sich. Sich vom Erdgeschoss in dem winzigen Haus im Innenhof der Ohlmüllerstraße 7 in den ersten Stock und zurück zu schlängeln, ist schwierig. Neun Quadratmeter Grundfläche hat das Häuschen und an diesem Abend ist jeder Quadratzentimeter davon inklusive des Hofs voll mit Menschen. Nachdem die Treppe geschafft ist, geht der Balanceakt weiter. Mit Bier in der Hand zwischen Gasofen, Weingläsern auf der Küchenzeile und weiteren Körpern hindurch – viele schwarze Kleidungsstücke, viele ausgefallene Brillengestelle, individuelle Haarschnitte.
Kenner der Münchner Kunstszene wissen, dass sich in der Au schon seit 2011 eine „Waschküche für Kunst, Ästhetik und Poesie“ verbirgt, das „Prince of Wales“, eine winzige Galerie auf zwei Etagen. An diesem Abend jedoch ist das zugehörige Klingelschild provisorisch überklebt. „Chantall“ steht jetzt dort. So nennen die vier neuen Betreiber die Galerie. Die Neuen, das sind: Laura Kansy, Mira Sacher, Pia Richter, Daniel Door. Niemand von ihnen hat Erfahrung mit der Führung einer eigenen Galerie, alle vier finden die Vorstellung, dies nun mit Mitte-Ende 20 zu tun, „schon sehr merkwürdig“, sagt Pia und beißt sich schüchtern lächelnd auf die rot geschminkten Lippen. Noch dazu, weil „niemand von uns streng genommen aus der Bildenden Kunst kommt“, sagt Mira. Laura studiert Kamera an der Filmhochschule, Pia ist Theaterregisseurin, Daniel Musiker und Mira hat zumindest Kunstvermittlung studiert. Nach ihrem Studium in Wien, ist die gebürtige Wasserburgerin vor einem Jahr zurück in die Heimat gezogen. Im Vergleich zu Wien sei ihr München schon immer lieber gewesen, die Kunstszene in Wien habe sie immer als ein wenig kalt empfunden. „Natürlich kommt es überall drauf an, wen man kennt, um sich angenommen zu fühlen, aber irgendwie ist der Anschluss in München einfacher.“
Dennoch, was sie schon immer ein wenig gestört habe, sei, dass man sich als Nicht-Künstler oder Nicht-Kunst-Kenner in Galerien oft ein wenig außen vor fühlen würde und dass es vor allem als junger Mensch in München schwer ist, in der Kunstszene ernst genommen zu werden. Diesen Eindruck teilt auch Daniel. Als er Mira vor einem Jahr kennenlernte, konnte er sich schnell gut vorstellen, mit ihr zusammen so etwas wie eine Galerie zu eröffnen, in der man Disziplinen und Ansätze mischen könnte, um Kunst dadurch vielleicht ein wenig nahbarer zu gestalten.
Das Prince of Wales kannte Daniel. Als er erfuhr, dass „die Jungs aufhören wollten, hat sich das alles so ergeben“. Jonas von Ostrowski und Johannes Walter, zwei der früheren Betreiber, sind an diesem Abend auch da. Wie es ist, jetzt hier zu sein? Sie müssen sich erst einmal ein wenig fangen. Ein Bier aufmachen. „Ist schon ein gewichtiger Moment für uns“, sagt Johannes. „War echt ne lange Zeit“, fügt Jonas hinzu. „Aber die vier werden das bestimmt toll machen und uns war wichtig, dass das hier weitergeht und nicht einfach ein Atelier oder ein Abstellraum wird.“
Daniel ist ein ruhiger, kleiner Mann mit dunklem Bart und ebenso dunklen Haaren, die ihm zu einem halben Zopf geflochten bis weit über die Schultern reichen. In seiner Rede legt er die erstaunlich kleinen Hände wie eine Schale vor der Brust zusammen und berichtet davon, wie begeistert er von Anfang an von dem Häuschen mit all den verwinkelten Winkeln gewesen war. „Der geilste Ausstellungsraum in der Stadt“, sagt einer der Besucher. Xenia Fubarev, die Künstlerin, deren Bilder die erste Ausstellung des „Chantalls“ bilden, sagt etwas Ähnliches. Sie habe viel Zeit im Hof verbracht, sich den Putz und die Beschaffenheit des Mauerwerks angeschaut. Entstanden sind elf Leinwände, die nun im Haus ausgehängt sind und die verschiedenen voneinander isolierten Eigenschaften der Mauern einfangen wollen. Immer in Grau- und Weißtönen, immer abgestimmt auf das, was sonst im Raum passiert, was viel ist, allein schon aufgrund der Tatsache, dass da so viele Winkel und Ecken und Engpässe sind, die sich auf insgesamt 22,491 Quadratmetern breitmachen wollen.
Das Austarieren von Extremen scheint das Thema der vier jungen Galeriebetreiber zu sein. In einer teuren Stadt mit wenig Platz für junge Menschen, Kunst in einen winzigen Ausstellungsraum zu pressen, mitten in einer Gegend, „die eigentlich Wohngebiet ist“, scheint an sich schon extrem zu sein, sagt Pia. Auch das Wort „Interdisziplinarität“ fällt immer wieder – auch das fehle in München. Es geht ihnen um die Überwindung von Grenzen und das gleichzeitige Ausloten von Möglichkeiten in einem so begrenzten Raum. Auch wenn es „ganz klassisch“ mit einer bildenden Künstlerin losgeht, soll dies nur den Auftakt und gleichzeitig die Umgebung darstellen, in der beispielsweise gleich in dieser Woche eine performative Lesung stattfinden soll. Pia ist gerade damit beschäftigt, „Die Verwandlung“ von Franz Kafka zu inszenieren und am Donnerstag soll eine Lesung mit einer Schauspielerin und ihr stattfinden – dazu gibt es laut Programm Suppe.
Und der Name? Mira lacht. Ja, daran wäre es beinahe gescheitert, sagt sie. Daniels Eltern hätten ihn Chantall genannt, wäre er ein Mädchen geworden. „Wir sind drei Mädels und ein Junge und irgendwann dachten wir, es wäre lustig, die Galerie so zu nennen, wie der Junge nicht heißt.“
Text:
Theresa Parstorfer
Foto: Anneke Maria Huhn