Tim Schwarzmaier, Katharina Schwarzmaier und Lea Kalbhenn sind als junge Synchronsprecher gut im Geschäft, vor allem wegen ihrer Kontakte. Für die Zukunft müssen sie aber auch über andere Berufsfelder nachdenken.
Es ist eine Filmszene, die im ersten Moment nur mäßig lustig ist: Eine junge Frau namens Rosie fragt eine andere nach deren Bruder Alex. „Der kommt in circa drei Minuten“, antwortet die Schwester gelangweilt. Lautes Stöhnen dringt kurz nach diesem Satz durch die dünnen Zimmerwände. Auf Rosies Gesicht spiegelt sich die Erkenntnis, was genau in drei Minuten passieren sollte, der Holzhammer drischt den Witz in die Köpfe der Zuschauer.
Die viel skurrilere Situation aber liegt tiefer in der Sequenz aus der aktuellen Romantikkomödie „Love, Rosie – Für immer vielleicht“ und war von den Drehbuchschreibern nicht beabsichtigt: In der deutschen Synchronisation wird die männliche Hauptfigur Alex von Tim Schwarzmaier, 24, gesprochen, seine Geliebte von seiner Schwester Katharina Schwarzmaier, 29. Und die Rolle von Alex’ Schwester, die die beiden beim Liebesspiel belauscht, übernimmt Lea Kalbhenn, 24, Tims Freundin im echten Leben. Ein verwirrendes Verwechslungsspiel in Shakespeare-Manier, geschrieben von der Vetternwirtschaft des deutschen Synchrongewerbes. Was absurd klingt, ist aber tatsächlich kein Einzelfall: „Auch in der aktuellen Serie ,Suburgatory‘ bin ich als Lisa mit Tim zusammen“, erzählt Katharina Schwarzmaier, „das passiert öfter.“
Eine – von privaten Hochschulen angebotene – Ausbildung zum Synchronsprecher haben alle drei nie gemacht– hauptberuflich im Job tätig sind sie trotzdem. Den Geschwistern Schwarzmaier ermöglichte ihr Vater den Zugang zur Welt der Filmsynchronisation. Schon im Kindesalter schickte der Schauspieler und Sprecher Michael Schwarzmaier seine drei Kinder zu den ersten Castings – nicht ungewöhnlich in der Szene.
Geschätzt 80 Prozent der erfolgreichen Synchronsprecher unter 30 sind über ihre Familie eingestiegen, ob die Verwandten nun Regisseure, Cutter oder selbst Sprecher sind. „Familienkontakte sind immer noch zu beobachten“, bestätigt Martin Schowanek, Betreiber der Deutschen Synchrondatei. „Es lässt sich konstatieren, dass Beziehungen sehr wichtig sind.“ Auch bei der Rollenvergabe ist ein Netzwerk von Vorteil: „Es ist eine Mafia“, wie es Tim ausdrückt. „Man ist sozusagen in der Familie drin. Die haben eine Rolle und überlegen sich: Wer könnte passen? Und natürlich denken sie als erstes an Leute mit Erfahrung, die sie kennen – erst recht bei Hauptrollen.“
Mit vielen gleichaltrigen Sprechern aus „Synchronfamilien“ sind die Geschwister in der familiengeprägten Szene so zusammen aufgewachsen. Bis heute hat sich ein Großteil ihres Freundeskreises aus beruflichen Kontakten von klein auf entwickelt. Nicht selten spricht man mit dem besten Freund für dieselbe Rolle vor. Tagsüber ist man also Konkurrenz, abends geht man zusammen trinken.
Mit 24 Jahren kann Tim Schwarzmaier nun bereits auf 19 Jahre als Synchronsprecher zurückblicken, in denen er 185 verschiedenen Protagonisten in Spielfilmen und Serien seine Stimme geliehen hat. Seine Schwester kommt auf 83. Als Kind trat er mit Rollen bei „Unser Charlie“ und in Werbeproduktionen auch kurzzeitig in Papas Fußstapfen als Schauspieler. „Ich habe zum Beispiel für bayerischen Käse Werbung gemacht – obwohl ich Käse hasse. Ich war eben jung und brauchte das Geld“, erzählt Tim und lacht. Das Käsebrot spuckte Tim nach jeder Aufnahme hinter den Zaun. Die Werbeauftritte verboten ihm die Eltern in der Mittelstufe, damit er sich wieder ausreichend auf die Schule konzentriere. Nur einzelne Synchronaufträge wurden nicht geblockt, um in Übung zu bleiben.
Tims bis heute bekannteste Sprechrolle ist die als weltberühmter Zauberlehrling Harry Potter. Ausgewählt hat ihn im Casting sogar J.K. Rowling persönlich. Zaubersprüche aufsagen konnte er jedoch nur für zwei Filme: „Daniel Radcliffe war zwei Jahre älter als ich und hat dann plötzlich pubertiert – ich aber nicht. Also musste die Stimme leider angepasst werden“, erklärt Tim. Tims Erfolg hat das aber keinen großen Abbruch getan: Von Disney-Produktionen wie „Das Dschungelbuch“ und „High School Musical“ über eine langjährige Hauptrolle in „Pokémon“ bis „How I Met Your Mother“ sind Tims Aufträge mit ihm gereift. In der Serie „Game of Thrones“ übernahm er kürzlich sogar zwei verschiedene Rollen: „Meine Figur vom Beginn kam in der zweiten Staffel nicht mehr vor, in der dritten Staffel dafür ein Schauspieler, den ich in anderen Produktionen schon gesprochen habe. Und plötzlich tauchte die Figur vom Beginn wieder auf und ich habe beide zeitgleich gesprochen, einmal sogar in der gleichen Folge!“
Auch Katharina Schwarzmaier hat sich schon quer durch die Fernseh- und Kinolandschaft gesprochen. Für sie ist es ihr „Traumjob“, aber nur, wenn man viel zu tun hat. Die Aufträge und Castingeinladungen werden über die Aufnahmeleiter vergeben. In deren Gedächtnis muss man sich also festsetzen, ein langwieriger und konservativer Prozess.
Man muss „Klinken putzen“, sagt Berufsneuling Lea Kalbhenn. Ihre Aufträge werden nach einem Jahr harter Arbeit nun langsam mehr – davon leben kann die 24-Jährige aber noch nicht. Was sonst in Fernsehen und Radio oft als Makel abgetan wird, half Lea, in der Branche einzusteigen. Ihr Markenzeichen: wasserfallartig-schnelles Reden. Zuvor war sie Laienschauspielerin und Fernsehmoderatorin für „Pokito TV“ und „The Dome“. Über ihre Schauspielagentur kam sie zum ersten Synchron-Vorsprechen für die Disney-Serie „Phineas und Ferb“ – für eine Nebenrolle gecastet, ergatterte sie die weibliche Hauptrolle: Phineas Schwester Candace, ein Plappermaul. Mittlerweile taucht Lea Kalbhenns Stimme in 28 Serien und Filmen auf. In „Annie“, der im Dezember in den Kinos anläuft, auch erstmals eine Musicalrolle.
Leas Karriere beginnt spät. Zu spät? Die meisten Rollen sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Je älter man wird, desto weniger gibt es zu tun. Wer dann noch mit Sprechen sein Geld verdienen will, muss meist umdenken. Synchronbücher zu schreiben und schließlich Synchronregisseur werden, ist etwa für Tim eine Zukunftsidee. Seine Schwester setzt auf die Schauspielerei. Und Lea hat Medienmanagement studiert – vielleicht nicht so spannend, aber garantiert ohne Verwechslungsgefahr. Elisabeth Kagermeier