Freier Fall und Frühlingsgefühle

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Es gibt ein Accessoir, das eine gute Wohnung unbedingt braucht: einen Balkon. Denn Balkone sind beliebt. Balkone sind einzigartig. Balkone sind unersetzlich. Vor allem wenn die Sonne scheint. Dann könnte man sich natürlich auch in einem Park niederlassen – aber das ist nicht dasselbe.

Jetzt, da sich der Frühling ankündigt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man hat einen Balkon oder man hätte gern einen Balkon. Gerade die ersten Sonnenstrahlen im Jahr wecken das Bedürfnis, einfach alles Menschenmögliche unter der Sonne auch wirklich im Sonnenschein zu verrichten. Und genau hier kommt der Balkon ins Spiel. Ein Balkon ist super, weil man Aktivitäten, die man nicht einmal in den Englischen Garten verlegen würde – so wie das Schneiden von Zehennägel und das Schälen von Kartoffeln – mühelos dort verrichten kann. In der Stadt muss man sich dazu lediglich einen leichten Tunnelblick zulegen, um davon absehen zu können, was die Nachbarn auf ihren Balkonen so treiben.

Aber so einen Balkon hat leider nicht jede Wohnung. Diese Kolumne zum Beispiel schreibe ich im Wohnzimmer, obwohl die Sonne scheint. Ich habe ehrlich versucht, sie im Englischen Garten zu schreiben. Dabei bin ich nur auf einen weiteren Vorteil des Balkons gestoßen: Sie sind frei von Fernsehteams. In den Grünanlagen deutscher Großstädte, so mein Gefühl, sind dagegen zurzeit mehr Fernsehteams, die Frühlingsgefühle dokumentieren wollen, als Menschen, die Frühlingsgefühle haben. Und wenn man es nicht schnell genug schafft, als Abschreckungsmanöver den Bimsstein rauszukramen und mit der Pediküre zu beginnen, heimst man sich einen Auftritt als sonnenhungriger Bundesbürger in den 20-Uhr-Nachrichten irgendeines Privatsenders ein. Auf einem Balkon wäre das nicht passiert.

Leider kann man sich auf Balkone auch nicht immer verlassen. Marcel, zum Beispiel, war so blauäugig zu glauben, er würde immer einen Balkon an seiner Wohnung haben. Also, nicht an allen Wohnungen, die er jemals bewohnen würde – für die Art von Naivität gibt es schon kein Wort mehr! Nein, aber er war vertrauensselig genug, zu glauben, dass eben der spezifische Balkon an seiner Wohnung immer da sein würde. Tja, falsch gedacht! Eines Morgens, als er aufsteht, ist der Balkon verschwunden. Aber keine Sorge, die Geschichte geht gut aus. Marcel hat seinen Balkon sehr schnell wieder gefunden: Er lag nur ein Stockwerk tiefer im Hof. Bei solchen (freien) Fällen erlischt übrigens die Garantie, die ich oben gegeben habe: dass Balkone eine Fernsehteam-freie Zone seien.

Nur so nebenbei: Habe ich eigentlich erwähnt, wie grandios Terrassen sind? Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.