Als 2022 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, beschlossen die Designstudenten Anastasia Litwinow und Robert Kwaß, aktiv zu werden – um zu helfen, ihre eigene Herkunft zu hinterfragen und um Geflüchtete zu porträtieren. Nun ist aus ihrer Abschlussarbeit das Buch „Zuflucht & Solidarität“ entstanden.
Schlagwort: flüchtlingshilfe
„Ich bin ein Chaos-Kopf“
Khadija Diedhiou vermisst München, weil die Stadt ihr Ruhe gibt
Neuland: München integriert
Der Verein Münchner Freiwillige- Wir helfen E.V. organisiert und koordiniert die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in München. Auch weil sich dort so einiges getan hat in den letzten Monaten wird zu Beginn des kommenden Jahres ein Ideenkongress mit dem Namen “München Integriert” organisiert.
München ist bunt. Viele Geflüchtete, die während des vergangenen Sommers hier willkommen geheißen wurden, haben inzwischen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz gefunden und sind nicht mehr auf erste Hilfe angewiesen.
Dadurch ergibt sich auch für ehrenamtlich Engagierte eine ganz neue Situation. Der gemeinnützige Verein Münchner Freiwillige- Wir Helfen plant deshalb den Ideenkongress München Integriert, um „die vielen jungen Leute mit Ideen untereinander zu vernetzen“, sagt Marina Lessig, 27, die im vergangenen Sommer die Arbeit am Hauptbahnhof koordinierte. Wegen starker Änderungswünsche der Teilnehmer musste die Veranstaltung allerdings auf April 2017 verschoben werden. Nun soll es auch eine Podiumsdiskussion geben. München soll auch in Zukunft eine offene und bunte Stadt bleiben, sagt Marina.
Text: Louis Seibert
Foto: Verein
Haus gegen Dose
Bestes Geschäftskonzept aller Zeiten? BWL-Student Philipp Christov (Foto: Schiwani Kakor) möchte mit Tauschgeschäften Reichtum anhäufen. Nicht für sich. Am Ende der Kette steht ein Eigenheim für Flüchtlinge – wenn er es schafft.
Von Theresa Parstorfer
Mit einem Dosentelefon fing alles an. Philipp Christov ist 23 Jahre alt, studiert in München im fünften Semester BWL, hat dunkles, perfekt gestyltes Haar und trägt ein sehr schickes, weißes Hemd. Der Kragen seiner schwarzen Jacke ist allerdings falsch herum eingeschlagen und wenn er lacht, wirkt er ein wenig wie ein kleiner Junge, der von einem Streich erzählt. Aus seiner Jacke holt er zwei Dosen, die mit einer Schnur verbunden sind. „Das hatte ich damals daheim, als mir die Idee kam, Sachen zu tauschen.“
Damals, das war im April dieses Jahres, und die Idee, Sachen zu tauschen, entstand, weil Philipp ausprobieren wollte, ob das „beste Geschäftskonzept aller Zeiten“ tatsächlich funktioniert. Ein beliebiger Gegenstand, eine beliebige Dienstleistung oder sogar eine Lizenz wird gegen irgendetwas anderes getauscht. Etwas von höherem Wert, im besten Falle.
Diese Idee ist nicht neu. Auch Philipp kannte die Geschichte von Kyle MacDonald, einem 25-jährigen Kanadier, der, angefangen bei einer überdimensionalen roten Büroklammer, ein Haus im kanadischen Kipling ertauschte, in dem er jetzt mit seiner Freundin lebt. Ein Jahr und 14 Tauschgeschäfte hat er dazu benötigt. Das Konzept, das derzeit in Form von MacDonalds Buch „One Red Paper Clip“ um die Welt geht, wurde auch in Deutschland schon kopiert. Der Student Max Raschke aus Osnabrück beispielsweise besitzt mittlerweile ein Cabrio.
Eine Eigentumswohnung in München für sich selbst hatte Philipp sich noch vor dem eigentlichen Projektstart einmal als Ziel gesetzt. Aber dann sei ihm aufgefallen, wie gut es ihm eigentlich geht und wie wenig er eine eigene Wohnung wirklich brauchen würde. „Ich meine, ich kann in irgendein Café gehen und mir was bestellen. Ich lege einen Geldschein aus Papier auf den Tisch und gut. Das kann sich nicht jeder leisten.“
Vielleicht wurde dieser altruistische Sinneswandel durch die Erzählungen eines Syrers beeinflusst, den Philipp während eines Sprachkurses in Bulgarien kennengelernt hatte. „Der hat mir Geschichten erzählt, die will man nicht hören“, sagt Philipp und blickt nachdenklich auf seine Hände, „da würde ich schon gerne helfen. Aber das geht eigentlich nur effektiv, wenn man wirklich viel Geld hat. Und das habe ich nicht.“
Dietmar Hopp sei sein Vorbild, sagt er. Der 1940 in Heidelberg geborene Unternehmer gilt als einer der reichsten Deutschen, und seine Stiftung unterstützt gemeinnützige Projekte vor allem in der Rhein-Neckar-Region. Philipp stammt aus Walldorf, einer kleinen Stadt in der Nähe von Heidelberg, und die Menschen dort hätten sehr von Dietmar Hopps Unterstützung profitiert. Neben Philipps Realschule gab es eine soziale Einrichtung der Stiftung „Anpfiff Leben“. Mit 17 Jahren hatte Philipp sogar einen Brief an Hopp geschrieben. Mit der Frage, wie man denn so erfolgreich werden könnte. „Ich war damals noch sehr jung, aber ich wollte die Gesellschaft irgendwie effizienter und smarter machen“, sagt Philipp. Auch wenn er sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern kann, weiß er noch, dass Hopps Antwort „sehr nett und persönlich“ war und lange Zeit als Motivation in Philipps Kinderzimmer hing.
Wenn Philipp sagt „ich wäre gerne erfolgreich“, dann klingt das nicht nach Münchner BWL-Student, der von Manager-Boni träumt, sondern einfach wie die objektive Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Geld und den Möglichkeiten, die es eröffnet. Er hätte gerne das Geld, um Dinge bewegen und zum Besseren verändern zu können. Aber dieses Geld hat er nicht.
Allerdings ein Dosentelefon, das hatte er. Damals im April. Oder besser: die Zutaten für ein Dosentelefon – zwei leere Dosen von den Kidneybohnen für das Chili vor ein paar Tagen und eine Schnur. Und dann noch den Mut und die Freude am Experimentieren, einfach auf die Straße zu gehen, und zu versuchen, dieses selbst gebastelte Kommunikationsmittel an den Mann oder die Frau zu bringen. Das hat er auch geschafft. Einen Friseurgutschein im Wert von 95 Euro hat er schon getauscht und wieder vertauscht. Mittlerweile befindet sich der Tauschwert bei 800 Euro, in Form eines handgefertigten, individualisierbaren Rucksacks.
Am Ende der Kette steht jetzt ein Haus für Flüchtlinge. Das wäre der „Traum“, sagt Philipp. „Ziel“ möchte er nicht sagen, weil das „gleich so fest“ klinge. Aber das Aufregende an seinem Tauschprojekt sei das Unvorhersehbare, das Abenteuerliche. Und hier ist er auch wieder der kleine Junge, der gerne spielt. Streiche, aber auch ein bisschen Theater. „Ich finde es super, die Reaktionen der Leute auszutesten, wenn sie auf der Straße einfach so angequatscht werden und ihnen ein Baby-Gipsabdruck-Set zum Tausch angeboten wird. Ich habe da auch keine Scheu.“
Dass er mit seinem Dosentelefon
keinen Krieg beenden wird,
ist Philipp bewusst
Seiner Familie hat er noch gar nichts von seinem Projekt erzählt. „Ich habe immer so viele Ideen. Das wissen die schon. Aber ich will diesmal nichts erzählen, bevor ich nicht wirklich etwas erreicht habe. Ich will nicht, dass es nur eine Idee bleibt“, sagt Philipp und ist auf einmal sehr ernst und sehr ruhig.
Deshalb geht er das Ganze auch sehr professionell an. Das, was er in seinem Studium lernt, hilft ihm dabei. „Der knallharte BWLer“ in ihm würde manchmal schon gerne die Zufälligkeit seines Vorhabens berechnen und vorhersagen. „Ich schreibe sehr gerne Excel-Tabellen und Listen.“ Er lacht nach diesem Satz. Schelmisch.
Auch die Vermarktung beziehungsweise das Finden neuer, potenzieller Tauschpartner will er mittlerweile nicht mehr dem Schicksal oder seiner Überzeugungskraft auf der Straße überlassen, denn es vergeht kein Tag, an dem er nicht darüber nachdenkt, wie er schneller und besser vorankommen könnte.
Facebook hat er persönlich zwar lange Zeit nicht genutzt, aber jetzt, für sein Projekt, hat er wieder einen Account und eine Seite (www.facebook.com/dasdosentelefon) erstellt. Dort wird man auf seinen Blog weitergeleitet und kann sich über den Tausch-Stand informieren. „Hochtauschen gegen Krieg“, ist der Titel. Philipp erzählt dort die Geschichte seines Telefons und ruft dazu auf, ihn bei seiner Tauschjagd nach dem Haus zu unterstützen.
„Ich denke nicht mehr nur von vorne nach hinten, sondern frage mich auch schon, was Immobilienbesitzer so gerne besitzen würden, dass sie dafür eines ihrer Häuser hergeben würden“, erklärt Philipp. Gefragt habe er schon einen und der habe von seiner Leidenschaft für Aston Martin-Autos berichtet. Also wird Philipp wohl bald bei Aston Martin vorbeischauen und fragen, ob man sich dort auf einen Tausch einlassen würde.
Philipp kann sich keinen Tauschbesitz vorstellen, mit dem es nicht weitergehen könnte. Die „Notlösung“, sollte tatsächlich gar kein Tausch mehr zustande kommen, wäre, den Gegenstand zu verkaufen und den Erlös zu spenden. Dass er mit seinem Dosentelefon keinen Krieg beenden wird, wie der Name seines Blogs kühn verkündet, ist Philipp bewusst. Aber einen kleinen Beitrag dazu möchte er leisten.
Weitere Infos: https://www.facebook.com/dasdosentelefon?fref=ts
Foto: Schiwani Kakor