Mehr Pop für die Stadt

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Julia Viechtl spielte für die Indie-Band „Fertig, Los!“ Bass und schreibt ihre Masterarbeit über München und seinen Weg zur „Music City“. Nun organisiert sie ein Club-Festival, wie man es aus Hamburg oder Brighton kennt.

Klein, schwarz, ein wenig zerknittert und mit weißen, schnörkellosen Kleinbuchstaben bedruckt – die Masterstudentin Julia Viechtl zieht einen Sticker aus den Tiefen ihrer bunten Tasche. Der hat ein wenig gelitten im Flugzeug aus London, aus dem die junge blonde Frau mit den blauen Augen vor kaum zwei Stunden gestiegen ist. 

Auf dem schwarzen Zettel steht in weißer Schrift: „manic street parade“ 08/10/16“. Julia weiß, was das bedeutet. Im Gegensatz zu den Menschen, die diese Aufkleber seit einigen Wochen in München an den unterschiedlichsten Orten von Laternenpfählen bis U-Bahn-Rolltreppen gefunden haben könnten. Bisher ist das die einzige Werbeaktion, die Julia und ihre vier Kollegen Andreas Puscher, Stefan Schröder, Marc Liebscher und Fabian Rauecker – allesamt wichtige Namen in der Münchner Musik-Szene – mit ihrem Verein gestartet haben. Einem Verein zur Förderung der Popkultur in München, den sie eigens für die Organisation des Club-Festivals „manic street parade“ gegründet haben.
Club-Festivals gibt es mittlerweile in vielen Städten. Das Reeperbahnfestival in Hamburg ist wahrscheinlich das bekannteste in Deutschland. Julia kommt gerade vom „The Great Escape Festival“ in Brighton. „34 Mal“ unterstreichen will sie, wie unglaublich toll es da war, wie viel Input sie bekommen und wie viele neue Bands sie dort gesehen hat. „Es ist einfach wunderschön, wenn man in einem Moment eine Band aus Mali hören kann und dann geht man einen Club weiter und steht vor einem Singer-Songwriter aus Schweden“, sagt Julia. Sie kramt ein fingerdickes, ebenfalls leicht mitgenommen aussehendes Heft aus ihrer Tasche. Fünf Doppelseiten nimmt der „Stundenplan“ des Londoner Festivals in Anspruch.

Ganz so groß wird die „manic street parade“, die diesen Oktober zum ersten Mal – und danach jährlich – stattfinden soll, noch nicht sein. Aber es sollen auch internationale Künstler auftreten: Gebucht sind mittlerweile die Bands Carnival Youth aus Lettland, Avec aus Österreich und Fai Baba aus der Schweiz. Die Bands werden erstmals am Mittwoch bekannt gegeben. Münchner Acts werden nur angefragt, „wenn sie was Besonderes präsentieren“. Etwa die Rapperin Fiva, die mit der Jazzrausch Bigband auftreten wird. Diese und noch mehr wird man am 8. Oktober im Schlachthofviertel feiern können, im Strom, im Substanz, im Schlachthof, im Pigalle und in der früheren Boazn Zur Gruam.

Der Ansatz sei in München tatsächlich neu, findet auch Amadeus Gregor Böhm, Chef der Plattenfirma Flowerstreet-Records und wahrscheinlich einer der besten Kenner der Münchner Indie-Pop-Nachwuchs-Szene. „Ein Club-Festival mit internationalen Künstlern würde München vielleicht tatsächlich helfen, vom weltgrößten Dorf zu einer richtigen Stadt zu werden“, sagt er. Viele der schon existierenden Festivals, wie das Stadt-Land-Rock oder auch das Flowerstreet-Festival würden doch eher den Münchner „Dunstkreis“ repräsentieren, in dem jeder jeden kennt.

Julia geht es aber um mehr als nur die Organisation eines Festivals. Es geht ihr um Grundsatzfragen. Nach ihrem Bachelor in Musik für Lehramt hat sie ein Masterstudium in Kultur- und Musikmanagement begonnen. Gerade schreibt sie ihre Masterarbeit mit dem Titel: „Der Weg zur Music City. Status Quo und Potenziale der regionalen Pop-Musik-Szene“. Dass es hierbei um München geht, ist klar. Julia liebt München. Das sagt sie mit einem leichten Klopfen auf den Tisch und einem vergnügten Lachen. „Das ist Heimat. Außerdem ist München eine wunderschöne Stadt, in der die Verbindung zur Natur so stark ist wie sonst selten in einer so großen Stadt.“

Auch wegen der Musik liebt Julia die Stadt und sie möchte nicht weggehen, selbst wenn man sich in München als „Kreativer schon sein Schlupfloch suchen muss, um durchzukommen“. Wobei: Sie möchte nicht einmal sagen, dass irgendetwas in München wirklich „fehlt“, aber sie will ihren Beitrag dazu leisten, dass da noch viel mehr entstehen kann, was Musik und Kreativität angeht.
Deshalb die Masterarbeit über das Konzept der „Music City“, ein Titel, der von der Unesco vergeben wird. Mannheim und Hannover beispielsweise haben ihn schon. München noch nicht. Julia ist in Kontakt mit einigen der Verantwortlichen beim Kulturreferat der Stadt. „Man ist schon sehr interessiert an Kulturförderung und ich denke, die werden die Arbeit dann auch lesen“, sagt sie. Aber so gut wie beispielsweise in Amsterdam ist man hier eindeutig noch nicht. Wieder lacht Julia. „In Amsterdam gibt es einen Nacht-Bürgermeister, der ausschließlich die Aufgabe hat, sich Gedanken darüber zu machen, wie man das Nachtleben in Amsterdam besser machen könnte.“ Nicht offiziell sei dieses Amt, versteht sich, aber doch anerkannt. Diesen Nachtbürgermeister von Amsterdam hat Julia auf der Music-Cities-Convention, die ebenfalls in der vergangenen Woche in England stattgefunden hat, sprechen hören. Noch mehr Input, wie Münchens Pop-Szene lebendiger und attraktiver gestaltet werden könnte.

Es scheint keinen Aspekt in Julias Leben zu geben, der nicht erfüllt ist von Musik. „Ich habe damit angefangen, bevor ich darüber nachgedacht habe“, sagt Julia auf die Frage, ob sie schon immer gewusst hätte, dass das irgendwann einmal so sein würde. Natürlich, sie kann die Geschichten von der Schulband erzählen, mit 13 oder 14 Jahren, als der Bassist sie drei Tage vor der ersten Aufführung sitzen ließ, weil ihm die vier Sängerinnen zu schlecht waren. Deswegen hat Julia innerhalb von zwei Tagen angefangen, Bass zu spielen – und das hat ihr gefallen. Aber sogar wenn sie von dem Erfolg spricht, den sie mit ihrer Band Fertig, Los! bis zu deren Auflösung vor drei Jahren hatte, und von der großen Tournee mit Sportfreunde Stiller, bleibt sie dabei so ungezwungen und ohne Pathos, ohne Kitsch, ohne verträumte Augen, dass sie genauso gut erzählen könnte, sie würde ihren Abwasch immer gleich nach dem Essen machen, weil es dann eben gemacht ist. 

Ein ganz wichtiger Aspekt bei kreativer Arbeit ist in Julias Augen das Einfach-mal-machen, ohne viel darüber nachzudenken und ohne gleich ein mögliches Scheitern mit einzukalkulieren.

Und so ist wohl auch die Idee des Festivals entstanden. „Eigentlich reden wir da schon seit einem Jahr drüber“, sagt Julia, „und dann haben wir es irgendwann einfach gemacht.“ Bis jetzt scheint das wunderbar zu funktionieren und wenn sich die „manic street parade“ als eine jährliche Institution in der Münchner Pop-Szene etablieren kann, dann ist München vielleicht tatsächlich einen Schritt näher dran, eine Music City zu sein.

Von: Theresa Parstorfer

Foto: Stephan Rumpf

Webadresse Festival: http://manic-street-parade.com/

Fertig, Los! (Indie-Pop)

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Jahr: 2011, Woche: 52

Die Zukunft erschien steril. So künstlich und perfekt durchkomponiert war das Album „Pläne für die Zukunft“. Wie man es von einem ordentlichen Science-Fiction-Werk auch erwartete. Doch jetzt, wo der Jahreswechsel ansteht, zeigt sich die Münchner Indie-Pop-Band Fertig, Los! von einer warmen und natürlichen Seite.

Auf ihrer gerade erschienen EP „Kaum zu kaufen“ haben akustische Gitarren die Synthesizer abgelöst. Der Name ist Programm: Die, im September 2011 aufgenommenen Stücke kann man nur auf den Live-Konzerten des Quartetts kaufen. Fünf Songs sind es geworden – allesamt unplugged Versionen von Liedern ihrer bisherigen Alben. „Wir wollten ein Extra für die Konzertbesucher schaffen, etwas Besonderes“, erklärt Sänger und Gitarrist Philipp Leu. Deshalb hätten sie im Alleingang diese EP aufgenommen – den ganzen Probenraum mit Mikrophonen verhangen und die Songs nah und direkt eingespielt. Das wünscht sich Philipp auch für kommende Aufnahmen – sie sollen klingen als sei die Band schwitzend und natürlich im Probenraum. Natürlich und live sind sie dieses Jahr noch einmal in München zu sehen: Bei ihrem Jahresabschlusskonzert am Freitag, 30. Dezember im 59:1. Und für diesen Gig haben sie auch für die Live-Umsetzung ein paar der Songs unplugged einstudiert. Rita Argauer

Stil: Indie-Pop
Besetzung: Philipp Leu: Gesang, Gitarre, Synthesizer; Julia Viechtl: Bass, Gesang; Simon Schankula: Gitarre; Flo Wille: Schlagzeug
Aus: München
Seit: 2004
Internet: www.fertiglos.com

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Rita Argauer ist die Musik-Expertin der Junge-Leute-Seite. Sie ist nicht nur ständig auf der Suche nach neuen Münchner Bands und deswegen in den Clubs dieser Stadt unterwegs. Sie kennt die Szene auch von der anderen Seite: Sie singt und spielt Keyboard in der Band Candelilla.