Traunstein, du musst nicht traurig sein

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Wiederkehrende Gesichter,
Nebelmaschinen und eine Trompete. Beim Sound of Traunstein Now stellen sich
fünf Bands aus Oberbayern dem Münchner Publikum. Und beweisen, dass es
musikalisch überhaupt kein qualitatives Stadt-Land-Gefälle gibt.

Die roten Schuhe gleiten
über den dreckigen Boden der Kranhalle. Mal nach rechts, dann wieder einige Schritte
vorwärts, zur Bühne hin. Die dazugehörenden Beine, verpackt in
bordeaux-farbenen Jeans, sind seltsam verschlungen. Der junge Mann, vielleicht
Ende Zwanzig, vielleicht Anfang Dreißig, tanzt, tänzelt leichtfüßig. Seine Arme
bewegen sich wild im Rhythmus von Fendt’s „slowmotion pop“, die Bewegung hat
etwas von Mick Jagger. Der einsame Tänzer steht bezeichnend für die Kurve die
das Sound of Traunstein Now mit dem Auftritt von Fendt nimmt. Es wird ruhiger,
selbstbewusster. Aber auch düsterer, vielleicht sogar etwas traurig.

Mit Fendt, The Marble Man
und Allaend North werden die Künstler älter, einige spielen für zwei
verschiedene Bands, und auch das Publikum verändert sich. Die erste Reihe tanzt
nicht mehr wild, sondern eben in sich gekehrt. Oder setzt sich ganz hin, hört
zu. Zwischen Noise und Melancholie werden mit Fendt und Sänger Fricko Friese
die Solos länger, die Beschäftigung mit den Zuschauern kürzer. Die fühlen sich
dennoch abgeholt, ob einsame Tänzer oder gemeinsame Lauscher.

Auch dass The Marble Man
nach anderthalb Jahren ohne Live-Konzert nichts verloren hat, daran hat niemand
gezweifelt. Experimente sind immer noch gerne gesehen, sei es eine E-Gitarre
mit Bogen spielen oder ein Schlagzeug zu zweit. Mit sehr präsentem Keyboard und
einer melodischen Note, die gut tut, nimmt man das Tempo aus dem Abend. Die
Kranhalle wird zum Gegenstück zur Hansa39. Das Selbstbewusstsein in den eigenen
Sound ist in jeder Note zu spüren, und das Publikum weiß die Erfahrung und
Reife zu schätzen.

Gut tut auch, dass mit
Allaend North zum Abschluss des Sound of Traunstein Now die erste Künstlerin
auftritt – bis kurz vor 0 Uhr war die Moderatorin als einzige Frau auf der
Bühne. Anna’s (The Unused Word) enorm kraftvolle, tiefe Stimme dringt durch das
Feierwerk und füllt die Halle ein letztes Mal. Spannende Drumsolos und die
Vielseitigkeit der beiden Sänger bleiben in Erinnerung, genau wie der barfüßige
Kontrabassspieler und die ungeschickten Songansagen. Doch auch die Traurigkeit,
die sich durch die Auftritte von The Marble Man und Allaend North gezogen hat,
bleibt hängen. Ist es Traunstein, das diese Noten aus den Künstlern zieht? Oder
liegt es an der Generation, die das „new weird bavaria“ geprägt hat?

Zu Beginn des Festivals
im Münchner Feierwerk ist von Traurigkeit zumindest nichts zu spüren. Color
Comic und Heischneida, beide junge Bands, beide sehr verschieden, wollen sich
eher dem Publikum ankündigen. Nur zwei Songs braucht der Schlagzeuger von Color
Comic, dann fliegen die ersten Drumsticks. Sie bleiben auf der Bühne liegen.
Das mitgereiste Traunsteiner Publikum, so scheint es, johlt auf. Die
Dschungel-Drums sind gemütlich und sehr gut, der Insel-Indie-Sound sehr
melodisch. Dem Auftritt fehlt etwas die Energie, auch wenn sich Gitarrist,
Drummer und Frontmann (mit Marco-Wanda-ähnlichen Moves) reichlich Mühe geben.
Es ist aber auch nicht leicht direkt vor einem geladenen Bündel Oberbayern
aufzutreten.

Denn mit Heischneida
kommt der Abend richtig in Fahrt. Dank ausufernder Nebelmaschine sieht man
davon erstmal nichts, hört aber reichlich. Ob Rocknummer oder Ska, die sechs
Jungs heizen dem Publikum im Handumdrehen ein. Mitmachaktion, Trompetensolo,
dann wird Akustikgitarre gegen Akkordeon getauscht. Selten hat eine Band die
Kranhalle so vielseitig, und doch so kraftvoll, zum Tanzen, Hüpfen, Mitsingen
gebracht. Auch die jüngeren Traunsteiner Bands beweisen, dass sie sich vor
München nicht verstecken müssen. Wer zwischen Songs dann noch mit
oberbayrischem Slang so zum Lachen bringt wie der mächtig vollbärtige Wenz
Karger, hat alles dabei. Dass sie die Traunsteiner Melancholie trotzdem auch
draufhaben, beweist Heischneida mit ihrer Abschlussnummer. „Magdalena“
durchbricht die gute Laune und die Band beweist ganz viel Gefühl. Und die
Trompete, diese wunderbar präsente Trompete, trägt den Widerspruch von Energie
und Melancholie durch den ganzen Abend.

Text und Foto: Matthias Kirsch