„Wann sind wir eigentlich so alt geworden“, fragt Ali. Sie sagt das ganz plötzlich, mitten in unserem Gespräch darüber, wie man Lebensmittel am nächsten Tag wiederverwerten kann. Ich bin zum ersten Mal zu Besuch in ihrer frisch gegründeten WG.
Es ist eine Mädchen-WG wie aus dem Barbie-Traumhaus: auf dem rosafarbene Teppich im Bad ist eine Disney-Prinzessin abgebildet, wir trinken Tee aus einer metallic-pinken Kanne, die sich mit den kotzgrünen Fronten der neuen Küche beißt. „Im Prospekt sah das anders aus“, sagt Ali entschuldigend. Um von der Farbe abzulenken, hat sie die Küche mit Aufklebern von Trickfilmfiguren tapeziert. Doch trotz aller Anstrengungen, die perfekte Atmosphäre für eine Achtjährige zu schaffen, fühlt Ali sich alt.
Letztens war eine ehemalige Schulfreundin zu Besuch. Sie waren Shoppen, so wie früher, erzählt sie, nur mit einem gravierenden Unterschied: Im Vergleich zu Mode und Schuhen waren plötzlich sämtliche Haushaltswarenläden der Stadt interessanter. „Wir haben uns ernsthaft über Tischläufer unterhalten“, sagt Ali fast ein bisschen verzweifelt und schenkt sich Tee in ihre Blümchentasse.
Früher, da wären wir noch cool gewesen, sagt sie. Ich erinnere mich nicht an eine Zeit, zu der wir beide cool waren. Nur an eine Ära, in der uns unsere Eltern eine Menge lästigen Kram erspart haben und wir viel Zeit hatten, um über Lehrer zu lästern. Jetzt hat Ali einen riesigen Ordner mit Verträgen und Papierkram, den sie akribisch in Ordnung hält, und einen Haushalt, mit dem sie genauso verfährt. Und Zeit haben wir beide wenig.
Wenn ich so darüber nachdenke, frage ich mich langsam, ob sie nicht recht hat. Vielleicht sind wir wirklich alt geworden. Als wir beide damals im Ethikunterricht notorisch feministische Debatten anheizten, hätte ich nicht gedacht, dass wir uns eines Tages bei Früchtetee darüber streiten würden, wer den Preis für Spießigkeit absahnt. „Pah“, sagt Ali, „Ich bestimmt nicht! Wer friert denn hier Suppe in Plastikdosen ein?“ Jetzt schnaube ich. Tiefgefrorene Suppe ist total lässig und überhaupt: Wer weiß, was Ali alles anstellen würde, wenn ihre kotzgrüne Küche nicht ohne Tiefkühlfach geliefert worden wäre. Wir schmollen beide demonstrativ. In der Stille kann ich unsere 16-jährigen Ichs von damals beinahe hören: Sie lachen uns aus. Susanne Krause
Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.
Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.