Eine Frage der Inspiration

Die Modedesign-Studentin Anna Wiendl findet den Münchner Stil zu glatt. Deshalb entwirft sie Mode mit barocken Elementen und viel Chichi- bunt und verrückt

Mind Control steht auf dem DIN-A 3 Papier. Pfeile kreuz und quer. Eine Verbindung zwischen den Kleidungsstücken. Ein Versuch. Annas erster Versuch. Sie ist im dritten Semester Modedesign, als sie ihre erste eigene Kollektion entwirft. Der Film „Shutter Island“ mit Leonardo di Caprio in der Hauptrolle dient ihr als Inspiration. Dunkle Farben, ein weißer Stoffknäuel stellt das Gehirn dar. Ein widerkehrendes Element in ihrer Kollektion. Auf einem Shirt, auf einer Tasche, auf einem Kleid. „Ich wollte mich erst mal auf die Schnitte konzentrieren“, sagt die 21-Jährige. Während sie mit ihren metallic-grün lackierten Fingernägeln über das vor ihr liegende Mood-Bord wischt. „Ich würde heute einiges anders machen“, sagt sie. Sie lächelt. Die Haare trägt sie halb-offen. Immer wieder zupft sie an ihren langen braunen Haaren. Drapiert sie auf ihrer Bluse im Barock-Stil. Ein routinierter Griff. „Ich mag Rüschen“, sagt sie. 

Anna fällt gerne auf. In der Schule geben ihr die Klassenkameraden täglich neue Spitznamen. Immer passend zum Outfit. „Wenn ich grün getragen habe mit Military Boots, dann war ich die Army Anna“, sagt sie. Es sei aber auch nicht schwer gewesen, dort aufzufallen, wo sie herkommt. Die Kosenamen waren ihr recht. „So wusste ich wenigstens, dass ich anders aussehe als die anderen“, sagt sie. Anna kommt aus Dinkelsbühl in Mittelfranken. Sie wollte raus. Deshalb bewarb sie sich nach dem Abitur auf der Hochschule für Modedesign in München. Ihre Mutter hat sie ermutigt. „Ich habe mich eigentlich schon immer hauptsächlich mit Mode beschäftigt“, sagt sie. Bloß nicht aussehen wie alle anderen. Schon früh exterminiert sie mit ihrer eigenen Kleidung. Hosenbeine ab, Farbkartusche drauf. Und schon war die Klamotte ein bisschen mehr Anna. 

Bei der Aufnahmeprüfung schreibt sie über Vivienne Westwood. Die inzwischen sehr kommerzielle Punk-Oma der Modebranche. Westwood arbeitet viel mit schwarz. Kein Zufall, dass sich das auch in Annas erster Kollektion findet. Sie spricht viel über Inspirationen. Und die Suche nach ihrem eigenen Stil. Mode und Zeichnen habe viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun, eine eigene Handschrift zu finden sei nicht leicht, sagt sie. 

In London macht sie ein Praktikum bei Peter Jensen. Die Realität holt sie ein. „Dort habe ich gelernt, dass Design nicht alles ist. Es ist vor allem Vertrieb, Produktion, Marketing“, sagt sie. Sie macht Botengänge, schneidet Stoffe zu, bestickt Socken. Drei Monate lang. Dann geht es nach Berlin. Zwei Monate. Bei Steinrohner werden die Botengänge weniger. Sie lernt, Pailletten zu sticken. Ein ganzes Kleid voller Pailletten. Eine Sisyphusarbeit. „Ich hätte nie gedacht, dass mir das Spaß macht“, sagt sie. 

Anna steht kurz vor ihrem Abschluss. Im Februar muss ihre Bachelor-Kollektion stehen. Sie sei jetzt am Ende ihres Studiums mehr bei sich und habe ihren Stil gefunden, sagt sie. Den Münchner Stil vergleicht sie mit einer Schuluniform. „Hier tragen fast alle einen grünen Parka, Nike Airs und skinny Jeans. Und ich bezweifle, dass sich alle damit wirklich wohlfühlen“, sagt sie. Auch mit studentischem Budget könne man sich von der Masse abheben. „Ich habe in München Vintage für mich entdeckt“, sagt sie. So könne man auch vermeiden, dass man immer sehe woher das Kleidungsstück kommt, wie beim Gelb von Zara oder dem Rot von H&M.

Ihre Abschlusskollektion soll deshalb mehr nach London aussehen. Bunt und verrückt. Weiblich aber lässig. Nicht mehr nach Westwood, sondern eher in Richtung Molly Goddard. In ihrem Skizzenbuch klebt dieses Mal Prescilla Presley. Sie habe ein Buch zum Mythos um das berühmte Paar gelesen und den wolle sie mit ihrer Kollektion hinterfragen. Eine Winterkollektion. Die Farben: bunt, aber gedeckt mit viel Army-Grün.  

Text: Esther Diestelmann

Fotos: Vanessa Bärnthol

Shooting-Star

Tagsüber studiert Christine Bluhm Spanisch und Französisch auf Lehramt. Nachts schneidet sie selbst gedrehte Modeclips. Nach einem klassischen Lebensweg sieht es bei der 25-Jährigen derzeit nicht aus

Kamera, Stativ, Schnittprogramm. Christine Bluhm, 25, braucht nicht mehr, um mit den Profis der Branche mitzuhalten. Sie studiert Französisch und Spanisch auf Lehramt. In diesem Jahr will sie ihr Studium beenden. Nebenbei produziert die junge Frau seit gut einem Jahr Clips. Drehen und Schneiden hat sie sich selbst beigebracht. Hin und wieder wird sie für ihre unkonventionelle Herangehensweise belächelt. Nicht selten halten sie die Profifilmer am roten Teppich für eine Praktikantin oder eine Hobbyfilmerin. „Wo ist dein Equipment? Das werde ich oft gefragt“, sagt Christine, wenn sie ihre kleine Handkamera auspackt. Kleine Sticheleien, auf die sie inzwischen gelassen reagieren kann, denn sie hat Erfolg. Neulich bekam sie den Auftrag, eine Charity-Gala zu Gunsten der Stiftung von Auma Obama, der Halbschwester von Barack Obama, zu filmen. 

Wenn die Profis auf Veranstaltungen noch damit beschäftigt sind, ihr Stativ aufzubauen, hat Christine die ersten Bilder meist schon im Kasten. „Auf einem Event geht es darum, die besten Sequenzen zu filmen, und da kann ich nicht immer mit dem Stativ ankommen“, sagt sie unbedarft. Hanebüchen, mag der ein oder andere denken, der sich am Regelbuch orientiert. Ihr ungelernter Blick macht Christine frei. Unkonventionell. Es interessiert sie nur am Rande, ob die Bilder immer scharf sind, ihr geht es nur um natürliche Bilder und Emotionen. Alles bleibt unbearbeitet. Möglichst echt. Nur so könne man emotionale Bilder drehen, sagt sie.

Als 14-Jährige hat Christine angefangen zu filmen. Sie dokumentiert Familienurlaube, den Abi-Ball, die Organisation ihres Erasmus-Aufenthalts in Lille. In Frankreich stehen Vorlesungen zu französischem Film und Dramaturgie auf dem Lehrplan. Begeistert besucht sie jede Vorlesung. Eine Dozentin wird nicht müde zu betonen, dass viele Filmemacher und Fotografen Quereinsteiger waren. Ein letzter Schubser für die ehrgeizige Studentin. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine mit der Idee bin, etwas zu machen, was ich nicht studiert habe“, sagt sie. Christine atmet tief aus, die Erleichterung darüber wird spürbar. Als sie zurück nach Deutschland kommt, gründet sie myfashionclip.com. Ein Blog, auf dem sie sich, wie sie sagt, „den ästhetischen Dingen des Lebens“ widmet. Einige ihrer Freundinnen seien Models, da schien es ihr naheliegend, mit ihnen als Filmmotiv zu arbeiten. 

Für ihren ersten Clip filmt Christine eine Freundin, die hübsch zurechtgemacht durch die Straßen von Altschwabing zieht. Hier ein Blick über die Schulter, da ein Lächeln in die Kamera. Banal – eigentlich. Aber die Art und Weise, wie sie das rothaarige Model in Szene setzt, ist nicht weit entfernt von einem Clip, der auch auf der Seite der Vogue anklickbar sein könnte. „Die Vogue-Clips waren mein Vorbild“, sagt Christine, die einen modischen Oversize-Pulli mit farblich harmonierendem Schal trägt. Generell spricht sie gerne von ihren Vorbildern und Menschen, die sie antreiben. Meist sind das Autodidakten.

Ihr zweiter Clip zeigt eine Freundin, die Schuhe entwirft. Peu à peu baut sich Christine so ihr Portfolio auf. „Voller Fehler sind meine ersten Clips“, sagt sie und lächelt. Dennoch reicht es, um mit diesen Clips nach Düsseldorf auf den Event eines Start-ups aus der Modebranche eingeladen zu werden. Als sie nach München zurückfährt, hat sie schon ein, zwei Folgeaufträge in der Tasche. Hier und da habe es auch Kritik gegeben, aber auch das schüchtert die junge Filmemacherin nicht ein. Stattdessen entwirft sie Visitenkarten und meldet sich für die „Bits and Pretzels“, eine Messe für Start-ups, an. „Mir fehlten ja die Kontakte, die andere schon aus dem Studium haben“, sagt sie. Also netzwerkt sie. Lernt einen Filmstudenten aus Berlin kennen. Der zeigt ihr, wie man Drehbücher schreibt. Auf einer Zugfahrt von München nach Ulm lernt sie per Zufall eine Cutterin kennen, die 3-D-Animationen fürs Kino schneidet.

Mittlerweile hat sie eine neue Kamera gekauft, für den Notfall auch ein Stativ. „Ich filme lieber aus der Hand“, sagt sie. Nicht jeder habe eine ruhige Hand, sie aber schon. Außerdem gehe es ja darum, die echte Welt zu zeigen. „Mich langweilen starre Konzepte“, sagt sie.

Gleiches gilt auch für ihr Studium. „Wenn ich wirklich noch Lehrerin werden sollte, dann müsste der Lehrplan schon etwas alternativer sein, mit Film zum Beispiel“, sagt sie und lacht. Aber nach einem klassischen Lebensweg sieht es derzeit nicht aus. Die Aufträge häufen sich. „Ich sitze oft in der Vorlesung und schreibe nebenbei Angebote“, sagt sie. Eine Getriebene. Stillstand kennt sie nicht. Tagsüber Uni, nachts Schneiden. Mittags ein kleines Nickerchen. „Ich habe nie das Problem, nicht zu wissen, wie ich anfange. Ich muss mich eher entscheiden, mit was ich anfange“, sagt sie. 

Christine tippt auf ihrem Laptop. Scrollt ihre Homepage auf und ab. „So viel Arbeit“, sagt sie. Die Website müsse endlich umgebaut werden und auch das mit dem Namen, myfashionclip, passe nicht mehr so richtig. „Ich will nicht nur Mode machen“, sagt sie und zieht ihren rechten Nasenflügel nach oben. Muss sie auch nicht. Die deutsche Krebsgesellschaft hat sie beauftragt, einen Clip über Prostatakrebs umzusetzen. Inklusive einer Kooperation mit der alljährlich stattfinden „Movember-Aktion“, für die sich Männer weltweit einen Schnauzbart stehen lassen. Sie habe schon eine genaue Vorstellung von der Dramaturgie des Kurzfilms. Eine Doku-Fiction schwebt ihr vor. „Ich will, dass diejenigen, die den Film sehen, Tränen in die Augen bekommen“, sagt sie zielsicher. Nur wie sie das mit ihrem Studienabschluss kombiniert bekommt, das wisse sie noch nicht. „Irgendwie wird es schon klappen“, murmelt sie.  

Text: Esther Diestelmann

Foto: Kristijan Golesic