Abschied von den melancholischen Traumwelten: Fotografin Elizaveta Porodina, die von Magazinen wie „Vogue“ oder „Elle“ gebucht wird, will fortan mehr Kunst als Mode machen – jetzt reist sie erst einmal um die Welt.
Für jemanden, der nichts dem Zufall überlassen will, ist Spontaneität eine Herausforderung. Elizaveta Porodina, 27, liebt Herausforderungen, auch weil sie dann Ängste bekämpfen kann. Die gefragte Fotografin, die von Magazinen wie Vogue, Madame, Gala und Elle gebucht wird und in ihren Bildern nach Perfektion strebt, will aus dem Augenblick heraus handeln. Mehr Kunst als Mode machen. Und für ihre erste große Ausstellung 2015 noch einmal ein paar Wochen um die Welt reisen, obwohl Reisen ein Unbehagen in ihr auslösen.
Ein gutes Foto, das ist das Ziel eines jeden Fotografen. Doch was es ausmacht, was es benötigt – das wissen nur jene, die sich Tag und Nacht mit der Materie beschäftigen. Elizaveta gehört zu diesen Menschen. Seit sie vor vier Jahren das erste Mal eine Kamera in die Hand nahm, ist sie diesem Ziel immer näher gekommen. 2012 belegt sie den zweiten Platz des „Sony World Photography Award“. Doch der zweite Platz reicht ihr nicht, sie arbeitet weiter hartnäckig. „Ich bin sehr anspruchsvoll und gebe mich nicht so schnell zufrieden.“ Innerhalb kurzer Zeit häufen sich die Anfragen. Sie schließt noch ihr Studium der Psychologie ab und arbeitet mehr als ein Jahr in der Psychiatrie. Jede freie Minute verbringt sie allerdings mit ihrer Kamera. Sie realisiert neue Ideen und nimmt immer mehr Jobs an.
„Irgendwann kam es mir wie ein Doppelleben vor, dem ich nicht mehr gerecht werden konnte“, Elizaveta entscheidet sich im Mai 2013 für die Fotografie und bricht ihre praktische Ausbildung ab. Mittlerweile lebt sie ihren Job und arbeitet ihren Traum. Die Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem sind so weit verschwommen, dass die junge Frau Ferien, Feierabend oder Urlaub nicht mehr kennt. „Wenn es anders wäre, würde mir das aber auch Sorge machen“ – die Fotografie ist ihre Leidenschaft, und das sieht man ihren Bildern an. Bis zum letzten Schattenwurf sind die Kunstwerke inszeniert. Alles steht und fällt an seinem Platz. Es ist unmöglich, auch nur das kleinste Detail in Frage zu stellen.
Selbstporträt
Elizaveta reist für große Magazine in andere Länder, fotografiert schon mal angesagte Künstler wie die Musikerin St. Vincent, arbeitet mit fremden Menschen zusammen und baut ihr eigenes Team auf. Zeitdruck, Planung und Durchsetzungsvermögen: Schnell entwickelt die junge Künstlerin Expertise auf dem Gebiet. Mit jedem Projekt, jedem Auftrag und jedem einzelnen Bild wird sie reifer. Und mit ihr die Fotografien. Verspieltes weicht Kantigem. Bunte Farben werden reduziert. Schwarz und weiß überwiegt heute. Die Fotografin, die in den vergangenen Monaten von der Ukraine bis Los Angeles gebucht wurde, gibt ihren Bildern einen neuen Charakter. „Ein gutes Bild, das muss auch ohne Glitzerstaub auskommen“, findet sie und zeigt den Unterschied zwischen jenen melancholischen Traumwelten, mit denen sie noch beim Award teilnahm, und ihren heutigen Lieblingsbildern, die bei einem spontanen Shooting entstanden sind und sich auf das Wesentliche, das Model konzentrieren.
Ihre Entwicklung versucht sie ganz sachlich zu begreifen: „Ich glaube, mit der Zeit strebt jeder Künstler nach Abstraktion.“ Ein Kreis, eine Lichtquelle, nur wenige Motive und Farben – das müsse reichen, um Emotionen festzuhalten. Elizavetas Bilder leben mehr und mehr von starken Kontrasten, Lichteffekten und den besonderen Frauen, die sie in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten stellt. Eigenartig sollen sie sein, „denn für mich ist alles Eigenartige schön“. Die Augen am liebsten verschieden groß, das Gesicht schief, der Ausdruck merkwürdig – der Betrachter soll an den Gesichtern hängen bleiben und aus der Seltsamkeit des Bildes die Persönlichkeit des Models erahnen können.
Egal, ob unterwegs mit einem Model oder bei einem festen Auftrag: Elizaveta versucht sofort eine Beziehung aufzubauen. „Ich sende Ich-Botschaften, sage dem Model ganz genau, was sie tun soll und versuche mich in sie hineinzuversetzen.“ Ihre Erfahrungen aus der Psychologie helfen der Fotografin dabei, Empathie zu entwickeln. Trotzdem kann sie nicht jede Barriere überwinden, manches Eis ist zu dick, um durchbrochen zu werden.
Seit dem Sommer 2013 stellt sich die 27-Jährige deshalb immer häufiger selbst vor die Kamera. Sie nennt es ihr wichtigstes Nebenprojekt. „Ich will spüren, wie man sich vor der Kamera fühlt“, erklärt Elizaveta und dreht ihr Gesicht ganz unbewusst ein wenig nach rechts. „Welches die Schokoladenseite ist, wie man den Ausdruck der Augen verändern und die Gesichtsmuskeln anspannen kann, das habe ich alles erfahren und lernen müssen.“ Dieses Nebenprojekt scheint wie selbstverständlich in das Konzept Elizaveta zu passen. Ihre Bilder erreichen einen noch höheren Grad der Perfektion. Die Planung zahlt sich aus. Fast immer schafft sie es so, die Grenze zu überwinden, die die Kamera zwischen Model und Fotografin zu ziehen scheint.
Obwohl sie von der Modegrafie leben könnte, widmet sich die Münchnerin persönlich mit Vorliebe der Kunst. „Ich möchte freier und spontaner werden“, nennt sie die Ziele für 2015. Um neue Ideen und Eindrücke zu gewinnen, wird sie mit ihrem Freund und Partner Josef Beyer einige Wochen herumreisen. Musen, wie Elizaveta ihre Models nennt, werden unterwegs abwechselnd dabei sein. Ägypten steht auf dem Plan, der Rest ist ungewiss. „Ich muss mich einfach immer wieder aufs Neue herausfordern“, sagt sie, grinst und nippt an ihrem Cappuccino – innerlich froh, ihr Unbehagen beim Bestellen in Cafés überwunden zu haben. Um ihre künstlerischen Ideen, die sie in Notizbüchern sammelt, in Bildern greifbar zu machen, will sie nun Neues entdecken, andere Kulissen besuchen und fremde Menschen kennenlernen. Zurück in München sollen viele der auf der Reise entstandenen Bilder dann in ihrer ersten großen Ausstellung präsentiert werden. Noch ist sie etwas nervös, ob alles perfekt läuft. Aber die Herausforderung ist ihr Ziel. Friederike Krüger