Ein Fall für Galileo Mystery

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Lehrer werden, das ist der geordnete Rückzug. Klar, auch direkt nach dem Abitur hatten ein paar Hartgesottene noch nicht genug von Kreidestaub und Mind-Mapping. Aber der Rest meines Jahrgangs hat sich in alle Fach- und Himmelsrichtungen verstreut.

Drei Jahre später sieht das anders aus: Karrieren als Werbetexter wurden verworfen und Europastudien hingeschmissen. Plötzlich ist mehr als ein Zehntel meiner ehemaligen Kollegstufe fürs Lehramt eingeschrieben. Einige sind zu diesem Zweck gleich wieder zu Hause eingezogen. Warum das für Studienabbrecher die einzige Alternative zu sein scheint, bleibt ein Fall für Galileo Mystery.

Die Betroffenen können mir bei der Lösung des Rätsels nur beschränkt weiterhelfen. „Ich frage mich auch manchmal, was ich da mache“, sagt eine Freundin, die nach einer gescheiterten Liaison mit Jura wieder bei ihren Eltern eingezogen ist, um Lehramt zu studieren. Nur leider bekommt sie Panik bei dem Gedanken, den Rest ihres Lebens dasselbe Schulhaus zu betreten. Und die Vorstellung, Jahr für Jahr denselben Lehrplan abzuarbeiten, behagt ihr noch viel weniger. Der Rückzug in vertraute Gefilde ist nicht zwangsläufig so beruhigend, wie mancher vielleicht glaubt.

Ich kenne noch einen vergleichbaren Fall im Freundeskreis. Nach einer lustlos absolvierten Ausbildung wollte sie etwas ganz Neues anfangen. Wir hatten uns schon zusammen Gedanken gemacht, welche Monologe sie an welcher Schauspielschule vorsprechen könnte, als sie sich plötzlich ganz anders entscheidet. Sie will zwar immer noch Monologe halten, jetzt allerdings vor einem Publikum von pubertierenden Gymnasiasten. Germanistik auf Lehramt. Als sie mir das sagt, scheint es ihr fast peinlich zu sein. Es ist noch nicht so lange her, dass wir uns zusammen gewundert haben, warum plötzlich alle Welt Lehrer wird. Jetzt bewirbt sie sich für Praktika an einer Schule unserer Heimatstadt.

Aber sich ein zweites Mal auf etwas einzulassen, von dem man nicht weiß, wie es wird, verlangt Mut. Mehr als man hat, wenn es das erste Mal schiefgegangen ist. Groß ist die Angst, mit 28 zum sechsten Mal den Berufsweg zu ändern und zum siebten Mal wieder zuhause einzuziehen. Niemand möchte ein Vagabund werden, der noch bei Mama wohnt. Mind-Mapping ist ja eigentlich auch ganz spannend.Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.