Die Diktatur der Putzteufel

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Ein überquellender Kompost, das ungespülte Geschirr von einer Woche, Krümel auf dem Boden – wehmütig schaut sich Sebastian in meiner Küche um und seufzt dann. „Ach, so muss eine Küche aussehen.“

Seine Küche zuhause sieht anders aus. Sauberer vor allem. Darauf besteht seine Freundin, und dummerweise ist er nicht in der Position zu widersprechen. Schließlich ist er bei ihr eingezogen.

Es ist schon gemein: Man hackt ständig auf ihnen rum, auf den armen unordentlichen Mitbewohnern; bloß, weil ihnen die Spülberge egal sind, ja, sie den Schmutz einfach aus ihrer Wahrnehmung filtern können. Eigentlich ist das evolutionär gesehen ein irrer Vorteil, der Zeit, Nerven und Desinfektionsmittel spart. Nur leider gibt es genügend Menschen, die in dieser Entwicklung weniger weit fortgeschritten sind und sich den armen Ordnungsaussteigern auf dem Weg ins Nirwana entgegenstellen. Und das wegen so profaner Kleinigkeiten wie den niedlichen Staubmäuschen in der Küche. „Er sagt, er sieht den Dreck gar nicht“, ereifert sich Lisi über ihren Mitbewohner. „Ja, aber wenn ich draufzeige – da! Der riesige Staubball! – dann sieht er ihn schon.“ Dabei ist Lisi bestimmt kein Putzteufel. Aber es reicht, dass ein Mitbewohner etwas mehr für Sauberkeit und Ordnung übrig hat – und schon ist der andere das hauseigene Dreck-Schweinchen.

Dabei lässt man einfach außer Acht, wie es den Dreck-Schweinchen mit all dieser Ungerechtigkeit geht. Ja, was vollkommen ausgeblendet wird, ist, dass Dreck-Schweinchen eigentlich die toleranteren Zeitgenossen sind. Denn während sie niemanden dazu auffordern, mehr Schmutz zu verursachen, verlangt die Gegenfraktion ständig mehr Sauberkeit. Sie besteht auf alberne Rituale, bei denen man wöchentlich Stellen blank putzt, die man unter normalen Umständen im ganzen Jahr nicht zu Gesicht bekäme. Und das längst nicht nur, wenn sie in einer Wohngemeinschaft als erste da waren. Die neue Zwischenmieterin bei einer Freundin hat noch vor dem Einzug die ganze Wohnung desinfiziert und dann ein kleines Heiligenbild am Kühlschrank angebracht: eine adrette Hausfrau im 50er-Jahre-Look, die beim Anblick eines riesigen Geschirrbergs die Hände über dem Kopf zusammenschlägt.Susanne Krause

Jugend: Das bedeutet Nestflucht. Raus aus der elterlichen Einbauküche, rein ins Leben. Nur dauert es dann nicht lange, bis man sich einen Pürierstab zum Geburtstag wünscht – oder Sehnsucht nach Mamas Gulasch hat. Eine Kolumne über das Zuhause, was auch immer das sein mag. „Bei Krause zu Hause“ erscheint im Wechsel mit der Kolumne „Beziehungsweise“.

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Geboren in der östlichsten Stadt Deutschlands, aufgewachsen in der oberbayrischen Provinz: Susanne Krause musste sich schon früh damit auseinandersetzen, wo eigentlich ihre Heimat ist – etwa wenn die bayrischen Kinder wissen wollten, was sie für eine Sprache spreche und wo „dieses Hochdeutschland“ sei.